Michael Köhlmeier:
Idylle mit ertrinkendem Hund
Was will Köhlmeier erzählen? Er will von seiner Tochter Paula erzählen, die 2003 mit 21 Jahren gestorben ist, verunglückt bei einer Wanderung in Hohenems.
Darüber aber gibt es nichts zu erzählen. Die Familie war beim Unfall nicht dabei, man hat die Todesnachricht von der Polizei. Es bleibt die Trauer der Zurückgebliebenen. Die aber ist sehr privat, lässt einen nicht los, wie üblich wird aber nicht das Schicksal der Tochter betrauert, der man ein „atemberaubendes Talent“ (Verlagswerbung) zuschreibt, deren kurzes Leben man verklärt, sondern der eigene Schicksalsschlag. Man kann die Trauer in die Natur hinaustragen, man kann heulen, ein Schriftsteller weiß, dass er darüber schreiben muss, auch um diese Trauer zu verarbeiten. Dann aber wird der Fall öffentlich, man wird zum Lesen gebeten.
Die Unfähigkeit über die Trauer zu schreiben, steht im Mittelpunkt der Novelle. Kursiv herausgehoben. Da der Erzähler niemand findet, dem er seine Trauer mitteilen kann, erfindet er seinen Lektor, doch auch dieser interessiert sich dafür nicht, gibt am Ende sogar sein Lektorat ab. Also bleibt der Dialog als Selbstgespräch.
Hier ein Gespräch, wie ich es gern mit ihm geführt hätte (Sturm, Nacht, Heide, eine Hütte, Lear und sein Narr):
»Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?«
»Willst du denn darüber schreiben?« »Das möchte ich, ja.«
»Ich denke, ich weiß, wo das Problem liegt. Du bist dir nicht sicher, ob du Literatur machen willst oder bloße Erinnerung, hab ich recht?«
»Ich will, dass sie bei mir ist. Und ich habe die Hoffnung, dass sie näher bei mir ist, wenn ich über sie schreibe. «
»Ich bin überzeugt, dass es so ist. Aber wenn du über sie schreibst, ist es Literatur, und dann kommen Überlegungen ins Spiel, die deinen Wünschen und Hoffnungen Zügel anlegen und sie womöglich sogar zurechtbiegen wollen, weil Dramaturgie nötig ist, damit eine Erzählung daraus wird. Wäre das nicht wie ein Verrat?«
Das geht noch eine Weile weiter so. Am Ende des fingierten Gesprächs sagt der fiktive Lektor – wie erwünscht:
“Aber auch darüber würdet ihr schreiben müssen.” Ihr, das sind Köhlmeier und seine Frau Monika, die Erzähler-identen Hauptpersonen.
Wenn man als Schriftsteller von etwas nicht erzählen kann, muss man etwas anderes erzählen. Eine Rahmenhandlung wird gebraucht. Der Lektor reist an, ein etwas seltsamer Mensch, den man – lang wirds geschildert – endlich duzt, um ihn sympathischer und zum netten Familienbesuch werden zu lassen, der gern im Wintergartendschungel der Köhlmeiers sitzt (Idylle). Dieser Lektor, Dr. Beer, geht, wie die Köhlmeiers, auch gern spazieren und begegnet dabei einem herrenlosen Hund (Pudel/Falke), der ihn, zunächst gegen seinen Willen, begleitet. Dr. Beer erzählt die Hundestory mehrfach, weil der Hund die nächste Aufgabe übernehmen soll. Er verunglückt (Schicksal). Er bricht ins Eis ein, Köhlmeier kann ihn retten. Böse gesagt: Er schafft hier stellvertretend, was ihm bei seiner Tochter nicht gelang.
Im Krankenhaus verabschiedet er sich von Dr. Beer.
“Was soll ich damit anfangen?”, fragte ich.
“Womit?”
“Mit dieser Geschichte.”
Die Geschichte “Wie ich einmal einen Hund rettete” ist packend erzählt. Aber wäre sie ohne den Tod der Tochter des Erzählens wert? Trägt der Rahmen die Handlung allein? Ich halte die Novelle für zu konstruiert, zu bemüht, zu inkonhärent.
Oder, wenn ich mich täusche: „Klüger und tröstlicher und zugleich raffinierter kann man über einen Schicksalsschlag und das, was man seine „Verarbeitung” nennt, kaum schreiben.“ (Christoph Bartmann in der SZ). Oder Thomas Lohnes in der Zeit: „Eine Art Miniatur ist dabei entstanden, ein verstörend schönes Bild über den Verlust. Es ist der Versuch, die tote Tochter mit Worten aufzufangen. Der Versuch, einen Hund zu retten und die eigene Trauer, nein, nicht zu verarbeiten, aber in einem unvergesslichen Buch zu erzählen.“
Mutter Monika „hat eine Erzählung über sie (Paula) geschrieben“. Fühlt sich Vater Michael in der Pflicht, auch öffentlich trauern zu müssen? „Spazierengehen stabilisiert uns einigermaßen.“ Auch von Friedhofsbesuchen und Beruhigungsmitteln ist die Rede, vom Trost der Musik. Und von der allabendlichen Hoffnung, dass die verlorene Tochter wenigstens im Traum zurückkehren möge. Lasst sie doch in Frieden!
2008 – 110 Seiten
Martin Halter in der FAZ über Paula Köhlmeiers Erzählungen unter dem Titel „Maramba“: „Lauter vergebliche Aufbrüche, unerfüllte Hoffnungen, alltägliche Tragödien. Was ihre Figuren sich zu sagen haben, dauert eine Zigarette, und die Liebe hält auch selten länger. (…) Man redet aneinander vorbei, wird betrogen, verlassen oder geht selbst wortlos weg“. Auch wenn ihm manches „unfertig“ und auch „unreif“ erscheint und trotz einiger sprachlicher Ausrutscher – Köhlmeiers Blick sei „immer unsentimental und genau, ihre Sprache lakonisch hart und kühl.“ Stimmt. Aber leider steht bei den „Maramba“-Rezensionen immer dabei: unerfüllte Hoffnungen. Das macht die oft guten Geschichten nicht besser.
Ganz am Rand erwähnt Michael Köhlmeier Besuche im Jüdischen Museum von Hohenems. Mehr Interessantes dazu auf der Homepage.
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Lieber Herr Dr. Beer. Oder darf ich das Du rauslassen? – Johannes.
Meine Auslassungen sind voreingenommen, einseitig, lehrerhaft, subjektiv – auslassend.
Ausgelassen bist vor allem auch Du, nicht nur von mir, sondern auch bei Köhlmeiers. Tanzend, im Schlafanzug, turtelnd, mit Monika! Du nistest Dich ein, wirst zum zweiten Ich des Autors. Doch. Natürlich wirst Du auch dazu gebraucht, aber Du stehst nicht im Mittelpunkt; Du bist geistreich und geheimnisvoll, aber Kunstfigur. Dass Du Dich schämst – geschenkt.
Auslöser der einseitigen Deutung war Dein junger Nachfolger. Er hat empfohlen oder zugelassen, dass das Selbstgespräch, das Du verweigertest, im Text derart ausgezeichnet erscheint und sich damit selbst in den Vordergrund drängt, anderes verdrängt. Auch wenn der Köhlmeier im Buch anders hieße, seine Katze nicht Pnin, seine Tochter nicht Paula, wäre das Trauern um deren Tod das Thema der Novelle, nicht, um diesen Verlust zu verarbeiten, sondern um ihn zu bewahren. „Ich will ja den Schmerz um unsere Tochter nicht loswerden.“ (Köhlmeier im Interview) Ob der reale Köhlmeier den Hund gerettet hat oder ein anderer, ist egal, der Novellen-Köhlmeier eignet sich die Tat an – und damit gehört sie ihm auch schon.
Ähnliches gilt für den Dschungel. Er ist im wirklichen Leben wie im Buch schönes Symbol, gleich, ob es ein und derselbe Dschungel ist; wenn etwas idyllisch ist, dann er, obwohl natürlich diese Idylle wie jede und das Herz der Frau (Monika?) nicht anders als trügerisch zu denken ist. Eine Idylle könnte auch das Familienleben sein, aber dazu scheint es zu sehr geregelt, formiert (um es erträglich zu machen?).
Wortklaubereien: Die Geschichten von Paula haben mich weder des Atems be- noch ihn mir geraubt. Beides – falls verschieden – ist gleich übertrieben.
Was ergänzt werden müsste: Die Reflexionen über Literatur und Realität wären geeignet, um – auch – mit Schülern über die Funktion und Fiktionalität von Texten zu reden, wenn denn in der Schule Gedanken noch eine Rolle spielen täten.
Kommentar von vomhoellenhund 24. Februar 2010 @ 11:45Sehr geehrter Herr Schmidt,
ich habe lange überlegt, ob ich mich zu Ihren Bemerkungen über Köhlmeiers Novelle auf Ihrer Homepage äußern soll, für die ich Ihnen wirklich Lob und Anerkennung zolle, für die Homepage meine ich. Ich merke, dass ich mir, seitdem ich nicht mehr lektoriere, Formulierungen durchgehen lasse, die ich bei meinen Autoren früher strikt moniert habe. Natürlich bin ich Partei und gerade deswegen habe ich Ihren Hinweis, das ich „fiktiv“ sei, mit einer Mischung aus Amüsement und Unwillen aufgenommen. Manche Autoren, meist Deutschlehrer, meinen sogar, ich sei nichts als ein Teil des Autor-Ichs. Nun ja, sie kennen und können es anscheinend nicht anders. Nicht dass ich mich mit Ihrer Charakterisierung „seltsamen Menschen“ verkannt fühle, aber, mit aller gebotenen Zurückhaltung sei es gesagt, des Autors bin ich mitnichten. Es ist mir wirklich unangenehm, darauf hinweisen zu müssen. Für mich war der Aufenthalt in Hohenems tatsächlich auch ein Wendepunkt in meinem Leben. Sollte Ihnen das entgangen sein? Wenn ja, befinden Sie sich in guter(?) Gesellschaft. In manchen Lesekreisen, die sich mehr lustlos als interessiert mit diesem Buch befassen (aber muss das wirklich am Buch liegen? Ich brauche Ihnen doch wohl nicht Lichtenbergs berühmten Aphorismus zitieren?), habe ich eine ähnlich distanzierte Haltung zu mir kennengelernt. Dass sie dafür den Autor verantworlich machen, macht es für mich nicht erträglicher. Fragt sich niemand, warum ich möglicherweise tatsächlich aus Scham mein Lektorat aufgegeben habe? Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, obwohl gerade die Details oft auf die richtige Spur führen könnten. Der „Wintergartendschungel“, wie Sie es zu nennen beliebten, ist vielleicht in der Realität eine Idylle. Ich wiederhole mich und tue es sehr ungern: „Leider ersparen Sie mir nicht die Peinlichkeit, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass es sich (bei diesem Detail) nicht (nur) um das Leben, sondern (auch) um Literatur handelt.“ Herr Schmidt, sollten Sie ein entscheidendes Thema dieses Buches überlesen, nicht erkannt haben? Genug davon! Ich will mein Doppelleben jetzt nicht vor Ihnen ausbreiten. Dass mein Lieblingsheld in der Literatur Verloc in Joseph Conrads „Der Geheimagent“ ist, hätte sie stutzig machen können. Sagen Sie jetzt nicht mit der üblichen Selbstschutzbehauptung: „Den kenn ich nicht.“ Es gibt Google. Das sollten gerade Sie wissen. Sie merken, ich schreibe mich Rage. Das bringt mich zu Ihrer abschließenden Bewertung des Buches: „zu konstruiert, zu inkohärent.“ Über das erste Urteil ließe sich reden. Trotzdem würde ich beide Ausdrücke in einem Manuskript mit einer Wellenlinie markieren. Sie scheinen mir nämlich beide nicht kompatibel zu sein, um es mit einem ähnlich hässlichen Wort zu bezeichnen. „Logik!?“ als Randbemerkung. „Inkohärent“ sollten Sie gänzlich aus Ihrem Wortschatz streichen. Es passt nämlich nicht nur inhaltlich nicht zu dem vorausgehendem Diktum, sondern ist schlichtweg banal, läppisch. Nur zwei Anmerkungen noch. Ich bin schon etwas erschöpft. Mein Lektorat habe ich nämlich schon auch „nach gesundheitlichen Erwägungen“ abgebrochen. Außerdem hatten wir gestern Abend eine Einladung und in meinem Alter verträgt man das nicht mehr so gut, schon gar nicht, wenn ich bei so einer Veranstaltung intellektuell nicht auf meine Kosten komme. Natürlich ist das Buch voller biographischer Details, trotzdem sollte man vorsichtiger sein und den Ich-Erzähler nicht ständig mit Herrn Köhlmeier gleich setzen. Im Buch rettet der Ich-Erzähler den Hund, in der Wirklichkeit war nicht Herr Köhlmeier der Retter, er hat die Situation nur beobachtet, das weiß ich aus vielen Gesprächen mit ihm. Dass er, der Ich-Erzähler, das Autor-Ich mir im Buch sagt: „Bleib du bei ihm. Er ist dein Hund“ und mich dann reden und reagieren lässt, wie es auf Seite 95 nachzulesen ist, schmerzt mich und nagt an mir. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. Muss ich mich deswegen schämen? Hab ich deswegen das Lektorieren aufgegeben? Ich weiß es selber nicht. Man kommt ja oft zu seinen Taten wie ihm Traum. Das sollte aber auch einen Beobachter und Leser zu äußerster Vorsicht in seinem Urteil gemahnen und ihm eine Formulierung verbieten, die sich in Ihrer Rezension findet: „Fühlt sich Vater Michael in der Pflicht öffentlich trauern zu müssen?“ Das Fragezeichen macht es nicht besser. Ich kenne meinen Autor nun wirklich besser als Sie, eine solche Überlegung ist, sagen wir es in vornehmer Zurückhaltung, schlicht abwegig. Sollte es sich fügen, dass wir uns einmal begegnen, sollten wir uns über die Funktion von Literatur unterhalten. Da habe ich von meinem Autor durchaus einiges gelernt. Abschließend nur noch eines. Ich kann es nicht lassen. Das Wort, das Wort, das genaue Wort! In der von Ihnen zitierten Formulierung in der Verlagswerbung – über das Motiv Ihrer Zitierung spreche ich jetzt nicht – ist nicht von einem „atemberaubenden Talent“ die Rede, wie Sie schreiben, sondern von einem „atemraubenden Talent. Letzteres gefällt mir sogar besser und ist möglicherweise bewusst gesetzt, auch wenn es nicht im Duden zu finden ist. Vielleicht sollte man sich von Zeit zu Zeit doch an Heideggers Rat halten, der einmal bezüglich der Rechtschreibung gesagt haben soll: „Im Zweifelsfall gegen den Duden.“
Herr Schmidt, entschuldigen Sie meine endlose Suada. Auch wenn ich mich in einigen Punkten zum Widerspruch genötigt sah,
verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr Dr. Beer, Lektor i.R.
Kommentar von Dr. Beer 20. Februar 2010 @ 19:24