Nachrichten vom Höllenhund


Vargas Llosa
29. Oktober 2010, 14:36
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Mario Vargas Llosa:
Tante Julia und der Kunstschreiber

Wieder einmal: Es gibt den Literatur-Nobelpreis und man hat den Autor nicht im Regal. „Tante Julia“ ist Vargas Llosas „wohl beliebtester Roman“, heißt es im Klappentext, außerdem schaut Tante Julia so verschmitzt aus dem Cover. Also les’ ich dieses Buch – oder fang mit diesem an.

Daniel Kehlmann fasst den Inhalt zusammen: Autor Vargas Llosa verschränkt hier zwei Geschichten. Erstens seine eigene: Der siebzehnjährige Mario Vargas, Mitarbeiter des peruanischen Radios, hat eine Affäre mit einer Cousine seiner Mutter und heiratet sie schließlich gegen den Widerstand der Familie. Zweitens die Geschichte von Marios Freund Pedro Camacho, einem zwergenwüchsigen Schreiberling, der manisch in seinem winzigen Büro im Radiosender Soap-Operas verfasst. Der Roman wechselt ab zwischen Kapiteln über Marios Liebesverwirrung und den von Pedro verfassten Serienfolgen: kitschige Liebesgeschichten, Arztromane, schwülstige Krimis – alles, was dazugehört. Doch Pedro ist seelisch instabil, und allmählich entgleitet ihm alles: Serien, die nichts miteinander zu tun haben, laufen ineinander, totgeschriebene Figuren tauchen wieder auf, Katastrophen häufen sich, bis der Wahnsinn so eklatant wird, dass Pedro aufhören muss und in die Nervenheilanstalt kommt.

50er Jahre. Dass Vargas Llosas Biographie Material liefert, ist nicht so wichtig, erhöht aber doch ein bisschen den Reiz. Denn es ist schon reichlich skurril, was der Erzähler und Tante Julia unternehmen, um zusammenkommen zu können, meint hier auch, das Verhältnis zu legalisieren, also zu heiraten. Im letzten Kapitel erfährt man auch, dass die Beziehung länger gehalten hat, als erwartet. Der Aufwand hat sich also gelohnt. Dass die Zwischengeschichten die Radio-Novelas sind, hab ich erst so nach und nach mitgekriegt. Es sind bessere und weniger geistreiche dabei, sie sind Kapitel für sich, die leider kein Ende haben und kommen mehr und mehr doch übers Kreuz. In allen wird gesoffen, geschossen, alle laufen aus dem Ruder, wie das so sein wird in Peru und der Arten, vom Leben zum Tod zu kommen, sind gar viele.

Es hatte sich in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts zugetra­gen, als Tingo Maria kaum ein Kreuz auf der Landkarte war, eine Lichtung mit Hütten, die vom dichten Dschungel umgeben waren. Gelegentlich kamen nach unendlichen Strapazen Aben­teurer bis hierher, die das Häusermeer mit der Absicht verlassen hatten, den Urwald zu erobern. So kam auch der Ingenieur Hildebrando Tellez in diese Gegend, mit seiner jungen Frau (in deren Adern, wie ihr Name Mayte und ihr Nachname Unzäte­gui andeuten, das blaue Blut der Basken floß) und dem kleinen Sohn Federico. Der Ingenieur träumte von grandiosen Projek­ten. Er wollte Bäume fällen und Edelhölzer für den Wohnungs­und Möbelbau der Wohlhabenden exportieren, Ananas, Avo­cado, Melone, Guanäbana und Lücuma anbauen für die raffi­nierten Gaumen der Welt und mit der Zeit einen Schiffsverkehr über die Flüsse des Amazonas einrichten. Aber Götter und Menschen machten Asche aus seinem Feuer. Naturkatastro­phen – Regen, Plagen, Überschwemmungen – und die mensch­lichen Unzulänglichkeiten – Arbeitskräftemangel, Faulheit und Dummheit bei denen, die arbeiten konnten, Alkohol, Geldman­gel – liquidierten nacheinander die Träume des Pioniers, der zwei Jahre nach seiner Ankunft in Tingo Maria seinen Lebens­unterhalt bescheiden mit dem Anbau von Süßkartoffeln fluß­aufwärts am Pendencia verdiente. Dort, in einer Hütte aus Palmenstämmen, fraßen in einer warmen Nacht die Ratten die neugeborene Maria Tellez Unzätegui in ihrer Wiege ohne Mos­kitonetz bei lebendigem Leibe auf.
Das geschah auf einfache und fürchterliche Weise.

Vergnüglich, voller Einfälle, dabei auch ein bisschen länglich.

1977          390 Seiten (Tabu)

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