Nachrichten vom Höllenhund


Altaras
14. März 2011, 15:57
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Adriana Altaras: Titos Brille

Regina Schilling hat dafür gesorgt, „dass aus vielen kleinen Geschichten die Geschichte“ der „strapaziösen Familie“ von Adriana Altaras wurde. Und damit fast ein Roman. Adriana Altaras ist die Tochter einer jüdischen Familie, wurde mit vier Jahren von Zagreb nach Mantua gebracht, ging auch in Deutschland zur Schule, kam noch weiter in der Welt rum und ist jetzt von Berlin aus im Kulturbetrieb tätig. Da gibt’s schon manches zu erzählen und Adriana Altaras tut das mit Schwung und Humor und klammert dabei selbstironisch ihre eigene Hibbeligkeit nicht aus.

Erzählanlass ist die Auseinandersetzung mit dem Tod der Eltern, die in Jugoslawien als Partisanen gegen die Faschisten kämpften, später auf Umwegen und von der deutschen Bürokratie behindert nach Deutschland kamen. Der Vater wurde als Oberarzt und Neugründer der jüdischen Gemeinde in Gießen geachtet, die Mutter als Architektin. Adriana Altaras „sammelt Aufgaben“ wie ihre Familie: Aufgaben, Nachrichten, Liebschaften, Reminiszenzen, Schriftstücke, nichts wegwerfen, „wer etwas wegwirft, ist ein Faschist“ (!?), die Mutter „tat es mit hundertprozentigem Einsatz, obwohl sie die Aufgabe selbst nicht mochte“. Der Nachlass ist unüberschaubar in Schachteln und Kisten verstaut, Adriana hat einiges aufzuarbeiten.

Die Familiengeschichte ist Zeitgeschichte, eine sehr persönlich gefärbte Aneignung von Traditionen, Wurzeln, Verflechtungen. Eher überrascht und desorientiert, verwundert und angezogen lässt sich Adriana Altaras auf ihr Jüdisch-Sein ein und stellt sich den mannigfachen Aufgaben und Erbschaften. Pessachfest, Chanukka, Beschneidung, Bar Mitzwa, Beerdigung, alles geregelt, lauter Riten und Rituale, Lebensmarken, backen, beten, singen, die richtige Synagoge, der richtige Rabbi, man darf nichts falsch machen, auch wenn einem alles nicht so wichtig ist – sagt man. Immer gefordert, sich fordernd, überfordert lässt Adriana Altaras den Leser teilhaben an ihrer saltierenden Sinnsuche. Sie findet Koordinaten für ihr Leben, welche der christliche Glaube in Deutschland nicht – mehr – geben kann, sie grenzt ihre jüdische Identität aber auch deutlich von der deutschen ab. Sie hat ja auch die  – testamentarisch nicht ausgesprochene – Selbstverpflichtung, die Würde und die Last des Kampfes ihrer Familie und ihrer Sippschaft zu pflegen.

Einsamkeit. Ich habe häufig versucht, mit meinen Eltern und meiner Tante über Einsamkeit zu sprechen. »Wie war das, plötzlich im Lager, alles aufgeben zu müssen? Heraus­gerissen zu sein, aus einem behaglichen Leben mit Freunden und Familie? Die Verhältnisse dort? Das Elend? Und bei den Partisanen? Hattet ihr Angst? Und nach dem Krieg, und die Toten? « Meistens wichen sie mir aus. Fanden meine Fragerei kindisch. Gelegentlich erzählten sie, eher aus Versehen. Mein Vater, der stolze Gockel, schien Einsamkeit nicht zu kennen. Er sprach immer nur vom Widerstand in den kroatischen Bergen, von der Partei, von den Frauen. Frauen liefen ihm seit jeher nach, und er ließ sie ungern stehen.
Aber Split, die Stadt seiner Kindheit und Jugend, die Stadt am Meer, fehlte ihm unendlich. Sein Heimweh war groß. Je­dem Besuch oder Bericht aus der Heimat fieberte er entgegen. Seine Einsamkeit war sein Heimweh.
Meine Tante war mit 21 ins Lager gekommen, als wunder­schönes junges Mädchen. Und so wie sie in das Lager hinein­gegangen war, kam sie wieder heraus. Sie blieb zeitlebens das Mädchen von 21 Jahren – in Stimme, Haltung und Gefühl. Sie hatte sich in einen Kokon aus Unberührbarkeit eingespon­nen, und die Einsamkeit einer jungen Frau, die ihre Jugend verloren hat, verließ sie nie mehr. Sie bekam nie Kinder.
Meine Mutter schloss Türen mindestens dreimal ab, ver­riegelte die Fenster, ließ nachts das Licht brennen oder den Fernseher laufen. Auch sie hatte der Krieg verstört zurück­gelassen. In ihrer Einsamkeit suchte sie das Alleinsein. Und die Bücher. Alles andere, vor allem Menschen, störte sie. Aus Enttäuschung über das, was Menschen ihr angetan hatten, aus Ekel vor Jugoslawien, vor den jugoslawischen Faschisten ließ sie kein Heimweh aufkommen, so schien es. Es war, als wäre das Alleinsein ihre letzte übrig gebliebene Würde – ihre Bastion.
Was war meine kleine Einsamkeit gegen die der Über­lebenden?

Weshalb tut man sich das an? Weil es wichtig ist, „ein großes Leben“ zu führen, wie es die Vorfahren führen mussten – und konnten? Oder weil man die Ruhe nicht aushält? Sich strapazierend, getrieben, wie Freund Raffi, das Zappelmonster, Muster des Flüchtenden, der vor sich selbst wegläuft. Ist das persönliche Steuerung oder jüdischer Antrieb? Oft legt Altaras für mich den Graben zu tief, begründet zu sehr mit angelegten Traditionen, hebt das Trennende hervor und betont es damit über Gebühr. Für einen Auf- und Abgeklärten nicht immer zu verstehen.

„Wie wichtig ist es für sie, jüdisch zu sein?“ – Lena Gorelik: „Es ist mir im Inneren wichtig.“ Altaras: „Ich bin Jüdin. Jahrgang 1960. So, jetzt ist es heraus.“ „Wir hatten die Traumata unserer Eltern übernommen, sehr gründlich, sehr vollkommen. Wir sprachen von Lagern, die wir nie gesehen hatten, von dem Gefühl auf dem Todesmarsch, immer von Tod. Wir waren die exakten Kopien unserer Eltern und deren Geschichte.“  – Wäre es nicht auch denkbar und erleichternd, wenn diese religiösen Sinnsuchungen und Abgrenzungen nachlassen. Sicher, man verliert vielleicht Sinn und kulturelle Bindungen, eröffnet aber mehr Möglichkeiten für Gemeinsames. Ich meine damit Aufgeklärtsein, Säkulariserung, nicht Assimilation.

Vor einiger Zeit bin ich genau an diesen Pausen gescheitert. Es ging um ein ganz anderes Stück, in dem immer wieder unerbittlich Pausen und Stille zwischen den Sätzen gefordert wurden. Diese Momente der Stille machten mir Schwierig­keiten. Sie hielten nicht nur die Zeit an, sondern legten tiefere Bedeutung nahe, sorgten für große Gefühle, für wahre Momente. Ich nahm sie schrecklich ernst, ohne sie wirklich zu begreifen, geschweige denn füllen zu können, und der Abend schleppte sich dahin wie eine parlamentarische Sitzung. Ich ahnte, dass ich hier an einen überaus wunden Punkt der deutsch-jüdischen Geschichte rührte: Die »jüdische Hast« hielt mich gefangen. Ich war nicht fähig zu diesen Momenten der Stille. Wenn ich sie aber nicht aushalten konnte, gab es für mich offenbar auch keine Tiefe, keine Bedeutung, keine Wahrheit, keine Erlösung. Nichts. Ich war verloren und wür­de den Gral niemals finden, Wagner würde mir auf ewig ver­schlossen bleiben.
Damals endete meine Theaterarbeit mit einer aufgebrach­ten Intendantin, die mich schüttelte und fragte, was los sei: Alles sei so fürchterlich langsam und langweilig. Dafür hätte sie mich nicht engagiert. Ich war ratlos, dabei hatte ich doch nur endlich auch mal Pausen machen wollen, Stille walten lassen. Ruhe und Tiefe finden. Ich hatte alles richtig machen wollen.
Nein, ich hatte viel mehr gewollt: Ich hatte in die Abgrün­de der deutschen Seele eintauchen wollen, mitschweben im Luftreich ihrer Metaphysik, Wagner lieben, einmal so sein wie sie.
Ich kehrte zu mir und meinem Tempo zurück. Die Auf­führung dauerte die Hälfte der ursprünglichen Zeit. Sicher, der Theaterabend war nun vital und spannend, aber die wirk­liche Wahrheit, die Pausen, die bedeutsame Stille waren mir verschlossen geblieben. Der Gral. Ich würde ihn nie finden. Ich dachte an die »Herrenmenschen« und das auserwählte Volk und wusste tief innen: Wir hatten nichts gemeinsam.

Lustig ist das trotzdem oft, wie Adriana Altaras zunehmend hektisch und in vielen Episoden geschickt das Alltagsleben und die Abgründe und die Überlebensstrategien flott zusammenfabuliert.

Im Gegensatz zu meinem Vater sprach sie nie von Jugosla­wien. Sie sprach von »den Kroaten« und »den Serben« und zwei, drei Freunden. Das war’s. Nie vom Land, den Gerüchen, den Leuten, dem Meer. Den Toten. Sie doch nicht. Sie hatte kein Heimweh.
Ich habe mich geirrt. Hatte sie doch! Sie hatte schreck­liches Heimweh. Sie fuhr durch Hessen, als sei es der Balkan. Und sie suchte nach den verlorenen Menschen, nach dem verlorenen Leben, als sei sie wieder zur Sommerfrische auf dem Land, bei ihrer Tante Alma und ihrem geliebten Onkel Marco. Natürlich. Sie war ein Gast geblieben. Nach vier Jahr­zehnten. Wie viel »Gast-Sein« erträgt ein einzelner Mensch? Und wann möchte er dort, wo er ist, verwurzelt sein?
»Richte dich ein, als wär’s auf ewig«, sagt Raffi immer – das hat ihm sein Vater beigebracht, eine alte, kluge Emigranten­weisheit. 

Und wenn’s zu schwierig wird, gibt es ja noch die Dibbuks.

2011          265 Seiten

2

 

Adriana Altaras liest auch auf zehnseiten.de

Lesung bei Dombrowsky in Regensburg am 4. Mai


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