Nachrichten vom Höllenhund


Chirbes
17. Dezember 2015, 16:43
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Rafael Chirbes: Krematorium

chirbeskrematoriumMatías Bertomeu ist gestorben und anlässlich seines Todes versammelt sich eine Schar Verwandter und Bekannter zu einem Panakustikum von Stimmen, die sich mit dem Leben und dem Tod, Beziehungen, Frauen und Männern im Allgemeinen und im Besonderen, mit sich selbst, mit Spanien, mit gutem und schlechtem Essen beschäftigen; man könnte den ganzen Roman als Beispiel zitieren. Chirbes konzentriert alles an einem Tag, dem Warten auf die Kremierung. (Diese zeitliche Verdichtung findet man auch in anderen Romanen, etwa dem Todestag General Francos in „Der Fall von Madrid“.) „Ein grandioses Familienepos“, wird gelobt, „ein grandioses Gesellschaftspanorama“.

Chirbes wird damit dem Leben, der Gesellschaft, den Personen gerecht, so nuanciert, so ausfransend sind die Biografien, so prägen sie die Zeit und werden von der Zeit geformt, passen sich ein, machen sich Bilder. Erst im Chor der Stimmen wird der Mensch – annähernd – erfasst. Diese assoziative Schreibweise (mit einem Zettelkasten an Fremdstimmen) macht es mir als Leser aber nicht nur schwer, Spuren zu finden und zu verfolgen, Strukturen zu erkennen; schon die Person(en) im Gedächtnis zu behalten, fällt schwer. Man müsste den Roman durchlesen, an einem Tag, zeitgleich mit dem Erzählen. Aber wer tut das?

In mir entfacht das Buch nicht den nötigen Sog. Zu viel lese ich, was mich an den Personen nicht interessiert. Chirbes lässt nichts aus, denn das lässt seine Methode nicht zu. Und so verliere ich mit den Seiten das Interesse an den Personen selbst – und schließlich auch am Roman. 200 seiten, bei denen ich immer wieder überblättere, man versäumt kein Geschehen.

Chirbes teilt den Roman in lange Kapitel ein, widmet dieser einer Gedankenstimme, schreibt in den Kapiteln ohne Abschnitte durch. Das ist dem Verfahren natürlich angemessen, macht aber die „Lektüre nicht eben einfach“ (Christoph Schröder, FR). Elke Heidenreich, so steht’s auf dem Cover, liest Chirbes „wahnsinnig gern“. Ich habe mich von den Pressestimmen anstacheln lassen: „Es ist ein durch und durch bitteres Resümee, das der spanische Autor zieht, sei es in der wichtigsten Figur seines Romans, dem Baulöwen Ruben Bertomeu, der seinen Reichtum skrupellos auf der Verschandelung der spanischen Küste aufgebaut hat, sei es in den von ihm abhängigen Familienangehörigen und Freunden, die Rubens Geschäft ablehnen, aber dennoch von seinem Reichtum profitieren. Und so bezieht sich der Titel nicht nur auf Kremierung von Rubens Bruder, dem Ökobauern Matias, sondern auch auf die Zerstörung der Umwelt und den Verlust aller Moral, erklärt der Rezensent: „Präadamismus ohne Schuldgefühl“. (Alex Rühle, SZ) Dennoch war für mich nach der Hälfte Schluss, nachdem ich Aufwand und Ertrag verglichen habe.

Wir leben in einem Ort, der nichts ist-Abriss des Gewesenen und Baugerüst des Kommenden. Wenn Juan also darauf zu sprechen kommt, erwidert sie sogleich: Ich weiß das doch alles. Das ist doch das zentrale Thema des Barock, mein Thema, das habe ich studiert, mein Spezialgebiet. Was willst du mir da erzählen. Das verlorene Paradies, die Schlange und der Apfel. Von der Zukunft haben wir keine Ahnung, eine chemische Substanz, ein Reizstoff, der alles angreift, auflöst. Du bist der Literat, sagt sie zu Juan, denk doch an diese Verse: Was suchst du, Fremder, Rom in Rom? Vernimm: Rom selbst vermochte nicht, in Rom zu dauern. Das ist Quevedo. Das Gestern ist vorbei, das Morgen noch nicht da. Das ist das Thema der Kunst, jeglicher Kunst, ein anderes gibt es nicht. Juan meint, die Zukunft sei immer eine raffinierte Wiederkehr dessen, was man für untergegangen hält, während Silvia davon überzeugt ist, dass man nie weiß, in welche Richtung die Dinge driften. Was für einen Zickzackkurs sie beschreiben. Welches der nächste tollwütige Hund sein wird. Das sagt sie. Und Juan darauf. Schau zurück, dann wirst du ihn entdecken, er verbirgt sich in dem, was hinter uns geblieben ist, schau dich um nach den Toten, die von der Geschichte nur halb begraben wurden, und du wirst sehen, dass der eine oder andere seine Finger bewegt, sie aus der Erde hervorstreckt. Jedes Mal, wenn eine halbwegs rationale Epoche zu Ende geht, bricht der alte Aberglaube mit neuer Energie hervor. Schau dir den Islam an, wir dachten, er wäre tot, aber nein, das Ei war im Wüstensand vergraben, schön warm, wurde ausgebrütet. Juan führt die Monsterfilme aus den Fünfzigerjahren an, die davon ausgingen, dass die Hitze der Atombombe die Eier von Tieren ausgebrütet hatte, die vor Millionen von Jahren ausgestorben waren. Die Vergangenheit ist ein Alien, den wir in uns tragen, der Fett ansetzt, da hockt er und droht jederzeit unsere Brust zu sprengen und auszuschlüpfen. An dem Gespräch hatte auch Matías teilgenommen und ähnliche Gedanken wie Juan geäußert: Die Augenblicke der Vernunft sind flüchtig, instabil. Wir wissen nicht, wie kommende Generationen das nennen werden, was wir als Fortschritt bezeichnen. Die Dunkelheit ist der natürliche Zustand: Sobald der Mensch nachlässig wird, kehrt das Dunkel zurück. Im privaten Leben geschieht das Gleiche. Sobald du drei oder vier Tage lang nachlässig bist, nicht sauber machst, beginnt das Dunkle, Schmutzige, das Vormenschliche, dich aufzufressen. Es kostet viel Kraft, das Lichtlein der Zivilisation am Brennen zu halten. Wie auch immer, vielleicht erscheint den Nachkommenden all das, was uns heute unabänderlich vorkommt, nur als ein Witz. Wahrscheinlich. Juan: Das Schlimmste steht immer bevor (Juan kokettiert gern mit seinem Pessimismus). Silvia hat an das Gespräch gedacht, als sie am Morgen aus Misent hinausfuhr und mit dem Wagen Dutzende von Baustellen hinter sich ließ, Bagger, die in der Erde wühlten und die trockenen Stämme der ausgerupften Orangenbäume zusammenschoben; Schaufeln, die Löcher aushoben (die Nähe des Todes spannt die Nerven, macht sie zu sensiblen Blitzableitern, die jede Energie auffangen, die frei durch den Raum strömt, alles erreicht dich, hypnotisiert dich), und wieder hat sie mit dem Quevedo-Vers gespielt: In Misent suchst du Misent und findest es nicht. Matías spottete: Karl Kraus meinte, die Wiener hätten es geschafft, die Klänge von Mozarts Requiem mit dem Kriegslärm der Mörser unter einen Hut zu bringen. Bei deinem Vater ist es ähnlich. Mozarts Requiem plus Mörser ist gleich Ruben Bertomeu, nur dass der Mörser deines Vaters keine Waffe, sondern Mörtel, flüssiger Beton ist. Rubens Musik hat ihren Kontrapunkt in dem Knirschen der Betonmischmaschine, so komponiert er sich sein dies irae, als Hintergrund das Knirschen von Schottersand und Metall. An das alles hat Silvia am Morgen gedacht, während Felix auf dem Rücksitz spielte, …

2007       420 Seiten (TaBu)

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Pérez-Reverte
16. Juli 2012, 17:56
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Arturo Pérez-Reverte: Der Schlachtenmaler

Andrés Faulques war Kriegsfotograf und hat sich, nachdem er sich davon zurückgezogen hat, an der spanischen Küste einen Turm gemietet, in den er jetzt das Panorama des Krieges als solchen malt. Für das Rundbild verarbeitet er seine Eindrücke und Bilder, Pérez-Reverte begleitet ihn beim Malen, erklärt die Farben und ihre Wirkungen, analysiert mit dem „Schlachtenmaler“ die Prinzipien der Komposition. Im Mittelpunkt der Gedanken steht die Frage, ob man den Krieg überhaupt darstellen kann, wie distanziert man sich den Gräueln gegenüber zeigen muss, um nicht selber in den Strudel des Geschehens gerissen und damit scheitern zu müssen. Der Maler hat andere Möglichkeiten, vor allem die Zeit, die Gestaltung des Bildes zu reflektieren und eine Zusammenschau zu bieten. Das Foto „lebt“ von dem einen Augenblick, der alles Leid, jeden Schrecken in sich vereint und repräsentiert.

Es sei ein grundlegendes Element der Quantenmechanik, dass der Mensch die Wirklichkeit schaffe, wenn er sie beobachte. Was es vor einer solchen Beobachtung wirklich gebe, seien alle möglichen Situationen. Erst durch den Blick konkretisiere sich die Natur und nehme Stellung. Daher gebe es eine innere Unbestimmtheit, und der Mensch sei eher Zeuge als Hauptperson. Oder, wo sie gerade dabei seien, die Angelegenheit erschöpfend zu behandeln, beides zugleich: sowohl Opfer als auch Schuldiger.

Der Roman setzt diese Überlegungen ins Zentrum. Die Gegenwart des Malens wird durchfurcht von den Erinnerungen. Faulques’ Geliebte und Partnerin Olvido füllt die Reminiszenzen. Er fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod, er hat niemand mehr, mit dem er sich austauschen kann, niemand mehr, der ihn bestärkt und korrigiert.

»Du fotografierst Leute und suchst dabei nach den Geraden und Kurven, die sie töten wer­den«, erklärte sie plötzlich lachend, nachdem sie ihn eine Weile still beobachtet hatte. »Du fotografierst die Dinge und suchst dabei nach den Winkeln, an denen sie zusammenbre­chen werden. Du machst Jagd auf vorzeitige Leichen und Ruinen, die du errätst. Manchmal denke ich, dass du mich mit dieser trostlosen und heftigen Verzweiflung liebst, weil du, wenn du mich umarmst, die Leiche spürst, die ich eines Tages bin oder die wir beide sein werden. Du bist in absehbarer Zeit erledigt, Faulques. Bald bist du kein schweigsamer und ma­gerer Soldat mehr. Du weißt es nicht, aber du hast dich mit dem Virus angesteckt, der dich schließlich an der Arbeit hin­dern wird. Eines Tages hältst du dir die Kamera ans Gesicht, und wenn du durch den Sucher schaust, siehst du nur Linien, Volumen und kosmische Gesetze. Ich hoffe, dass ich dann nicht bei dir bin, weil du als reiner Autist unerträglich sein wirst.

Die äußere Handlung setzt ein, als plötzlich der Kroate Ivo Marković im Turm auftaucht und ankündigt, Faulques ermorden zu wollen. Faulques hatte Marković in Vukovar fotografiert und mit der Veröffentlichung dieses Bildes nicht nur Ruhm erworben, sondern auch Marković’ Leben zerstört. In langen Gesprächen setzten sich Faulques und Marković mit ihren Traumata auseinander, sie versuchen und lernen sich zu verstehen. Die Morddrohung hält die Handlung spannend.

„Der Schlachtenmaler“ ist ein tiefsinniger Roman. Pérez-Reverte befasst sich mit der Geometrie der Bildkomposition, mit der Wirkung der Farben, mit Lebensentwürfen, mit Fragen der Ethik des Menschenschlachtens. Er weist auf die Vorbilder des Schlachtenmalers, Pierro della Francesca, Paolo Uccello, Aniello Falcone, Marc Chagall, viele andere und natürlich Goya hin.

Es ist nicht ganz leicht, in den Roman zu kommen, er wirkt zu schwer, zu beladen. Man meint das Blut der Erde in jedem Satz zu spüren, jeder Riss an der Wand des Turms muss Symbol sein.

Er hatte versucht, den Riss auszubessern, in­dem er ihn mit einer Mischung aus Acrylharz und Marmor­pulver füllte. Er trug sie mit einem Spachtel auf und übermalte das Ganze. Aber das änderte nicht viel an dem Problem: Die Spalte breitete sich langsam und unerbittlich weiter aus. Wäh­rend sich Faulques mit einem feuchten Lappen das Grau und Blau von den Fingern wischte, betrachtete er resigniert den Riss an der Wand. Im Grunde, tröstete er sich, gehörte das zu der Geheimschrift. Der Zickzack des Chaos und seine verbor­genen Bedeutungen.

Olvido ist natürlich perfekt in Form und Geist. Darunter geht’s nicht. Das sollte bei seriösen Büchern immer misstrauisch machen. Zu tiefer Sinn kann auch Gehalt vortäuschen. Leichter wird’s, als Marković auftritt. Er stellt sich vor als jemand, der sich bisher noch nicht so viele tiefsinnige Gedanken machen konnte, Faulques muss sich auf sein Wissen und sein Erleben einstellen, ihm in verstehbaren Worten seine Motive erklären. Es kann kein Ergebnis geben, aber man kann sich auf die moralischen und technischen Probleme der Darstellung der Schrecken des Krieges einlassen.

2006     287 Seiten

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Monteagudo
21. Februar 2012, 13:06
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David Monteagudo: Ende

Endzeitromane gibt’s ohne Ende. Leider auch diesen, den „Überraschungsbestseller aus Spanien“. Der Klappentext spuckt große Töne: „Der außergewöhnlichste Roman, den Sie je gelesen haben“, ein Buch, das „in neue Welten“ entführt.

Monteagudo greift bekannte Motive des Genres auf, ohne etwas besser zu machen, vielleicht ohne die Vorbilder zu kennen. Es ereignet sich eine Katastrophe, meist plötzlich, die Ursachen und Hintergründe bleiben unbekannt oder werden erst nach und nach enträtselt und in ihrem Ausmaß sichtbar. Seltsamerweise überleben eine oder mehrere Personen die Apokalypse, sie suchen nach weiteren Überlebenden. Darin steckt die zweite Gefahr nach dem Zerstörungspotenzial der Katastrophe: Die Fremden sind genauso verschreckt, auch sie sind latent aggressiv, auch sie wollen weiterleben. Endzeit-Romane sind meist auch road-novels. Die Überlebenden machen sich auf den Weg. Wohin, ist dabei an sich nebensächlich, doch oft ist die Attraktion die Stadt, wo man ja auf weitere Überlebende treffen könnte, die Keimzelle einer postkatastrophalen Gesellschaft, die Einsamkeit, vielleicht Ort einer weiter möglichen Idylle, oder auch das Meer, die Grenze, die Schnittstelle zum Ewigen.

Wenn es mehrere Überlebende gibt, sind natürlich auch die gruppenpsychologischen Strategien der Figuren zentrales Motiv: Wie begegnet man der Gefahr, wie reagiert man auf von außen kommende Risiken, welches Vorgehen wird angestrebt. Diese Mechanismen sind weiterer Kern der Spannungen.

Viele Motive sind symbolisch aufgeladen. Die Katastrophe kann durch die Hybris des Menschen hervorgerufen sein, sie resultiert aus einer unkritischen Überschätzung der Technik, es ist das Ende nach der atomaren Auslöschung, auch die Vereinzelung kann mittels des Wegbrechens einer funktionierenden und verstehbaren Umgebung dargestellt sein.

David Monteagudos Katastrophe trifft seine Gruppe anlässlich eines Wiedersehens. 25 Jahre nach der Trennung werden 9 (ehemalige) Freunde in eine abseits gelegene Berghütte eingeladen, auch neue Bekannte sind dabei. Nur einer erscheint nicht, der frühere Außenseiter, den man gehänselt hat und weswegen das Gewissen pocht.

Es tut einen Blitzerer und die Elektrik funktioniert nicht mehr: Autos, Handys, Feuerzeuge springen nicht an. Die Gruppe macht sich auf den Weg, zunächst zu Fuß, dann mit Rädern. Dabei verschwindet eine Person nach der anderen, die Verbleibenden können sich auf ihr Ende einstellen. Das könnte spannend werden, doch Monteagudo versagt sich zu viele nötige Ingredienzen, vor allem den Ansatz einer Erklärung. Und er hat außer dem seriellen Verschwinden nichts, was die Spannung halten könnte. So bleibt der Leser nur dabei, weil er doch noch auf eine Erklärung hofft. Monteagudos Ersatz sind „wilde“ Tiere, die anlässlich der Katastrophe aus einem Zirkus ausgebrochen sind. Das ist zu billig. Ein weiterer Ersatz ist die ausführliche Beschreibung der Landschaften, die den Weg der Freunde begleiten und die eine trügerische Kontrastidylle darstellen.

Von dem am höchsten gelegenen Haus lässt sich der Weg zur Siedlung vollständig überblicken. Tiefe Spurrillen zerfurchen ihn, die Ränder sind aus­gefranst. Wäre da nicht die Stromleitung mit ihren Be­tonpfählen, die seinem Verlauf folgt, würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich bei diesem steinigen, steil abfallenden Pfad um eine Straße handelt, von der Zufahrten zu mehreren Häusern abzweigen.
Eine bunte, aber schweigende Gruppe aus fünf Frauen und drei Männern geht diesen Weg hinauf. Weiß leuch­ten die Mützen, ab und zu blitzt eine Sonnenbrille auf, die Spitzen grellfarbener Turnschuhe glänzen auf dem flachen Weg.
Einige Minuten zuvor wollte die Gruppe einige Häu­ser inspizieren, wurde aber jedes Mal von wütendem Hundegebell vertrieben. Jetzt bellt nur noch vereinzelt ein Hund, müde, kraftlos. Sonst ist nur das Knirschen der Schuhe auf dem steinigen Grund zu hören. Wenn die Gruppe innehält, herrscht absolute Stille: kein Schrei in der Ferne, kein Motorengeräusch, kein Schuss eines Jägers. Nur die sommerliche Natur gibt Laute von sich: Unzählige Insekten brummen in unterschiedlicher Ent­fernung. 

Und dann die Action:

«Schschscht! Seid mal still!», fordert Hugo. «Ich werde jetzt klingeln. Mal sehen, ob das Ding funktio­niert.»
Hugo drückt den vom Wetter verblichenen Schal­ter, aber es tut sich nichts. Zu hören ist nur das stetige Brummen der Insekten in der gleißenden Sonne, die ih­nen auf den Kopf brennt.
«Ist kaputt», sagt Hugo, als müsse er sich rechtfer­tigen.
«Vielleicht hat es ja doch geklingelt, und wir haben es nur nicht gehört.»
«Kann ich mir nicht vorstellen. Der Eingang ist ja nur ein paar Meter entfernt. Außerdem ist es mucks­mäuschenstill.»
«Oder der Strom ist auch hier ausgefallen.»
«Sag so was nicht!»
«Lasst es uns mit der Haustürklingel probieren.»
«Oder rufen», schlägt Amparo vor und klatscht in die Hände: «Hallo! Guten Tag! Ist hier jemand?» Keine Antwort, nur Hundegebell. 

Ich habe das Buch nur zu Ende gelesen, weil ich dachte, irgendwas muss doch da noch kommen. Es kommt nichts! Das „Ende“ ist eine Geisterbahn mit billigen Effekten.

2009      350 Seiten

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Die Werbung weist explizit auf die Tradition von Cormack McCarthys „Die Straße“ hin. McCarthys postapokalyptischer Prospekt ist düster wie die Überlebensmoral der nomadisierenden Banden. Der mit seinem Sohn überlebende Vater versucht diesen für eine positive Zukunft zu retten. Das Zusammentreffen mit anderen Überlebenden macht die Spannung aus: Man kann ihnen nicht trauen, braucht sie aber. Der Hunger ist existenziell, die Waffen sichern das Leben. Bei Monteagudo findet María eine Pistole, aber das ist nicht mehr als ein Gimmick.

Jenseits von Marlen Haushofers „Die Wand“ ist durch eine auch hier nicht erklärte Katastrophe alles Leben erstorben, die unsichtbare Wand ist zugleich Schutz und Gefängnis. Das Allein-Sein wird der überlebenden Eingeschlossenen zur Prüfung, die sie übersteht, indem sie sich um ihren Hund und eine Kuh kümmert und indem sie ein Tagebuch anlegt. „Die Wand“ erschien 1963, konnte in den 1980er-Jahren auch als atomare Apokalypse gelesen werden und hat eine weibliche Heldin.

Vielleicht wäre es interessant, Doris Lessings „Memoiren einer Überlebenden“ wiederzulesen. Lessing phantasiert eine utopische Großfamilie, die Menschen, hinter einer Tapete in ihrem Haus und nach einer Katastrophe, die alle Zusammenhänge über den Haufen gestürzt hat. Die „Memoiren einer Überlebenden“ erschienen 1974 und bilden die Traumata eines gefährdeten und sich auflösenden familiären Zusammenhalts in der Postmoderne ab.

Arno Schmidts Erzählung „Der schwarze Spiegel“ beginnt fünf Jahre nach der Zerstörung der menschlichen Zivilisation im Dritten Weltkrieg, der einen Großteil vor allem des menschlichen Lebens auf der Erde ausgelöscht hat. Der Erzähler fährt mit dem Fahrrad und einer primitiven Überlebensausrüstung durch eine von Massenvernichtungswaffen  menschenleer gewordene Welt. Der historische Bezug ist 1951 noch klar, ein Grund für das Überleben einer einzigen Person wird auch hier nicht genannt. Arno Schmidt schildert den Triumph der Natur über eine für nicht überlebenswert erklärte Zivilisation. Schauplatz ist natürlich die Lüneburger Heide.

Ähnlich misslungen wie Monteagudos „Ende“ ist „Die Nacht der Arbeit“ von Thomas Glavinic (2006). Es ist schon ein Schrecken, allein in Wien überlebt zu haben, doch Glavinic hat keine Kompetenz für diesen Entwurf. Die Hälfte des Romans verbringt der Überlebende damit, sich selbst mit Videokameras aufzuzeichnen, um mögliche Spuren von weiteren Personen zu registrieren. Und da Glavinic gehört hat, dass Endzeitromane auf der Straße spielen, jagt er seinen Helden unmotiviert und sinnlos durch halb Europa, um Action vorzutäuschen.

Mit Cormack McCarthy’s „Die Straße“ vergleichen lässt sich Davide Longos „Der aufrechte Mann“. Italien ist in die Barbarei gefallen, soziale und technische Infrastruktur existieren nur noch in Rudimenten. Der Schriftsteller Leonardo sucht mit den Kindern Lucia und Alberto einen Ausweg – nin die Schweiz oder nach Frankreicht vielleicht. Der Weg ist unsicher, jeder Mensch, auf den sie stoßen, verheißt Gefahr. Schließlich werden sie von einer Rotte sozial verkommener Jugendlicher gefangengenommen und brutal misshandelt. Sie kommen ans Meer, aber man darüber spekulieren, ob das die Realität ist.