Nachrichten vom Höllenhund


Meyer
15. Dezember 2019, 17:17
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Thomas Meyer:

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

meyerwolkenbruchDie jüdische Familie ist eingebettet in eine Hülle von Regeln, von Dos and Don’ts, Festen mit Riten, Vorgaben für Kleidung und Autokauf, Schabbes und koschere Speisen wollen eingehalten werden, von Heiratszwängen gar nicht zu reden. (613 Ge- und Verbote soll es geben.)

Auf dem Tisch standen riesige Schüsseln mit chrojsses, Zwiebel mit Ei und gefiltem fisch, bewacht von zwaj massiven Matzentürmen. Es gab auch ein Depot von seks flaschn israelischem Rotwein, das ich bereits zu einem Zwölftel geplündert hatte.

Das tisch-tech, auf dem sich all diese Dinge befanden, war gänzlich mit Matzenkrümeln übersät, und irgendwo fand sich auch noch der traditionelle sederteler mit Petersilie als Zeichen der Frucht der erd, ein kleines Gefäß mit Salz-waser als Zeichen des Meeres, als Zeichen der Bitterkeit etwas Meerrettich, als Zeichen des Lehms etwas chrojsses, als Zeichen der Gebrechlichkeit ein hartgekochtes Ei und als Zeichen des Pessach-Lammes ein gerösteter Knochen mit eppes Fleisch daran.

Lauter Zeichen und lauter Essen; alles sejer jiddisch.

Bei den Wolkenbruchs ist es mame Judith, geborene Eisengeist, die über alles wacht, besonders über Sohn Mordechai, genannt Motti. Motti ist schon 25 und hat noch immer keine Frau, denn alle, die ihm die mame zuführt, gefallen ihm nicht, denn alle sehen sie so aus wie die mame. Die Frau muss jüdisch sein, alles alle ist egal, eine gojete kommt nicht in Frage.

Ich fuhr mir mit der hant in den bort, denkend: Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du.
Also sagte ich: »Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame
»Kejn funk!«, rief die mame. »Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj

Vieles deutete darauf hin. So brachte mich meine mame einige teg schpejter unter einem Vorwand mit dem ojto nach Basel. Angeblich sollte ich ihr helfen, bei einer alten froj, die ihre Wohnung räumte, ballenweise Stoffe für mames wöchentlichen Nähabend abzuholen. Tatsächlich war aber die froj gar nicht so alt und auch weit davon entfernt, ihre Wohnung aufzugeben; und es gab auch keine Stoffe, dafür eine Tochter, zu der ich kurzerhand in ein stockiges zimer gescheucht wurde. Die tir blieb sittsam offen.

Die junge froj, Hannah ihr Name, war von fesselnder Hässlichkeit und sah nur kurz auf, als wir miteinander bekannt gemacht wurden. Danach schaute sie nur noch auf ihre fis hinab. Zudem sprach sie sejer leise, so dass ich immer wieder nachfragen musste, was sie gesagt hatte.

So muss es früher im Königsschloss mit der ungestalten Prinzessin gewejn sein, dachte ich; man sperrte sie ins Turmzimmer und schleuste Prinz um Prinz hinauf, in der hofenung, einer habe schlechte ojgn.

Das Grundgerüst des Romans ist simpel: Der lebenstechnisch etwas unbedarfte Ich-Erzähler lässt sich immer wieder überrraschen von der Verstocktheit der jüdischen Innnenwelt in der sich abkapselnden Community in Zürich, er stutzt aber ebenso über das, was er nicht weiß von der Außenwelt. Da gibt es bunte Kleidung, alkoholische Getränke, unkoscheres Essen, Led Zeppelin, WGs – und eben Schicksen wie die Kommilitonin Laura mit ihrem tuches.

Ein paar Schritte weiter vorn drehte sich ein mejdl um. Sein hell-brojnes, langes hor tat einen frischen Schwung und brachte große, grüne ojgn hervor, die in einem punem von solcher Anmut, von solchem Liebreiz und solcher Lebendigkeit leuchteten, dass ich mit staunendem Mund stehen blieb. Noch nie hatte ich eine derart schejne froj erblickt, und unwillkürlich sprach ich leise den Segensspruch beim Sehen von Bäumen oder anderen Geschöpfen von außergewöhnlicher Schönheit: »Baruch ata adonai, elohenu melech ha’olam, schekacha lo be’olamo«; gelobt seist du, Ewiger, unser G’t, König der Welt, dies alles ist Bestandteil seiner Welt. (…)

Allein schon der Tatsache, dass sie hojsn trug – wohlgemerkt auffallend sportlich geschnit­tene -, war zu entnehmen, dass es sich bei dieser froj um eine schikse handelte; auch ihr unjüdischer Name verriet, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit regelmäßig Schweine aß und am schabbes hemmungslos elektrische Gerätschaf­ten in Gang setzte. Dennoch empfand ich den Namen Laura als Wohlklang, und ich muss gestehen, dass sich die Achse meiner jiddischkajt an diesem frimorgn leicht ver­schob.

Wenn Innen- und Außenwelt aufeinanderstoßen, springt Lustiges heraus. Je klischeehafter, desto lauter will man lachen, die leisen Skrupel verflüchtigen sich in Meyers komödiantischer Darstellung. Jeder kriegt sein Fett weg, am meisten die mame, aber eben auch Motti, der notgeile Erzähler mit seiner jarmelke.

Alle Juden tragen die erwarteten Namen: Blattgrün, Grünstern, Silberzweig. Man erheitert sich über die vielen jiddischenWörter und Sentenzen und erkundigt sich gerne im Glossar über ihre Bedeutung. Vieles versteht man auch so, denn das Jiddische ist ein mittelalterlicher deutscher Dialekt. (Erfunden hat Meyer den blizbrif.)

Am Schluss landet Motti in Lauras Schoß zum schtup. Der ganze Roman ist eine Lachnummer.

2012          280 Seiten (TaBu)

Jiddisch-Glossar und Wolkebruchs Jiddisch-Kurs als Video auf
Thomas Meyers Homepage

Da sie nicht gestorben sind, wurde der Roman 2018 von Michael Steiner verfilmt, 2019 erschien die Fortsetzung „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“. „Wolkenbruch“ (…) beruht darauf, dass die jüdischen Figuren die Anderen sind und sich der Protagonist vor ihnen in die Mehrheitsgesellschaft retten kann. Meyer inszeniert kulturelle Differenz als Lachnummer. Bis heute sind in der Schweiz die ältesten antisemitischen Stereotype wirksam.“ „Bei Meyer sind „die Männer durchgehend notgeil und haben die Frauen entweder einen „guten“, einen „sehr guten Tuches“ oder einen „Übertuches““. (Caspar Battegay, ZEIT) Laura heißt jetzt Hulda.

Caspar Battegay, ZEIT: Der zweite Wolkenbruch-Roman: Dümmlicher Kitsch

Wolkenbruch – der Film

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Albig
26. August 2019, 15:24
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Jörg-Uwe Albig: Zornfried

albigzornfriedDie Idee ist gut. Jörg-Uwe Albig schickt den Reporter Jan Brock in die Höhle des Braun-Bären auf die Burg Zornfried, wo der Verleger und Rechts-Impresario Freiherr von Schierling (!) mit seiner Entourage haust und wo auch Storm Linné völkisch dichten soll. Die natonale Trutzburg im Spessart. (Es könnte auch Schnellroda sein.) Brock ist auf die Werke von Linné gestoßen und hat eine entlarvende Kritik publiziert. Jetzt hofft er, auf den Dichter selbst zu treffen, mietet sich im Ortsgasthof ein und sucht die Burg auf in der Hoffnung, an Ort und Stelle Abgründiges über Zornfried zu erfahren. Dass er dort wohlgelitten ist, erwartet er nicht. Beides wird unterlaufen, der Empfang ist offen.

Wo rausches flamme wissen sehn und nährt
Wo schwarzes Blut aus hehren höllen fließt
Wo fleisches dickicht eitlen flug beschwert
Und purpur-wurz aus tiefsten tiefen sprießt –
Dort stößt der drud auf seinen eignen grund
Den fremder rassen schleichen nie betrat
Mit Faustens willen und Mephistos mund
Die Seele lodernd und den arm bereit zur tat.

 Storm Linné, Höllenheil

Jedem kurzen Kapitel stellt Albig ein von ihm selbst verfasstes Gedicht Linnés voran: Wald- und Boden-, Blut- und Wiesen-Lyrik, übelstes Nazi-Geschwülst in zunehmend abstoßender Gleichheit und rechter Einfalt. Abgeschmackte Gravität, weihevolles Geseier in Schleife. Stilvorlage: stefan george. Brock „wusste plötzlich, dass ich diese Gedichte nur noch jetzt lesen konnte, hier in diesem Wald, dass sie mir in der Zivilisation vollends unerträglich wären.“

Die oberste Tür musste in die Werkstube führen, und tatsächlich glaubte ich, hinter ihr Geräusche zu hören, ein Hus­ten, das Knarren eines Stehpults, womöglich das Krat­zen einer Feder. Ich klopfte. Dann atmete ich durch und hörte nur noch Stille.
Aber es war eine Stille, die zu wachsen schien. Sie fühlte sich prall an, ein Luftkissen, das sich ausdehnte, den Turm ausfüllte und sich anschickte, mich an die Wand zu pressen. Ich drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen. Und ich fühlte mich wie nach drei Minuten unter Wasser, als ich meinen Posten aufgab und endlich die Wendeltreppe wieder hinunterstieg.
An einem Fenster mit Bleiglasscheiben blieb ich stehen. Ich war mir sicher, unten im Burggarten ei­nen Mann zu sehen. Ich sah es genau: die gebeugte Gestalt, den Oberkörper, der sich bei jedem Schritt neigte und wieder erhob, das heilige Wanken von Be­tern in Klöstern oder Moscheen. Ich sah den hohen schwarzen Kragen, der starr aus dem schwarzen Rad­mantel stieg, und die linke Hand, die sich hinter dem Rücken öffnete und schloss. Und in der Rechten hielt er tatsächlich ein Buch, einen schmalen Band mit flo­ral dekoriertem Umschlag.

Jan Brock erlebt auf Zornfried ein Spektakel, das so viele Facetten braunen Treibens aufweist, dass ihm selbst recht schwummerig wird. Rituelle Versamlungen, Horden reduzierter T-Shirt-„Bubis“, die im Burghof Kampftänze trainieren, nationale Waldwiedergänge nach Vorlage von Ernst Jünger, FriggaGudrunEdeltraud, die diensteifrigen Töchter des Burgherrn magische Pilze, geheimnisvolle Phantasmagorien des Dichters. „Eine Säulenhalle, sagte Schierling ergriffen. Ein gotischer Dom, asketisch, vergeistigt, himmelstrebend. Nicht das Geduckte der romanischen Kirchen. Die romanische Seele hat keinen Sinn für den Wald.“ Je länger ich lese, desto mehr wiederholt sich auch das Blendwerk und desto mehr ermattet es – auch den Leser. Auch die vielen Gedichte, eine Fleißarbeit Albigs, die ihm viel investierten Ekel abverlangt haben, töten Nerven und werden in ihren multiplen Variationen und Stabreimen wohl gerne überlesen.

Lächelnd schlug die Grüne die Augen nieder. Dann hob sie den Blick und schaute in die Runde. Im März, sagte sie. Und in gedämpftem, fast verlegenem Ton präzisierte sie: Im lenz-mond wenn die ernste ernte keimt.
Was erwarten Sie von diesem Abend, fragte ich.
Haben Sie den Meister schon einmal gehört, gab die Schwarzgoldene zurück. Ihr schmaler Blick schweifte zum Thronsessel, als säße der Dichter schon darauf. Wer nur das Buch aufschlägt, sagte sie, so kostbar es gebunden ist, erfährt nichts. Er sieht Buchstaben, Buchstaben in genialen Kombinationen sicherlich, aber immer noch Buchstaben. Er liest heilige Wör­ter, die aber Wörter bleiben. Er liest erlesene Sätze, die doch am Ende des Tages nichts weiter sein können als Sätze. Man muss den Meister erleben, sagte sie mit stufenlos steigender Stimme, man muss ihn erfahren. Dann erfährt man das Leben.

Auch die Konkurrenz-Journalistin Jenny Zerwien ist keine Hilfe bzw. Erlösung, sie lässt sich so zu sehr auf das böse Spiel ein, dass sie sich auf Zornfried einquartieren lässt.

Jörg-Uwe Albig führt die Satire nicht zur erlösenden Enlarvung, sie versickert in den kuriosen Klischees. Die Realität ist raffinierter. Die Rechtsmystiker des 21. Jahrhunderts kennen die Kodes und kleiden sie neu ein. Albig dekodiert die oldschool-Mythen, die als Atavismen natürlich auch in die internetbasierten Stätten überlebt haben. Blondie erscheint auf dem Cover gedoppelt: einmal ist die Stickerei im Rahmen als domestizierte Ikone.

Aber es geht gar nicht um eine Satire auf braune Mystik, vorgeführt werden sollen die Medien. „Jörg-Uwe Albig hat ein Buch geschrieben gegen die Obsession einzelner Journalisten mit rechtem Denken. Und er triggerte damit eine Obsession einzelner Journalisten mit rechtem Dichten. Vielleicht hat er mehr mit seinem Protagonisten gemein, als ihm lieb sein kann.“ (Oskar Piegsa) Dass der Reporter mit seiner „Homestory“ „dem Dichter weit über dessen eingeschworene Fanbasis hinaus Prominenz verschafft und auch unfreiwillig neue Anhänger zutreibt, darf den Reporter nicht irritieren. Er tut, wie man in Deutschland so sagt, nur seine Pflicht“, schreibt Albig in einem Gastbeitrag im Spiegel. Für Aufmerksamkeit sorgen auch die Protestanten, die vor Zornfried auflaufen. Hier geht es dann auch um das Thema, ob man „Mit Rechten reden“ soll. So die Überschrift von Albigs Text – und der referentielle Buchtitel von Steinbeis, Leo und Zorn.

Wie nicht zu vermeiden, ist der Grusel faszinierender als seine Dekodierung. Jörg-Uwe Albigs „Zornfried“ muss genauso ins Leere bzw. in die Irre laufen wie all die Einladungen rechter Geister in Talkshows.

Barbaren sind wir roh von fleisch und seele
Zersotten nicht in süßem sud noch seim
Versklavt nicht von der heuchler feiger zunge
Gelähmt nicht von des mitleids zähem leim
Wir greifen an. Und wenn die welt in flammen
Und morsche mauern rauchen schwarz im land
Dann lassen wir die fachel nicht verglimmen
Und setzen singend eignen leib in brand.

2019             160 Seiten

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Schimmelbusch
29. Mai 2018, 15:58
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Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland

Eschimmelbuschs ist nirgends exakt definiert, was ein Roman zu sein hat. Wenn dazu eine Handlung, die Entwicklung und Konflikte von Personen gehören sollten, dann streift Alexander Schimmelbusch das Genre nur am Rande. Der „Held“ Victor (sic) ist zu Beginn Banker und am Ende tot, doch so sehr er die meiste Zeit über nur die von „Statusmarkern“ zusammengehaltene Maske ist, so wenig ist das Ende anders begründet als durch die dem Text vorgegebene Seitenzahl. Bindungen kann der Zwangs-Individualist schon deshalb nicht eingehen, weil das die neoliberalisierte Laufbahn nicht vorsieht – und selbst seiner Tochter Victoria (!) wagt er sich nur geschützt durch Markenmasken unter die Augen. Wo aber verpflichtende Beziehungen ohne die Knute der Life-Bestylung nicht denkbar sind, ist ein Konflikt des Protagonisten mit der Umwelt von Mensch & Gesellschaft obsolet.

Schimmelbusch und sein Victor wären besser als im Roman auf der Bühne aufgehoben: als Unterhaltungskünstler im Pointenfeuerwerk. Allerdings fänden da wohl viele der Überspitzungen keine Abnehmer, da alles viel zu schnell geht. Beim Lesen möchte man sich mehr Zeit nehmen und die hochelaborierte Prosa mit beträchtlicher Bewunderung und hohem Vergnügen genießen.

Der Text zerfällt in 3, vielleicht auch bloß 2 ½ Teile. Zunächst entlarvt sich Victor selbst durch Berichte von seinen Lifestyle-Orgien. Das Leben, das ist der Job, das sind Kontakte im und für den Job und das ist der Markenozean. Der Job:

Bei der Birken Bank, “die auf M&A spezialisiert war, Mergers & Acquisitions, also Fusionen und Übernahmen (…) war Victor für coverage zuständig, (…) Victor war zuletzt Head of German Investment Ban­king bei der UBS gewesen, mit einem Angebot zum Wech­sel zu Morgan Stanley und dem geheimen Vorhaben, sich mit 40 Jahren zur Ruhe zu setzen. Er hatte 102 Wohnungen in Berlin erworben, in Gründerzeithäusern am Luisenstäd­tischen Friedhof, mit einem Blick über Mausoleen auf die Hangarbauten des Flughafens Tempelhof in naher Ferne.

Die Frauen, die Ehe, die Familie und weiteres Chichi:

Antonia und er waren vor allem deshalb ein Paar geworden, da Victor sie zum richtigen Zeitpunkt getroffen hatte. Er war in einem Zustand gewesen, in dem er eine Freundin gebraucht hatte, im Sinne einer mit ihm befreundeten Person, einfach irgendeine Form der Nähe, um sich gegen die Depression zur Wehr setzen zu können, die das Resultat seiner damaligen Phase destruktiver Arbeitsbelastung gewesen war – einer finsteren Wolkendecke der Grenzerfahrung, durch die er sich hatte kämpfen müssen, um in das strahlende Licht des Reichtums emporzuschweben. (…)Ihre Beziehung hatte acht Jahre lang gehalten, obwohl sie aus Victors Per­spektive nicht auf Dauer angelegt gewesen war, was weniger mit Antonia und mehr damit zu tun gehabt hatte, dass eine Konstante in seinem Leben schon immer das Gefühl gewe­sen war, sich gerade in einer Übergangsphase zu befinden.

Und so entstanden Fliehkräfte in diesen Ehen, die als Allianzen autonomer Einheiten angelegt waren, da die Ab­wesenheit aller Erwerbszwänge die Ehefrauen mit der Ver­suchung konfrontierte, ihre Männerberufe aufzugeben, um fortan ihren Interessen nachzugehen. Um sich zu emanzi­pieren vom gesellschaftlichen Zwang, eine Führungsfunk­tion im Risikomanagement oder im Devisencontrolling auszuüben.

Um endlich etwas Kreatives zu machen – ein Bedürfnis, das Victors Einschätzung zufolge im Hochtaunuskreis in den kommenden Jahren zu einem Boom im Bau und der Vermarktung hochwertiger, aber kompakter Bungalows führen würde, klassischer Erstfrauen-Bungalows in bewal­deten B-Lagen, deren Bewohnerinnen im Heilklima gegen das seelenlose Surren ihrer Töpferscheiben würden antrin­ken können.

Seine Affäre Maia Maia hatte er zum ersten Mal in Moskau gese­hen, auf seinem iPhone, während einer Besprechung. Sie war durch die Lücke in der Hecke in seinen Garten ge­kommen, wo sie die Bewegungsmelder und somit die Alert­Funktion seiner Cribz-App aktiviert hatte. Auf seinem Touchscreen hatte er sie dabei beobachten können, wie sie durch seine gläsernen Außenwände sein Interieur begut­achtet hatte.

Sie hatte nur ein langes T-Shirt getragen, und Victor hatte sich gefragt, was sie wohl darunter angehabt hatte – nichts? Einen String von La Perla? Einen weißen Baumwoll­slip wie seine Freundinnen in der Schule damals? Bevor er sich im Detail Maias Irokesen hatte ausmalen können, hatte er mehrfach seine große Lampe an- und ausgeschal­tet, woraufhin sie panisch geflohen war und Victor manisch aufgelacht hatte – dies war in einem Meeting mit dem Stra­tegiechef der Gazprom gewesen.

Zu seinem Haus am Taunusrand fährt er in seinem Porsche ‚Shere Khan’ „mit 24 Lautsprechern und einem Armaturensektor, dessen Lederverkleidung allein so viel wie ein VW Polo gekostet hat“.

Nach gut 100 Seiten wird nicht nur Victor, sondern auch der Leser des hohlen Esprits überdrüssig. Der Leser könnte zuklappen, Victor beginnt ein Manifest zu schreiben. Er entwirft auf etwa 30 (Buch)-Seiten eine Art Regierungsprogramm zwischen dem “auch nach drei Litern Lem­berger meist noch luziden Gründervater” Ludwig Erhard und einer streng neoliberalisierten Grün-SPD, “unsere Bewegung heißt Deutschland AG” und bezweckt “die Reifung des deutschen Staates zum Unternehmer“ und sie “verfolgen die Zielsetzung, Wohlstand für alle zu schaffen”. Das Programm ist streng national(istisch): “Nur mit einer effi­zienten Allokation nationaler Ressourcen wird die Politik ihre zentrale Aufgabe erfüllen können, nämlich die Verbesserung der Lebensumstände aller deutschen Bürger zu gewährleis­ten.”

„Er wischte über das Touchpad, um sein Laptop zu wecken, und ein leeres Dokument erschien. Im Kern würde er wie immer einen Pitch des Genres »Strategische Optionen« schreiben, mit dem er sich diesmal aber nicht an einen Funktionsträger, sondern direkt an den Souverän richten würde. Victor hatte sich mittlerweile in eine tiefe Konzentration manövriert, und wenn man in seine grauen Augen geschaut hätte, wären die grünen Kontrollleuchten seiner organischen Mainframe-Architektur zu sehen gewesen.”

Nach diesem Kokolores folgt der Endteil, der wieder wie die Eingangsseiten konzipiert ist, nur dass Victor inzwischen die Bank verlassen hat und sich ganz seiner Tochter widmet. Die Arme! Wieder viel verbales Lifestyle-Geplänkel, ohne dass irgendwer ein anderer geworden wäre. Alles hohl wie eh, gründlich gut recherchierte Psalmodien, Insidergebabbel. Ja, nicht zu vergessen, ein Coup: Bundeskanzler ist seit 2017 “Ali Osman, der ‘Kreuzberger Kennedy’, wie ihn Caren Miosga getauft hatte.

Victor starb dann erst 15 Jahre später

Volker Weidermann zählt „Hochdeutschland“ zu den drei besten deutschen Büchern dieses Frühjahrs: „Schimmelbusch hat einen wahnsinnig lustigen, bösen, politisch klugen Untergangs- und Aufbruchsroman geschrieben.“ Im besten Sinn ist der Roman eine deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, schreibt Jens-Christian Rabe in der SZ. „’Hochdeutschland’ müsste man den politischen Roman zur Zeit nennen, wenn das nicht so abgenutzt klingen würde.“ „Was der Roman bietet, ist Material für lesenswerte Essays und Glossen, die vielleicht eine geeignetere Textform gewesen wären für Schimmelbuschs durchaus interessante Theorien und Einblicke. So bleibt dem Leser die Welt der Banken und Manager so lebensfern, wie sie es immer war.“ (Hendrik Lullies, NDRkultur)

Lustig ist der Text wohl, aber ich lese zu viel vom Gleichen. Das Böse und Politische beschreibt und beklagt den öden Schein, nicht viel mehr. Ein „Roman zur Zeit“ ist „Hochdeutschland“ insofern, als der Plot „an der zweifelhaften Oberfläche des schnellen, reichen Lebens [seines] Protagonisten“ (Norbert Frei) hängen bleibt und diese von innen heraus zelebrierend zersetzt. Das „Manifest“ ist nicht eingebunden und in seiner liberalpopulistischen Tendenz doch sehr wurschtig. Eine „deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs ‚Unterwerfung’“ liefert Schimmelbusch nicht. Bei aller Ignoranz von Houellebecqs Protagonist François ist der doch ein ernsthaft Suchender, kein Knallhallodri wie Victor; dass ein Muslim Regierungschef ist, ist eine Parallele, bei Schimmelbusch ist das Thema aber nicht ausgeführt. Mit „Hochdeutschland“ kann man keine Politik machen und auch keine Zeiterscheinungen eingehend kritisieren. Zeitgeist.

2018           215 Seiten

Leseprobe beim Verlag Klett-Cotta

Infos zum Buch der Woche beim „freitag“

 

2/4-5



Binet
25. Juli 2017, 16:55
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Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion

binetKommissar Bayard hat einen neuen Fall. Ein Mann ist von einem Lieferwagen mit bulgarischem Kennzeichen angefahren und lebensbedrohlich verletzt worden. Der Verletzte ist nicht irgendwer, sondern Roland Barthes, der bekannte (?) Wissenschaftler, einer der renommiertesten Poststrukturalisten. Also ein Mordversuch. Barthes soll ein Papier bei sich getragen haben, es soll sich um die rätselhafte 7. Sprachfunktion des Linguisten Roman Jacobson gehndelt haben, aber der Zettel ist weg. Bayard hat von (der) Wissenschaft keine Ahnung und heuert den jungen Studenten Simon Herzog als „Gehilfen“ an. Er soll ihm die Sprache der Strukturalisten übersetzen.

Das Aufklärungsduo erfüllt natürlich alle Klischees des Genres, doch sind die kriminalistischen Ermittlungen randständig, sie legen nur einen gefälligen Faden durch die persönlichen Wirrnisse der Wissenschaft. Immer, wenn sie mögliche Betroffene befragen wollen, ergeben sich skurrile Situationen, in denen die Heroen des Poststrukturalismus an unerwarteten Orten mit ihrer dort funktionslosen Sprache allein gelassen werden. Die Linie führt zu Barthes in die Intensivstation der Klinik, auf Foucault stoßen sie in der Männersauna, zu Umberto Eco fliegen sie nach Bologna, zu John Searle ans Ithaca College, zum Personal gehören auch Philippe Sollers und seine Frau Julia Kristeva, Bernard-Hénri Levy (BHL), Jacques Lacan und ihrer mehr. Im Tross finden sich undurchsichtige Japaner und Bulgaren und die üblichen maghrebinischen Strichjungen. Die Treffen gestaltet Binet als phantasmogorische Kasperltheater mit Drogen-Sex-Strukturalen Delirien, Walpurgisnächte national- und kulturstereotypischer philosophischer Hexenmeister. Die Ermittler werden eingestrudelt, die Frauen erfüllen ihre Rolle.

Auf einmal ist aus dem Krankenzimmer Lärm zu hören. Bayard macht die Tür auf, er sieht Barthes von Krämpfen geschüttelt, er redet im Schlaf, und die Krankenschwes­ter versucht, ihn zu beruhigen. Er spricht davon, wie der Text «bestirnt» wird: «Wie bei einem winzigen Erdstoß werden die Bedeutungsblöcke auseinandergetrieben, von denen die Lektüre nur die Oberfläche wahrnimmt, die un­merklich durch den Fluss der Sätze, durch den geschmei­digen Diskurs des Erzählens, durch das Natürliche der geläufigen Sprache zusammengeschlossen wird.»

Bayard lässt sofort Simon Herzog rufen, damit er ihm das übersetzt. Barthes wird immer unruhiger in seinem Bett. Bayard beugt sich zu ihm und fragt ihn: «Monsi­eur Barthes, haben Sie Ihren Angreifer gesehen?» Barthes schlägt die Augen auf, packt ihn am Nacken und erklärt mit verrücktem Blick, heftig schnaufend, von Angst zer­fressen: «Der Bezugssignifikant wird in eine Folge sich untereinander berührender kurzer Fragmente aufgeteilt, die wir hier, weil es Leseeinheiten sind, Lexien nennen. Diese Aufteilung wird, das muss gesagt werden, eine sehr willkürliche sein. Sie wird methodologisch nichts zu verantworten haben, denn sie betrifft den Signifikanten, während die vorgelegte Analyse sich nur auf das Sgnifikat ausrichtet …» Bayard sieht Herzog fragend an, der zuckt die Achseln. (…) Barthes ist nun am Rand der Hysterie und schreit, als ob es um sein Leben ginge: «Alles ist im Text! Verstehen Sie! Den Text wie­derfinden! Die Funktion! Ach, das ist zu dumm!» Dann fällt er zurück in sein Kissen.

Jacques Bayard und Simon Herzog, ein kleines weißes Handtuch um die Lenden gebunden, flanieren durch die Saunadämpfe, zwischen lauter schwitzenden Gestalten, die sich verstohlen berühren. Seinen Dienstausweis hat der Kommissar in der Umkleide gelassen, sie sind inkognito, denn falls sie ihn auftreiben, soll sich der Stricher mit dem Ohrring nicht erschrecken.
Eigentlich geben sie ein ziemlich glaubwürdiges Paar ab: der Ältere breitschultrig, behaarter Oberkörper, der mit inquisitorischem Habitus den Überlegenen gibt, und der schmächtige bartlose Jüngling, der verstohlene Blicke wirft. Simon Herzog, die Karikatur eines verschüchterten Anthropologen, weckt Begehrlichkeiten; die Männer, die ihm begegnen, mustern ihn lang und drehen sich nach ihm um, wenn er vorüber ist. Aber auch Bayard kommt ganz gut an. (…) Hinter Bayard sitzt ein Glatzkopf mit hagerem Körper und quadratischem Unterkiefer, nackt, die Arme über dem Kopf verschränkt auf einer Holzbank, die Beine breit, wäh­rend ihm ein gertenschlanker Jüngling mit Ohrring, aber kurzem Haar einen bläst. «Haben Sie etwas Interessantes gefunden, Herr Kommissar?», fragt Michel Foucault und mustert Simon Herzog. (…)Bayard: «Ich suche jeman­den, der Roland Barthes noch kurz vor seinem Unfall ge­sehen hat.» Foucault streichelt den Kopf des jungen Man­nes, der sich zwischen seinen Beinen zu schaffen macht: «Roland hatte ein Geheimnis, wissen Sie …» Bayard fragt, was für eines. Das Stöhnen in den Backrooms nimmt zu. Foucault erklärt Bayard, dass Barthes die Sexualität abend­ländisch verstand, also zugleich als etwas Geheimnisvolles und als etwas, dessen Geheimnis man auf die Spur kommen musste. «Roland Barthes», sagt er, «ist das Schaf, das Hirte sein wollte. Das war er! Und wie! Aber für alles andere. Für die Sexualität ist er immer Schaf geblieben.» Tierschreie aus den Backrooms: «Bäh -! Bäh -! Bäh -! Bäh -!»

«Denn die Wunschmaschinen bilden die fundamentale Kategorie der Wunschökonomie, bringen selbsttätig einen organlosen Körper hervor und treffen keine Unterscheidung zwischen ihren eigenen Be­standteilen und den Agenten noch zwischen den Produktionsverhältnissen und ihren eigenen Verhältnissen … » Die Worte von Deleuze durchkreuzen den Geist des jungen Mannes im selben Augenblick, wo sein Körper sich zusam­menkrampft, wo Biancas Körper abhebt, bis sie vollkom­men erschöpft über ihm zusammensackt und ihr Schweiß sich mit dem seinen vermischt.
Die Leiber entspannen sich in abklingenden Zuckun­gen.
«So ist die Phantasie niemals individuell, sondern Grup­penphantasie.»
Dem Behandschuhten gelingt es nicht, aufzubrechen. Auch er ist erschöpft, aber es ist keine gute Ermüdung. Er hat Phantomschmerzen in den Fingern.
«Der Schizophrene hält sich an der Grenze des Kapita­lismus auf. Er verkörpert dessen entwickelte Tendenz, das Mehrprodukt, den Proletarier und den Würgengel.»
Bianca erklärt Simon den Deleuze’schen Schizo und dreht dabei einen Joint. Draußen singen die ersten Vö­gel. Die beiden unterhalten sich bis zum Morgengrauen. «Nein, die Massen sind nicht getäuscht worden, sie haben den Faschismus gewünscht – und das heißt es zu erklä­ren.»

Man könnte aus dem Roman auch lernen, denn manches wird erklärt, so auch „die siebte Sprachfunktion? Si­mon, benebelt, wie er ist, merkt erst gar nicht, dass nicht etwa Bayard, sondern Eco die Frage gestellt hat. Bayard dreht sich zu ihm. Simon nimmt zur Kenntnis, dass Bi­anca ihn noch immer an der Hand hält. Eco blickt das Mädchen leicht lüstern an. (Alles kommt ihm leicht vor.) Simon versucht sich zu konzentrieren: «Wir haben allen Anlass zu der Annahme, dass Barthes und drei andere Per­sonen wegen eines Schriftstücks umgebracht wurden, das sich auf die siebte Sprachfunktion bezieht.» Simon hört seine eigene Stimme reden und hat dabei den Eindruck, da spreche Bayard.

Nach Austin ist jedes Sprechen ein Sprechakt, weil es zum einen darin besteht, etwas zu sagen, zum anderen aber auch ein illokutiver oder perlokutiver Akt ist, der über den rein verbalen Austausch hinausgeht, weil er etwas bewirkt, also eine Handlung zur Folge hat.
Es handelt sich um die Fähigkeit bestimmter Aussagen, im Sprechakt selbst das zu realisieren (Eco sagt «aktua­lisieren»), was sie aussagen. Wenn zum Beispiel der Bür­germeister «Ich erkläre Sie zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten» sagt oder wenn der Lehnsherr jemanden adelt mit den Worten «Ich schlage dich zum Ritter» oder wenn der Richter «Ich verurteile Sie» sagt, wenn der Vorsit­zende einer Versammlung «Ich erkläre die Versammlung für eröffnet» sagt, ja selbst wenn man jemandem «Ich verspreche es dir» sagt, dann tritt mit dem Aussprechen dieser Sätze bereits das ein, was sie aussagen.
Eco setzt seine Erläuterungen fort: «Also, stellen wir uns einmal vor, die performative Funktion würde sich nicht auf diese wenigen Beispiele beschränken. Stellen wir uns eine Sprachfunktion vor, die sehr viel extensiver ir­gendjemanden davon überzeugen könnte, irgendetwas in irgendeiner Situation zu tun.»
10 Uhr o6.
«Wer diese Funktion kennt und beherrscht, wäre prak­tisch der Herr der Welt. Seine Macht wäre grenzenlos. Er könnte sich bei jeder Wahl wählen lassen, könnte die Mas­sen mobilisieren, Revolutionen auslösen, Frauen verfüh­ren, jedes beliebige vorstellbare Produkt verkaufen, Impe­rien errichten, die ganze Welt betrügen, alles bekommen, was er will.»

Binet spielt und führt seine spielerische Kompetenz vor, indem er die Hohlheit der Aussagen verdoppelt, indem er den Figuren die Schauplätze zuweist, indem er die Koinzidenzen verwirbelt. Das Jahr ist 1980: Da kam Barthes ums Leben, da forderte ein Erdbeben in Süditalien fast 3000 Opfer, in Bologna lehrte Umberto Eco und sprengten Faschisten den Bahnhof in die Luft und töteten 85 Menschen. Binets Akteure sind immer mittendrin, was manchmal makaber ist. 1980 befand sich François Mitterrand im Wahlkampf mit Giscard d’Estaing und wird zur Romanfigur:

Giscard verhaspelt sich immer mehr.
Simon zieht sein Resümee: «Mitterrand hat die siebte Sprachfunktion gefunden.» (…)
Simon versteht. Mitterrands Ziel war ein Nahziel: Giscard im TV-Duell zu schlagen.“

Und hier wird’s etwas krude und der Roman entzieht sich selbst sein Fundament und löst sich in Verkrampfungen auf. Die Verknüpfung von Politik und Sprachtheorie ist ein arg oberflächlicher Gag, den Binet auch zu lange am Köcheln hält. Die Rhetorik-Duelle im “Logos-Club” spinnt er aus, wiederholt die Treffen in der Geheimloge mit ihren humorig-blutigen Ritualen, die Lust am Parlieren weitet sich vom Jargon der Linguisten ins Englische und mit Vorliebe ins Italienische. Der Roman strotzt von Anspielungen, Referenzen und Spitzen, alles wird zum Symbol, man überliest viel. Natürlich ist “Die siebte Sprachfunktion” zu lang, aber trotz sich ähnendeln Humormechanismen wiederholt vergnüglich.

Der Roman von Binet ist eine Satire. Man muss nichts von Poststrukturalismus oder Sprachfunktionen wissen, um ihn lesen und verstehen zu können, dass Binet die Philosophen und ihre Sprachperformanzen veruzt. „Binet überzeichnet seine Figuren dabei ins Groteske: Tendenziell taktlos und mit durchaus erfrischender Respektlosigkeit entlarvt er ihre Eitelkeiten, internen Hahnenkämpfe, festgefahrenen Konflikte und unerfüllbaren Geltungsbedürfnisse. Doch vom Grotesken zum Klamauk ist es immer nur ein kurzer Weg, und Binet lässt die Phantasie ein wenig zu oft mit sich durchgehen.“(Patrick Kilian, foucaultblog)

Simon Herzog ist zum Semiotiker avanciert: „Meiner Meinung nach gibt es zwei große Herangehensweisen. Die Semiotik und die Rhetorik, verstehen Sie? (…) Die Semiotik hilft verstehen, analysieren, dekodieren – sie ist defensiv, sie ist Borg. Die Rhetorik ist dazu da, zu überreden, zu überzeugen, zu besiegen – sie ist offensiv, sie ist McEnroe. (…) Die Semiotik ist wie Borg: Es reicht, den Ball ein einziges Mal mehr zurückzuspielen als der Gegner. Die Rhetorik, das sind die Asse, Volleys, Spin- und Longline-Bälle, aber die Semiotik, das sind die Returns, Passierschläge und Lobs“ .

2015            525 Seiten

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag

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Ruge
15. September 2016, 18:42
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Eugen Ruge: Follower

rugefollower2011 hat Eugen Ruge die Geschichte einer (seiner) Familie erzählt, über drei Generationen, am 1. Oktober 1989 kreuzen sich verblichene Vergangenheit und sehr vage Zukunft. Die Gegenwart findet in der Küche statt, die Burgundergans wird noch einmal augetischt.

2011 war Ruge fast 60 Jahre alt, er hatte sich sein Thema lange aufbewahrt: Warum bin ich so einer geworden, wie ich einer bin – und hat mein Schicksal vielleicht etwas mit der Welt außer mir oder gar mit meiner Familie zu tun? Ist die Familiensaga im Buch, gbit es nichts mehr zu schreiben. Dachte ich, doch der Erfolg war groß, „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ erhielt den Deutschen Buchpreis. Folgeromane sollten her.

2016 veröffentlicht Ruge den Roman „Follower“. Und das Thema des Romans ist die Familiengeschichte, die eigentlich schon erzählt schien. Ruge schreibt sie weiter. Und sein Bezugsrahmen ist diesmal nicht das 20. Jahrhundert, sondern – die Geschichte des Universums. Darunter gehr’s nicht. Ruge „will die Geschichte nicht vom Urknall an erzählen“,  aber “ich erspare Ihnen zum Beispiel die Erklärung dafür, warum die Erzählung erst 5,391.10-44 Sekunden nach dem Urknall beginnen kann”. Er überschreibt die Geschichte mit “GENESIS/KURZFASSUNG“ und er will damit erläutern, weshalb „unser Held“ eigentlich ein Produkt irrsinniger Unwahrscheinlichkeiten ist „Wäre die Expansionsgeschwindigkeit des Univer­sums im Moment nach dem Urknall jedoch nur um ein Hunderttausendmillionstel Milliardstel kleiner gewesen, sagen die Wissenschaftler, so wäre das Universum wieder in sich zusammengestürzt, bevor es auch nur die Größe eines Tennisballs erreicht hätte. Ist das nicht erstaunlich? Wären Protonen nur zwei Tausendstel schwerer, als sie es tatsächlich sind, hätten sie sich nicht zu stabilen Atomen formieren können, und die Welt, wie wir sie ken­nen, wäre niemals entstanden.” Ruge ist Mathematiker und weiß alles plausibel zu berichten, auch wenn dann doch der Mensch entsteht und seine Gechichte macht, durch die Antike und den Dreißigjährigen Krieg und den Sozialismus bis zur “fehlenden Pille”. Lauter Zufälle, damit der “Held” auftreten konnte,geboren  am 1. September 2016: Nio Schulz.

Die GENESE währt 53 Seiten, nicht so viel bei den 320 Seiten des Buches. Der Hauptteil des Romans spielt im Jahr 2055, Nio Schulz ist 39, erhält sich als “Associative Agent bei CETECH (Honorar Basis)” einer Firma für “True-Barefoot-Running-Fuß­bänder” in China auf und soll “kollektive Identitäten” verkaufen. Was Nio Schulz nicht ist: ein Held. Er ist passiv, denn der Roman hat keine Handlung, der Leser darf/muss einen Tag im hektischen Leben des Nio Schulz miterleben. Die Hektik entspringt der omnipräsenten und unentgehbaren Kommunikation mittels der nutzbaren und gewinnbringenden “sozialen” Medien. Was Ruge als den Zustand des Jahres 2055 aufhäuft, ist allerdings der Zustand von 2016. Ruge erfindet nichts (wenig) neu für die Zukunft, er verdichtet die Verhältnisse der Gegenwart, wodurch er immer wieder amüsante Effekte erzielt. Die inhärente Kritik lässt eine durchaus reaktionäre Einstellung mitschwingen. Er tischt auf, was alle kennen und worüber sich alle aufregen. Der Leser wird zur Mitverschörung gefangen, eine recht billige Methode.

Oberstes WTO-Schiedsgericht bestätigt das Recht auf wirtschaftliche Verwertung des eigenen Todes,
las Schulz, aber bevor er sich fragen konnte, was mit dem Recht auf wirtschaftliche Verwertung des eigenen Todes gemeint sein könnte, verblasste die Meldung schon wie­der und vor dem grauen Himmel erschien in gelber Schrift ein neuer Tweet von @Luzia, die der Welt mitteilte, ihr Kokos-Bounty-Kuchen sei angebrannt,
gefolgt von einer Mitteilung von @FemFatal, die unter dem Hashtag #schulz twitterte: g+±fwh
und obwohl natürlich der andere, der zurückgetretene Afro-Schulz gemeint war, empfand Schulz erneut eine ge­wisse Irritation angesichts der Tatsache, dass sein Name Ziel einer solchen Verwünschung geworden war, zugleich aber auch Zufriedenheit darüber, dass es ihm noch immer gelang, die kryptische Sprache der Jungmenschen zu ent­ziffern:

Geh sterben fetter weißer Hetero.

aber das war wahrscheinlich schon wieder paranuic4 dachte Schulz und wandte sich wieder dem Compact über Die Bedeutung der Marke im postpostmateriellen Zeitalter zu, entschlossen, sich nicht weiter ablenken zu lassen,
weder von Chinesen, die elektrische Goldfische fischten, noch von angeblich verstorbenen Großvätern, weder von Startuppern und Echthornbrillen noch von Erinnerungen an den desaströsen Abend mit Sabena im Flughafen-Hotel Frankfurt – später, nach dem Termin, würde er genügend Zeit haben, darüber nachzudenken, den ganzen Rückflug hätte er Zeit, darüber nachzudenken, und vielleicht wäre ja das ein Thema für sein AKW-Bekenntnis, dachte Schulz, vielleicht sollte er den Mut haben, darüber zu reden: das Schlimmste, sagte Stony immer, sei gerade schlimm ge­nug, nur was hatte das mit weißmännlichhetero zu tun,
fragte sich Schulz, wahrscheinlich hatte es gar nichts damit zu tun, wahrscheinlich war das einfach nur krank, dachte Schulz, wahrscheinlich würden sie ihn einfach nur für verrückt halten, wenn er ihnen erzählte, dass er, wenn er Sabena nach drei oder vier Wochen wiedersah, eine geschlagene Stunde lang immerzu auf ihre Hände star­ren musste, weil sie ihm auf einmal vorkamen wie kleine Schildkröten

fock you, der Hang Seng verliert zweiundzwanzig Prozent, die virtuelle Konferenz der Weltbank fordert eine tempo­räre Schließung der Börsen, Wienerwald wirbt für Leckere regionale Vegi-Gerichte, auf der digitalen Werbefläche ser­viert eine blonde Chinesin im üppig gefüllten Dirndl Zä­pfle Hefeweizen Naturtrüb Alkoholfrei, der klassische Hom­burg scheint plötzlich wieder in Mode zu sein, ein Mann trägt einen Stahlhelm, ein anderer hat eine Art Fara­day’schen Käfig um seinen Kopf (mit Aussparungen für die Ohren), was ist los, Heter, redest du nicht mit mir, Schulz deaktiviert das CETECH-Plug-in, aber Jeff ist noch immer zu hören, jetzt zupf dir mal nicht die Härchen aus dem Sack, ein Arsch mit lebensecht aufgenähten Herzchen-Taschen wackelt vorbei, auch fotoidentische Scheintitten sind wie­der zu sehen, biege rechts ab und passiere den Sti-Wens­Platz, sagt Lau Dse, Schulz erkennt das bunt gemusterte Dach des Stephansdoms, wenn auch nur in Miniatur, wo bist du überhaupt, Heter, ein als Roma oder Sinti oder Je­nischer oder Angehöriger einer anderen zur Dauermigra­tion gezwungenen Bevölkerungsgruppe Europas Verklei­deter spielt auf der Geige Musik der Roma oder Sinti oder einer anderen zur Dauermigration gezwungenen Bevölke­rungsgruppe Europas, die Schulz aber nicht hört, weil ihm der Sänger von Anderdok ins Ohr brüllt, nur für gelegent­liche Meldungen wird die Musik kurz zurückgefahren: Punkt zehn Uhr achtzehn südaustralischer Zeit findet planmäßig die klimaregulierende Großsprengung auf dem australischen Kontinent statt, der transpazifische Rat bedauert, die Vorsitzende der Großen Mitte-Links­Rechts-Partei erklärt, der #AufschreiGegenRassismusBei@ dpa schafft es unter die Top Ten der Tagesnews, @dpa verliert zweiunddreißig Prozent, @Luzia gibt ihren Klar­namen und ihre Adresse bekannt, sie heißt Sarah Klump und wird sterben, wenn keiner von euch Arschlöchern die Nothilfe ruft, es gibt plötzlich Headshops am Straßenrand, hier kann man – in geringen Mengen – legal Alkohol kau­fen, Wienerwald wirbt für original Tofu-Eisbein, saftiges In­vitro-Rippchen auf Kraut, Kaiserschmarrn eifrei milchfrei mehlfrei und ohne Zucker

usf. Das liest sich gar nicht so mühsam, wie es scheint, wird  aber mehr und mehr zäh, da kein Fortgang zu erkennen ist. Ruge nennt “Follower” einen Roman in 14 Sätzen, es gibt ja auch im Leben keine Zwischenräume mehr, keine Freiräume, denn alles muss in Echtzeit erfahren werden, muss “pisi” sein, p.c., politisch korrekt. Ruge erlaubt sich, das zu unterlaufen, er lässt seinen Follower (Achtung: doppeldeutig) Nio auf “fotoidentische Scheintitten” starren. Fürs Jahr 2055 erfindet Ruge einen „Transit-Schutzwall“ gegen „Restwelt-Migranten„, „klimaregulierende Großsprengungen“ in Australien und einen Trend zur „Eigengeburt„, Behinderte heißen pisi „Sonderbefähigte„, es gibt „Männerfahrstühle“ und eine „Große Mitte-Links-Rechts-Partei„, die sich für die Sicherheit der Spareinlagen verbürgt. Das liest sich wie eine Parodie der Gegenwart. “Follower” ist doch eher ein gelehriger Alttmännerroman. Wobei Roman als Genre kaum zutrifft, da die Handlung fehlt und die “Urknall”-Geschichte der Sippe nicht mit dem in China Ertragenen verwoben ist.

„Karikierend wird die Gegenwart überhöht, aber richtig böse gerät die Satire nicht. Denn im Grunde wird nur in die Zukunft fortgeschrieben, was heute schon der Fall ist (…) So ist Follower zwar ein streckenweise kurzweiliger Big-Data-Krimi. Aber mehr als von den Gefahren, die wir aus der Google-Welt schon kennen, erzählt er uns nicht.“ (Edelgard Abenstein, Deutschlandradi Kultur)

Zum Schluss das bisschen “Selbstironie”Ruges. Nio erfährt

dass der Mann ein bekannter Schriftsteller gewesen war – tatsächlich war sein Großvater dieser Tätigkeit nachgegangen, allerdings war Schulz nicht bewusst, dass er bekannt gewesen wäre,
dass er die folgenden Bücher geschrieben hatte – nun kamen verschiedene Titel, die Schulz alle nicht kannte, allerdings wunderte es ihn, dass sein Großvater, der nicht mal ein Smartphone besessen hatte, ein Buch mit dem Titel Follower geschrieben haben sollte,
und dass er nach seinem, wie es hieß, internationalen Erfolg zunehmend globalisierungskritisch und fortschrittsfeindlich geworden war, was wiederum auf den Großvater zu passen schien, allerdings: waren Schriftsteller nicht sowieso globalisierungskritisch und fortschrittsfeindlich?

 

2016         320 Seiten

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Rosendorfer
27. Oktober 2012, 13:25
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Herbert Rosendorfer: Deutsche Suite

Bayern im Jahr 1918. Kurt Eisner kommt nicht vor, also kann er auch nicht die Republik ausgerufen haben und somit bleibt Bayern Monarchie. Da die vormaligen Herrscher Prinzregent Luitpold und Ludwig III. schon tot oder bereits zu alt sind, erfindet sich Rosendorfer seine eigene Genealogie und scheut sich hierbei nicht, die verbürgten Monstrositäten zu potenzieren. Im Mittelpunkt der „Deutschen Suite“ steht ein 1933 (!) geborener Otto, genannt Ottito, später Otto II., Sohn von Luitpold I., dessen Schicksal es will, dass er so viele „Wachstumsschübe“ durchläuft, bis er zu einer Größe von 2,60m angeschwollen ist. Einen solchen jungen Mann will man der Öffentlichkeit nicht zeigen, aber mangels eines anderen Anwärters muss man ihn schließlich präsentieren. Da hilft zunächst ein perspektivisches Gewand. Das zweite Hauptmonster ist ein Sohn von Ottitos Tante Emilie, Hermannfried Schneemoser, er soll im Fasching von einem als Gorilla verkleideten Unbekannten gezeugt worden sein, es geht das Gerücht, es könne auch ein wirklicher Gorilla gewesen sein. Um Hermannfried abschieben zu können, ging Emilie pro forma die Ehe mit dem Maler Schneemoser ein, daher auch der Name. Auch Schneemoser gelingt eine Karriere; nachdem er sich in einer politischen Volte den kgl. Bayerischen Sozialdemokraten angeschlossen hat, wird er zum Oberbürgermeister von München gewählt. Er engagiert Privatfriseure, als sch nach der Pubertät ein kaum zu bändigender Haarwuchs am ganzen Körper einstellt. Schneemoser und Otto II. kommen ums Leben, als sie gemeinsam die neue Münchner U-Bahn einweihen müssen.

Wenn man die Geschichte der späten bayerischen Wittelsbacher kennt, wird man genug Anregungen zu Rosendorfers Phantasien finden. Auch das Personal der Nazis zeigt sich als Monstrositäten-Kabinett, das sich weit ins Nachkriegsbayern hinüberrettet und in der CSU eine kommode Heimat findet. Selbst Hitler lässt Rosendorfer überleben, es überrascht kaum noch, dass er als Frau wiederaufersteht – bzw. immer Frau gewesen ist.

Die Nazis wissen ja nicht, was sie wollen. Gewiß, der einzelne von den Gaunern … der schwam­mige Binsenlümmel Göring, der hinkende Zwergpa­vian Goebbels, alle miteinander: die einzelnen wissen natürlich, was sie wollen: sich bereichern und fett­fressen. Hungerleider auf einer gestohlenen Kirchweih. Aber was sie alle miteinander wollen, wissen sie nicht. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
»Ob man das in dieser Schärfe sagen kann«, sagte Justizrat von Scheuchenzuber und schaute zum Fen­ster hinaus, wo das breite Inntal in der Sonne eines strahlenden Frühlingsvormittags vorüberzog, » – bevor man über der Grenze ist?«(…)
Der abgedankte König berührte sanft die Schulter einer etwa vierzig oder fünfundvierzigjährigen Frau, einer schlanken, dunkelhaarigen Frau, die ihren Kopf an ihren in die Ecke gehängten Pelzmantel gelegt hatte und schlief. Die Berührung weckte sie nicht.
»Sie regieren nicht, sie wehren sich nur«, fuhr Rup­precht fort, »und zwar gegen sich selber. Einer gegen den anderen. Drum muß der borstenlippige Halbzi­geuner -«
»Majestät!« Scheuchenzuber wies auf die Aufschrift des Bahnhofes, der eben vorüberglitt: >Fritzens-Wat­tens.<
» – darauf sehen, daß er möglichst alles und nichts gleichzeitig ist. Die ersten Jahre war er Reichskanzler. Nachdem der großmäulige Larifari von einem Hin­denburg die Patschen aufgestellt hat, hat er sich rasch auch zum Reichspräsidenten machen lassen – aber al­les nur so halbert. Führer – das ist alles und nix auch. Wenn er Kaiser wäre, könnte man ihn absetzen, um­bringen, verbannen, es müßte eine Nachfolgeregelung getroffen werden … Nein, nein, das wäre ihm zu ge­nau. Wer so wenig weiß, was er will, wie dieser Ober­salzberg-Hanswurst, muß alles im unklaren lassen, sonst schwemmt er sich quasi selber weg. Verstehen Sie, was ich meine? Wer nichts in die Händ hat, muß die Faust ballen.«(…)
Während der Zug in Innsbruck hielt, ging der König auf den Gang hinaus und beobachtete von dort aus das Treiben auf dem Bahnsteig. Niemand achtete auf den großen, hageren Mann. Scheuchenzuber war äch­zend aus dem Waggon geklettert, um zwei Portio­nen Würstchen und zwei Becher Bier zu holen. Am Bahnhof, direkt über den Aborten, war ein mit Tan­nenzweigen bekränztes Hitlerbild angebracht. Darun­ter hing ein Spruchband: >Ein Volk, ein Reich, ein Führer.<
»Schauen Sie sich ihn an, den finnigen Nasenbohrer«, sagte der König zu dem schweratmenden Scheuchen­zuber, als dieser mit den Würsteln und dem Bier zu­rückkam. »Adolf I. – Römisch-Deutscher Kaiser. Es hat schon recht viele Deppen gegeben unter meinen Ahnen selig. Aber bei so einem Gesicht … das muß ihm doch direkt selber komisch vorkommen. Der Papst ihn krönen … in Rom … Ich glaube …«, der König biß in eine Wurst, »… da hätte auch der glatzköp­fige Clown Benito was dagegen. Dieser zweite Nero, nur daß er nicht so lustig ist.«
Ein einfahrender Gegenzug verdeckte Hitlerbild und Transparent. Der Gegenzug kam aus Zürich. Aus einem Abteil schaute ein knapp achtjähriges altkluges Kind, das einen Matrosenanzug und dazu merkwür­digerweise einen grünen Trachtenhut trug. Weder be­achtete der König das Kind, noch das Kind den König.
Das Kind fuhr in dem Zug bis Wörgl, stieg dort nach München um, wurde am Hauptbahnhof von einem unauffälligen Herrn in grauem Lodenmantel abgeholt und in eine Villa in Bogenhausen gebracht. Das Kind war Hermanfried Schneemoser.

„Rosendorfer, ein in Deutschland ganz seltener Vogel, ist ein hervorragender Humorist.“ Lässt man im Klappentext Marcel Reich-Ranicki rühmen. Der Roman erschien 1972, Humoristen gibt es heute nicht mehr, ich lese die „Deutsche Suite“ 2012 dennoch mit einigem Vergnügen, denn Gruslig-Ironisch-Lustiges findet sich auf jeder Seite. Im Buch ist die Stammtafel abgedruckt, es ist reizvoll zu ermitteln, wer bloß der Phantasie entsprungen ist.

1972     285 Seiten (TaBu)

Herbert Rosendorfer:
Die Nacht der Amazonen

Christian Weber, die Zentralfigur des Romans, gab es wirklich. Er war „feister Primitivling, krimineller Schieber und Kriegsgewinnler“ (Lutz Hagestedt). Rosendorfer bebildert diesen „Typ“, um damit auch das Personal der Nazis und ihre windige Ideologie zu entlarven. Das war auch 1989 nicht mehr ganz neu, doch baut auf diese Methode der Darstellung der Nazis als Deppen ein neuer Ansatz des Umgangs mit dem Gesindel: Hitler und all die Seinen als Trottel. Die Frage, ob man damit nicht das „Dritte Reich“ verharmlost, darf gestellt werden, vor allem, weil Rosendorfer die Hintergründe ausblendet: die große“ Politik, die Außenpolitik, die Ökonomie, den Rassismus. All das kommt zwar vor, aber reduziert auf den „Alltag“, das Kleine, Banale, das Klischee. Dadurch erscheint vieles verzerrt, wird zur – vermeintlichen – Karikatur. Man ist erstaunt, dass Rosendorfer mehr gefunden als erfunden hat. Der Autor als Chronist des Lächerlichen, Aufgeblasenen, Unglaublichen, Schrecklichen.

»Mit Marmelade habe ich gesagt«, schrie Weber.
Die Kellnerin im Spöckmaier schüttelte den Kopf und ging. Die anderen vier am Tisch – Maurice, Jahn, Schüss­ler und noch einer, sie nannten ihn: den Stotterer – aßen Schweinsbraten oder Schlachtschüssel oder sonst etwas Normales. Nur Weber aß heiße Würstel mit Marmelade. Ganz gewöhnliche heiße Würstel (Wiener oder Regens­burger), nur statt Senf: Marmelade. »Weiß nicht, wer was dagegen hat? Wer sagt, daß man zu Würstl Senf essen muß. Ich mag Marmelade dazu.« Bier trank er schon. »Zuckerst du dann auch dein Bier?« fragte Jahn. »Arsch! Maul halten«, sagte Weber.
Sie verließen den Spöckmaier. Es war der 5. September 1922, ein Dienstag. Weber trug – legal, wie man weiß – seine neu erworbene Pistole im Hosenbund. »Besser wär‘ ein Halfter«, sagte Maurice, »nämlich: nur so in der Hosen … ich weiß nicht. Wenn sie losgeht, schießt du dir selber in die Eier.« »Arsch! Maul halten«, sagte Weber. Gegenüber dem Spöckmaier war ein kleines Juwelierge­schäft. Ein älterer Mann mit einem grauen Staubmantel und ein junger Mann, eher ein Halbwüchsiger in kurzen Hosen mit Hosenträgern, waren damit beschäftigt, einen offenbar fest klebenden Zettel, groß wie eine halbe Zei­tung, mit einem Rasiermesser von der Schaufensterscheibe zu kratzen. Der Alte kratzte mit dem Messer, der Junge wischte mit einem Schwamm. David Heß stand über dem Laden.
»Einen Moment«, sagte Weber, ging übers Rosental hinüber und stellte sich auf, die Fäuste in die Hüften gestützt. »Was machen Sie da?« schrie er.
»Geht Sie das was an?« fragte David Heß. »Der Zettel bleibt picken!« fauchte Weber.
»Das ist mein Laden, wenn ich Sie darauf aufmerksam ma­chen darf«, sagte Heß.
Auf dem Zettel stand, man konnte es noch lesen: Deutsch­land erwache! Juda verecke!«
Heß wollte offensichtlich einlenken. Er verbeugte sich ein wenig und sagte: »Verrecke schreibt man mit zwei R. Wenn es deutsch sein soll, bitte.«
Weber trat einen Schritt vor, zog seinen Bauch ein, ließ ihn vorschnellen und schubste damit David Heß weg. Maurice und die anderen hinten lachten. Dann ging alles sehr schnell.

Rosendorfer scheut nicht die auktorialen Zuschreibungen, er kann sich ja darauf berufen, was protokolliert worden ist.

Der Germane und Stadtratskollege Webers, Hermann Esser, verdient eine Bemerkung. Esser zeichnete sich durch eine verblüffende äußere Ähnlichkeit mit Freund Wolf vom Obersalzberg aus, die er noch durch eine exakte Imitation der Unter-Nasen-Bürste förderte. Der Radikal-Sozialist Es­ser stieß nach einer inneren Wandlung noch vor Hitler zu Drexlers Deutscher Arbeiter Partei und sammelte als Alter Kämpfer so viele Kenntnisse schmutzigster Intimitäten über seine Mitkämpfer, daß er trotz selbst für Nazi-Gewohnhei­ten horrender eigener Korruption und Schmutziaden weder von Goebbels, den Brüdern Strasser und Rosenberg abge­schossen noch von Hitler selber kaltgestellt werden konnte. Esser, der wohl als bedeutendster Schweinigel der NSDAP zu gelten hat, war seit 1928 Mitglied des Kreistages von Oberbayern, seit 1929 Fraktionsvorsitzender der NSDAP im Stadtrat von München (als solcher Vorgänger Webers), seit 1933 das gleiche im bayrischen Landtag, seit 1933 Reichstagsabgeordneter und bald danach einer der Reichs­tagsvizepräsidenten, sodann bayrischer Wirtschaftsminister und Chef der Staatskanzlei.
Die kompromittierenden Interna der Nazi-Bonzen, die Es­ser kannte, zogen sich durch alle Lebensbereiche, sozusagen von der Geldbörse bis zum Geschlechtsteil. Wenn er ausgepackt hätte, wäre die Naziregierung auseinandergefallen wie eine faule Frucht, die sie ja auch war. Eine faule Frucht, zu­sammengehalten nur durch die Hände der Alten Kämpfer. Alle für einen, einer für alle. Wenn einer seine Hand abgezo­gen hätte, wäre an der Stelle der Kot allen anderen über die Hände, Arme, Leiber geflossen.

1989 sagt sich sowas ja doch ganz leicht. “Die anderen Hauptfiguren in Rosendorfers Roman sind frei erfunden und werden paarweise in szenischer Rollenprosa vorgeführt: Der Monarchist Dirrigl und der Antisemit Kammerlander, der optimistische Jude Peschmowitzer und sein pessimistisches Pendant Blumenthal, das Prostituiertenpaar Sophie und Frieda, der Burschenschaftler Regierungsrat Pflaum und der Kriegsenthusiast Oberlehrer Bürkel, der SS-Mann Staudigl, der mit einer der Amazonen verlobt ist, und sein Vorgesetzter, ein Obersturmbannführer, und zuletzt der Senatspräsident (namenlos) und der Staatsanwalt Winkler, der in der Politischen Abteilung im Münchner Justizpalast eingesetzt ist. Sie alle sollen illustrieren, wie es in Deutschland zu rumoren beginnt, wie sich – quasi im liefen des Volkes – das menschenfeindliche System der Nazis mehr und mehr durchzusetzen beginnt, wie Lüge, Selbsttäuschung und Feigheit alle menschlichen Regungen dominieren, wie sich die Gleichschaltung der Gehirne auch im mittleren und oberen Bürgertum vollzieht.“ (Hagestedt)

»Jeden Tag, Herr Dirrigl«, sagte Kammerlander, »du kannst schon fast nicht mehr auf die Straße gehen.« »Am besten ist: man hat nichts gesehen und nichts gehört.« »Sicher. Aber es kann so nicht weitergehen.«
»Es muß eine starke Hand her, die Ruhe und Ordnung schafft.«
»Sie sagen es, Herr Dirrigl. Ich frage nur: woher?«
»Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Kammerlander, was meinen Sie mit: woher?«
»Die ganzen Sozi und Kommunisten sind indiskutabel. Wir wollen ja keine Zustände wie in Rußland. Als Hausbesitzer müssen wir das selbstverständlich ablehnen. Kommt also nicht in Frage. Das Zentrum? Daß ich nicht lache. Die Demokratie, Herr Dirrigl, sage ich Ihnen – die sogenannte Demokratie ist nichts anderes als wie das Sprichwort: viele Köche verderben den Brei. Nein, nein, Herr Dirrigl, mit der Demokratie ist kein Staat zu machen. Ha, ha! Verstehen Sie das Wortspiel?«
»Nein.«
Herr Kammerlander wiederholte es betont: »Mit der Demo­kratie ist kein Staat zu machen. Verstehen Sie? Ich habe es zunächst auch nicht verstanden, aber der Oberlehrer Bürkel, mein Mieter, hat es mir erklärt. Da steckt ein Doppelsinn drin. Ich weiß auch nicht, wie ich Ihnen das erklären soll.« »Aha.«
»Ist ja auch gleich. Der Oberlehrer Bürkel könnte es Ih­nen…«
»Und die Bayrische Volkspartei?«
»Viel zu klerikal. Muß zuviel Rücksicht auf den Vatican nehmen. Nein, nein, von daher ist kein starker Arm zu er­warten. Es müßte ein starker Arm kommen, der mit allem aufräumt und den Besitz! – Sie verstehen, den Besitz und die althergebrachten Werte schützt.«
»Da stimme ich Ihnen vollkommen zu, Herr Kammerlan­der.«
»Ja, also dann in diesem Sinne, aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich muß noch zu meinem Dämmerschoppen im Franziskaner. Habe die Ehre, Herr Dirrigl.« »Habe die Ehre, Herr Kammerlander.«

“Die Nacht der Amazonen” ist auch ein München-Buch. Die zunehmende Nazifizerung der Stadtverwaltung der “Hauptstadt der Bewegung” ist verortet, es gibt die Schauplätze wirklich.

1989      285 Seiten

Auch zum Thema Anfänge des Nationalsozialismus in München:

Robert Hültner: Inspektor Kajetan und die Betrüger
Inspektor Kajetan ist aus dem Polizeidienst entlassen worden und jetzt als Privatermittler tätig, meist für die “kleinen Leute”. Gleichzeitig will er sich rehabilitieren, da er meint, seine Entlassung sei nicht rechtmäßig gewesen. Kajetan verstrickt sich bei seinen Recherchen in die zunehmend rechtsradikal-nazistisch unterwanderte Behörden- und Geschäftswelt – die Betrüger – und wird beinahe selbst zum Mordopfer. Auch die Landkommunen der Lebensreformer geraten in den Blick. Kajetan versteht es, mit allen Leuten zu reden. Ein historischer Krimi mit viel Milieu und Münchner Lokalkolorit.

Mathias Rösch: Die Münchner NSDAP 1925-1933: eine Untersuchung zur inneren Struktur der NSDAP in der Weimarer Republik

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Kratzert – Hoppe
19. April 2012, 19:35
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Armin Kratzert: Beckenbauer taucht nicht auf

Anatol Hinueber kommt vom Planeten Koho auf die Erde, genauer gesagt nach München, mit dem Auftrag, einen „hervorragenden Menschen“ zu entführen, eine Lichtgestalt, und wer könnte das anderer sein als Franz Beckenbauer. Bevor er jedoch den „Kaiser“ auf Koho transferieren kann, muss er sich in München und ins Leben von Franz einspüren. Das alles ist nicht ohne Schwierigkeiten für den Außerirdischen, doch mit seinem „extraterrestrischen Betriebssystem“ kann er alles einregeln und wird immer mehr für einen Einheimischen gehalten. Er freundet sich mit dem kleinen „Tschorsch“ an, spielt mit ihm Fußball, kocht für dessen Mutter und findet über die Frauen auch ersten Kontakt zu Beckenbauer.

In diesem Moment sehe ich ihn.
Franz ist da.
Franz Beckenbauer sitzt nur ein paar Meter von mir ent­fernt auf der den großen Fenstern an der Straße gegenüber liegenden Seite des Salons.
Auch er hat so einen knisternden Nylonumhang überge­worfen bekommen, sein Haar steht frisch gewaschen und fedrig vom Schädel, er hält den Kopf etwas gesenkt und spricht gerade eifrig in sein Mobiltelefon, während die ihm zugeteilte Fachkraft versucht, ganz vorsichtig ihre Ar­beit zu vollenden.
Sie hat noch nicht viel abgeschnitten, weil nämlich auf Beckenbauers Schädel auch nicht viel abzuschneiden ist.
Der Bewuchs ist so spärlich, dass ich leider auch auf keine allzu große Ausbeute an frischem, eindeutig zuzu­ordnendem genetischen Material hoffen kann, ein biss­chen dünner weißer Flaum, das ist alles, was bisher auf den Boden gerieselt ist.
Und so stehe ich schnell auf, strecke mich, laufe langsam an einem Regal mit hübsch in Reihe präsentierten Duft­und Pflegemitteln entlang, die alle den Namen jenes Meis­ters tragen, dem dies Geschäft gehört, und komme so in die Nähe Beckenbauers.
Ich sehe ihn aber gar nicht an, sondern lasse meinen Blick von den bunten Flaschen über eine pittoreske Kaf­feemaschine zum Fenster wandern und sauge dabei ganz unauffällig alles ein, was von Franz Beckenbauers Haaren auf dem Fußboden gelandet ist.
Und da Beckenbauers karge Locken zwar so kurz wie dünn sind, aber wenigstens kaum mit Zusatzstoffen verun­reinigt, lassen sich ziemlich bald einige interessante Fest­stellungen machen, etwa, dass Franz vor weniger als 24 Stunden einen Reproduktionsversuch unternommen, zu diesem Zweck aber keinerlei bewusstseinserweiternde Drogen geschluckt hat, dass der Anteil gekochter und ge­würzter Speisen in seiner Ernährung den der kondensier­ten, pulverisierten, cremeartigen oder gasförmigen bei weitem überwiegt, dass er das Geschwindigkeitspotential seines Fahrzeugs nur annähernd nutzt und der durch­schnittliche Mineralgehalt seiner hornigen Epidermis für eine kommerzielle Verwertung keineswegs ausreichend ist.

Es ist immer lustig, wenn die Gebräuche der Einheimischen von Fremden wahrgenommen und beschrieben werden. Fußball und Leberkäse und die Fortpflanzungsriten gewinnen dabei gleich exotischen Reiz. Kratzert fügt das zusammen mit der existierenden Person Franz Beckenbauer, so dass man sich bald auch nicht mehr sicher sein kann, wie wirklich der Franz denn eigentlich ist. Der Roman hat eine schöne Pointe und lohnt das Lesen, auch weil Kratzert nicht zu sehr ausschweift und die irrwitzige Komödie charmant gestaltet.

2012        170 Seiten

Norbert Hoppe: Ich war Guttenbergs Ghost 

Auch in Norbert Hoppes „Ich war Guttenbergs Ghost“ dreht sich alles um die real existierende Figur. Obwohl der Autor explizit darauf hinweist, dass „das, was Sie im Folgenden lesen, (…) eine satirische Erfindung” ist, auch er selbst, Norbert Hoppe, kommt die Satire der Wahrheit wohl näher als diese selbst.

Lediglich Personen und Ereignisse, über die im Zusammen­hang mit der Guttenberg-Affäre in den Medien, unter ande­rem auch in Buchform, berichtet wurde, sind als tatsächliche Anknüpfungspunkte in den folgenden Roman eingegangen. Alles, was darüber hinausgeht, hat keinerlei Entsprechungen in der Realität, sondern ist der Fantasie des Autors entsprun­gen, der Guttenberg nicht persönlich kennt und schon des­halb keine Behauptungen über ihn aufstellen kann und will.

 Aber wollen sie jetzt überhaupt die Wahrheit wissen? Im Augenblick hacken sie alle auf ihm herum und tun so, als hätten sie es schon immer gewusst. Damals haben sie ihn ver­ehrt, und das werden sie garantiert auch wieder tun, wenn er wieder ins Geschäft einsteigt. Sie werden ihn wieder genauso abgöttisch lieben, schon wegen dieser entwaffnenden Manie­ren. Kein Journalist, das dürfen Sie mir glauben, der nicht umgekippt wäre, wenn Guttenberg ihm gleich am Eingang die Tasche abnahm. Die meisten dachten, das tut der nur für sie, und ihre Texte gerieten ja dann auch dementsprechend verzückt und hymnisch. Aber das war seine Masche. Ich war doch immer dabei. Ich habe ihn in der Schule erlebt, wo er den Lehrerinnen die Taschen trug, und im Studium und in der CSU, wo er ebenfalls immer den anderen die Taschen trug. Wehe, es hatte mal einer keine Tasche dabei, die KT ihm abnehmen konnte!

Genauso, wird man meinen, wird er gewesen sein und ist er noch, der KT.

Einmal hat er dann ja sogar eine ganze lateinische Liturgie gesungen in der Schule, Latein ging ihm über alles, er sprach es, sooft er konnte, er bat um »Dispens«, wenn er mal aufs Klo musste, und er sagte »in refectorium sum«, wenn er was essen ging; das war dann schon auf dem Gymnasium, und dort geriet er dann auch an diesen Friedel, Dieter Friedel, Lehrer für Altgriechisch, der hatte immer so Jungs um sich geschart und zog sich mit denen zurück, um Plato zu lesen und darüber zu diskutieren, auf Altgriechisch natürlich, das war so ein richtiger Kreis von Jüngern, wie bei Stefan George, falls Sie von dem schon mal gehört haben. Das hat dem armen KT dann den Rest gegeben, hinterher hatte er sie wirklich nicht mehr alle, dauernd ließ er dann altgriechische Ausdrücke fallen, egal ob die passten oder nicht, er war da wie so ein bekokster Koch, der mit beiden Händen das Salz ins Essen schmeißt, Hauptsache viel und flächendeckend. Sein Lieblingswort war Kairos. […] Das Vorwort zu der Dok­torarbeit habe ich zum Beispiel voll davon geschrieben, der KT war dermaßen begeistert, dass er inzwischen glaubte, er habe das geschrieben. Ah, Kairos, murmelte er immer wie­der beim Lesen, sehr gut, sehr gut, Kairos!, hervorragend …

Der fiktive Autor beschreibt seine Zeit mit Guttenberg von der Grundschule, übers Gymnasium bis hin zu Guttenbergs Aufstieg und Fall, wobei der fiktive Hoppe nicht nur die ominöse Doktorarbeit verfasst, sondern vom “Knappen”, der KT abschreiben lässt, zum Politberater aufsteigt; er, Hoppe, habe ja schließlich Politologie studiert. Er dichtet KT eine heftige Affäre mit Katharina Wagner (Bayreuth!) an und sich eine Verliebtheit in Stephanies Haar. Aber alles ist natürlich nicht wahr. Nach Guttenbergs Sturz findet Hoppe einen neuen Job. Auch hier hat die Frau unwiderstehlich blonde Haare.

(Fiktives) Zitat der Katharina Wagner: »Und nach Regensburg komme ich übrigens auch nie mehr mit, wenn du wieder nur in der Walhalla schaust, wo sie deine Porträtbüste hinstellen könnten …«

Amüsant.

2012           155 Seiten