Nachrichten vom Höllenhund


Bittner
3. Januar 2013, 12:58
Filed under: - Belletristik

Wolfgang Bittner: Hellers allmähliche Heimkehr

bittnerMartin Heller kehrt nach Jahrzehnten in seine Heimatstadt Salfelden zurück und wird Chefredakteur des Tagblatts. Heller ist ein Guter, er will das Böse erhellen, das sich in Salfelden wie in jeder anderen deutschen Stadt als Geflecht aus „Korruption, Filz und Rechtsradikalismus“ (Klappentext) immer stärker in den Vordergrund drängt. Heller ist ein Aufrechter, er lässt sich nicht kleinkriegen, er platziert die Umtriebe der örtlichen Nomenklatura, ihre gierigen Machenschaften, ihre Verstrickung in die lokale Neonazi-Szene in seine Artikel und Kommentare. Und Heller hat Erfolg. Sein Verleger, der erzkonservative Worps lässt ihn lange Zeit gewähren, der rechtsaugenblinde Polizeichef Hertenstein wird abgelöst, der Fabrikant Berkemeier verlässt den Stadtrat. Wie das halt in der deutschen Wirklichkeit so ist.

Neben den Bösen gibt es die Guten. Die Zuordnung ist eindeutig, der Kontrast plakativ. Ein paar Freunde von früher, die in der Friedensgruppe aktiv sind, der griechische Wirt, dessen Lokal von den Nazis abgefackelt wird, Agnes Sommer, die Psychotherapeutin und wesensverwandte Freundin Hellers. Eine traute Gruppe, sogar das Essen beim Griechen ist „delikat zubereitet“.

Bittner ist ein Guter und er schildert das Kleinstadtmilieu der 00-er Jahre so trefflich, dass es in seinen Klischees erdrückend penetrant wirkt. Keine Figur hat ein Eigenleben, alle sind sie Schablonen, alles ist vorhersehbar. Nichts ist ausgelassen: die Jungnazis, die auf dem Grundstück des Fabrikanten das Abschießen üben, der Brandanschlag auf Griechenlokal und Psychologinnenpraxis, die Bebauung des Naturschutzgebiets zur eigenen Bereicherung. Bittner bietet das ganze Panorama, politisch und soziologisch nicht falsch, aber in dieser Form kein Thema für einen Roman. Bittner lässt alles erklären: Die Pathologie der Nazi-Psyche (von Agnes Sommer), die Ausbeutung der Dritten Welt (in einer e-Mail seines Sohnes), die US-Politik (die Friedensgruppe, abwechselnd), und noch viel mehr. Bittner doziert – zu sehr.

Die Frauen sind schön und aufgeschlossen und verständnisvoll, auch der Schreibstil ist bemüht sauber bis zur Einfalt. Creative Writing geht anders.

Dann wurde der öffentliche Nahverkehr mehr und mehr eingeschränkt und der Güterverkehr auf die Straße verlagert. Das sind schließlich Vorgaben der Politik gewesen, die der Autolobby verpflichtet ist. Hinzu kommt die Privatisierung der öffentlichen Betriebe. Ich meine nicht nur die Bahn und die Verkehrsbetriebe, sondern auch Post, Wasserwerke, Müllentsorgung und so weiter, in einigen Städten sogar die Kanalisation. Und wo es hauptsächlich um Profit geht, wird nicht nur alles teurer, sondern manches im öf­fentlichen Raum rentiert sich nicht mehr und wird abgeschafft.«
Vielleicht hatte er etwas zu sehr doziert. Da Maretzki schwieg, fügte er noch hinzu: »Ich beobachte das seit Jahren, und diese Fehlentwicklung beschäftigt mich immer wieder. Na ja, Ihnen brauche ich darüber keinen Vortrag zu halten, Sie wissen das selber.« Das Essen kam, und sie widmeten sich erst mal den delikat zubereiteten Speisen.
»Worum geht es eigentlich in der nächsten Ratssitzung«, er­kundigte sich Heller nach einer Weile. »Steht etwas besonders Wichtiges auf der Tagesordnung?«
»Das will ich meinen«, erwiderte Maretzki. »Der Bebauungsplan soll erweitert werden. Es ist geplant, das Kleingartengelände im Norden bis zum Fluss hin einzubeziehen.«
Heller wunderte sich. »Geht denn das überhaupt? Ich denke, das Gebiet an der Sal ist flutgefährdet. Jedenfalls habe ich in Erin­nerung, dass es früher mehrmals überschwemmt war. Die Mutter eines Klassenkameraden, Frau Grothe, hatte dort eine Laube, in der wir manchmal Feten gefeiert haben. Und auf der Wiese am Fluss sind wir im Winter Schlittschuh gelaufen.«

Bittners Roman wäre vielleicht etwas für Schüler, denen es bisher gelang, vom aktuellen politischen Geschehen unerreicht zu bleiben. Bittner liest deshalb auch in Schulen. Spannend ist diese Geschichtsstunde nicht.

2012          240 Seiten

Leseprobe beim Verlag André Thiele

 Homepage von Wolfgang Bittner

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