Nachrichten vom Höllenhund


Steinaecker
1. April 2012, 14:15
Filed under: - Belletristik

Thomas von Steinaecker:
Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen,
und anfing zu träumen

Im 14. Stock müsste die Freiheit wohl grenzenlos sein. Aber gerade hier dräuen die ärgsten Zwänge – und nach oben hin wird’s nicht besser.

Alles hat man schon in Reportagen gelesen und gesehen. Burnout. Nicht: Arbeiten bis zum Umfallen, sondern: das Umfallen als Arbeit. Die déformation professionelle als Vorbedingung, nicht als Ergebnis des Arbeitens, die Vermeidung des aufrechten Ganges bei elitärem Bewusstseinssurrogat. Forcierte Selbstoptimierung, sagen die Soziologen, das Mal der postmodernen Berufswelt. Das hält keine(r) lange durch und das wollen ganz viele.  BWL steht bei den Studenten in Deutschland ganz an der Spitze der Studiengänge.

Steinaecker fügt dem Befund nichts hinzu. Er extrahiert aus den Analysen das Klischee und nennt es Renate. Renate, heute nicht mehr gebräuchlich, ein Relikt wie ’die Liebenden’? („Es überraschte mich, aus seinem Mund ein derart altertümliches Wort zu hören.“) – Auch die „Stöckelschuhe“ sind als Wort aus der Mode gekommen, als Objekt der Kompensation sind sie im Versicherungsgewerbe unersetzlich. Renate besitzt für ihre Schuhe ein Regal mit acht Stockwerken, das gehört zu ihrer Maskierung zum Produkt wie die Breitling-Uhren. Korrespondierend die Schlaftabletten, aufgereiht, als Zeichen des Funktionierens gedeutet, nicht als Alarmsignal.

Eine Interferenz meines Privat- mit meinem Berufsleben war zu diesem Zeitpunkt nicht wünschenswert.“ Ein unerledigter Selbstauftrag, sofort unterlaufen von dem Kausaldiagramm „über komplexere Verläufe der eigenen Biographie“. „Ich, und damit meine ich das Versicherungswesen.“ Die Oma als post-it geduldet und kaltgestellt. Was sein muss: Vernissagen im Wäschekeller, der No-Nonsense-Look, Nude tragen, der Panic-Room, Louboutons, „Ich hängte meine Jill-Sander-Jacke über die Lehne“, Action in „zeitnah“; was nicht sein darf: Glabellafalten, Spuren von Verfall, Schlaflosigkeit und Träume, Menschsein, Jeans ohne Label. Um Renate zu vermenschlichen, stattet sie Steinaecker mit einem Tick aus: Sie sammelt Pfandflaschen aus Abfalleimern; erzählerisch ein eher billiger Trick, bald auch wieder vergessen. Dass Steinaecker Renate auch eine Klofickbeziehung mit einem Vorgesetzten, Walter, erleiden lässt, oh je. „Zum Realismus-Spiel des Romans gehören die zahlreichen Smartphone-Schnappschüsse, die Renate Meißners Wahrnehmungen pseudodokumentarisch ‚beglaubigen’.“ (Wolfgang Schneide, Deutschlandradio)

Steinaeckers Renate ist eine Ernste, hat nichts gemein mit dem stravanzenden Helden Wilhelm Genazinos, der „den Alltag nur ertragen kann, indem er das ordentliche Regelwerk durchbricht“ (Klappentext von „Wenn wir Tiere wären“). Ich finde eine Prise Kafka, der selbst in der Versicherungsbranche tätig war, wenn Steinaecker seine Renate die Abstrusität der Hierarchien beschreiben lässt: „Und doch verfügten ein ‚A bis B’ oder eine ‚St’ über nicht unbeträchtliche Macht“, auch wenn sie bloße Schadensregulierer sind und keine Schadensvermittler.

Renate fragt sich einmal bei einem Kollegen, „ob er sich mir gegenüber im ironischen Modus befand“. Der Stil ahmt das Berufsidiom nach. Das kann als Parodie, als Brechung, als „ironischer Modus“ verstanden werden, er beschreibt und entlarvt das Leben im Detail, einordnungsfixiert, scheinobjektivierbar, als abschottende Fassade. „Meine beste Freundin klopfte mir auf das Knie, das mein hochgerutschter Rock freigab.“ – „Vielleicht weil ich bis jetzt ununterbrochen auf den Beinen gewesen war, überkam mich ein auf einer Skala von eins bis zehn mit neun anzugebendes Gefühl der Ruhe.“ Ist das noch Parodie? „Ein Vogel flog von Dach zu Dach. Sein Hiersein, davon war auszugehen, war kein zufälliges.“

Dieser strikt berufsorientierte Stil bietet natürlich auch den Vorteil, potenzielle Unsicherheiten, Wiederholungen, Redundanzen, Unwissenheiten dem Vorbild zuschreiben zu können: In Japan ist nicht Dienstag, wenn bei uns Mittwoch ist. Die Delete-Taste frisst die Wörter nicht von hinten, sondern saugt sie von vorne weg. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, ist kein Volkslied ,usw. – Ach so, das sind ja die Aufzeichnungen der BWL-Frau.

Man fliegt nicht schon deshalb, weil einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Auch die Achterbahn taugt nicht zum Traummobil, wenn man sie nur unter versicherungstechnischen Aspekten erfahren kann und die angeflogenen Phantasiewelten nur mechanistisch beschreibt. Steinaecker ist ein Mechaniker des Erzählens – und wenn die „Seele spannte Weit ihre Flügel aus“, sind Bild und Gefühl nur geborgt. Eichendorff bleibt isoliert, Romantik will sich nicht einstellen.

Steinaecker überrascht damit, dass sich auch im zweiten Teil des Romans, der den Traumbeginn verspricht, nichts ändert als der Schauplatz. Im russischen Samara soll Renate ohne Uhr und Handy zurechtkommen, aber von sich selbst kommt sie nicht los. Der Titel, und das ist geschickt, aber auch ein bisschen ärgerlich, kündigt einen Wechsel an und lässt den Leser gespannt und geduldig bis dahin ausharren; er  wird doppelt enttäuscht. Der „Traum“ besteht darin, in „Jeans ohne Label“ zu „glauben, der Frühling stehe vor der Tür“. Весна.

Beim aufmerksamen Lesen wird man aber auch Feinheiten der Konstruktion nicht übersehen. Nicht nur das russische Hotel wird Mars genannt und von Marsmenschen bedient, auch Renates Bruder Erich beschäftigt sich mit der Entwicklung von Marsrobotern. Als post-it wird eine Oma durchs Buch gewurstelt, um dann als Vexierbild zu enden. Hasen erscheinen in mancherlei Manifestationen. Aber es passt nichts zusammen, die Konstruktion ist bloß gut gemeint. Steinaecker hat eine Geschichte gefunden von den Haase-Wasserkindschen-Vergnügungsparks. Diese Geschichte ist zu kurz und so versucht er sie mit der Gegenwart zu rahmen. Die Schnittstellen: Das Gelände im Münchner Norden, in der Nazizeit für den Germania-Park vorgesehen, jetzt Standort der Versicherungen, bald wieder Vergnügungspark? Parallelen? Parallelschicksale: die desolat-demente Frau Wasserkind, als Oma imaginiert, und ihre Wiedergängerin Renate? Geschenkt. Der Klappentext behaupet, Steinaecker lotet „die Möglichkeiten realistischen Erzählens“ aus. Verschenkt.

2012           390 Seiten

Steinaecker-Interview in der Zeit

 ARTE-Video von der Leipziger Buchmesse

+4

Bei der Lesung am 16. April 2012 in der Atlantis-Lesestube zu Regensburg tritt Steinaecker sehr sympathisch auf. Er liest, was nicht alle Schriftsteller können oder wollen, überzeugend aus seinem Buch und beantwortet die Fragen unprätentiös. Da Steinaecker sich auf den ersten Teil des Romans beschränkt, bleibt die dubiose Achterbahn-Episode ausgespart, das Gespräch dreht sich stärker um die Anlage der Hauptperson und um die Ironie als Prinzip der Aufzeichnungen. Mir leuchtet das nicht ein, denn Renate Meißner stelle ich mir eher als Roboter vor denn als Mensch, den man mögen könnte. Immerhin: Steinaecker weist auf Elemente der Gestaltung hin, die man im Roman nicht gleich findet – wie etwa die Spiegel oder die Schmusetiere, deren Sinn er netterweise erklärt. Er berichtet, dass er zurzeit an einer Geschichte schreibt, in der ein Junge davon träumt, ein Roboter zu sein. Dieser Junge könnte sich m.E. ohne weiteres an Renate Meißner orientieren.

Die Moderation des Abends besorgte Ernst-Wilhelm Händler, der sich in seinen Romanen ebenfalls mit der Zurichtung der Menschen für die moderne Unternehmenswelt auseinandersetzt. Händler schreibt aber sehr viel abstrakter, fast esoterisch. Etwas befremdlich, weshalb Händler sich in seinen Elogen keine noch so leise Kritik an Steinaecker erlaubte. Das sieht zu sehr nach Gefälligkeitslob aus, das hat Steinaecker nicht nötig. Die vielen Superlative der Medienumschauen halte ich nach wie vor für übertrieben. Steinaeckers „Das Jahr in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen“ ist kein geglückter Roman, vor allem auch, weil es eigentlich kein Roman ist.

Artikel von Ulrich Kelber in der Mittelbayerischen Zeitung


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„Der Titel, und das ist geschickt, aber auch ein bisschen ärgerlich, kündigt einen Wechsel an und lässt den Leser gespannt und geduldig bis dahin ausharren; er wird doppelt enttäuscht. Der „Traum“ besteht darin, in „Jeans ohne Label“
zu „glauben, der Frühling stehe vor der Tür“. Весна.“

Wie wahr! Diese Enttäuschung! Zumindest für einen, der immer noch den Traum von einem Traum hat. Fragt sich nur, welchen? Aufwachen! Es hat sich ausgeträumt! Vielleicht ist das die Botschaft. Ob man aber den Überbringer der Botschaft tadeln soll, weil einem die Botschaft nicht passt?
Außerdem: der Frühling steht tatsächlich vor Tür. Wenn ich nicht träum‘!

Kommentar von Anonymous




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