Nachrichten vom Höllenhund


Romeo und Julia
31. Dezember 2013, 17:50
Filed under: Theater

William Shakespeare: Romeo und Julia
Inszenierung: Katrin Plötner

rolia2Romeo und Julia gibt es nicht. Ein Schriftsteller hat sie sich vor 450 Jahren ausgedacht. Seither ist viel Wasser den Avon und die Adige hinabgeflossen. Es wird nicht umkehren, wenn man sich ein „Original“ vorspiegelt. Die Jungs und Mädels, so scheint’s, sind nicht so viel anders geworden. Man wusste noch nichts von ihnen, aber die Hormone regelten damals schon das Treiben und die Triebe der Leute. Die der pubertären jungen am turbulentesten.

Die Julia, wie Shakespeare sich vorstellte, war knapp 14. Vierzehn. Romeo wenig älter. Sollte man da die Contenance von Oberstudienräten erwarten und erhoffen? Wie manche Oberstudienräte und –innen auf dem Theatersessel? Die jungen Veroneser trieben’s toll, über-mütig auch auf der Bühne im Velodrom zu Regensburg. Da durften die Kerle trampeln und sich fetzen und verletzen; die Mädels waren zurückhaltender, wie sich’s gehört, damals wie zu dieser Zeit. Es gibt im Stück ja auch nur eine. Doch auch Julia übergibt sich ihren Gefühlen und den Hormonen. Romeo und Julia turteln und plitschern und laufen und rutschen nackig über die Bühne, dass es nur so seine Lust hat. Katrin Plötner kriegt das gut hin, der Schlacks Jacob Keller und die propere Janina Schauer wirbeln, der„Welt berühmtestes Liebespaar sieht aus, als käme es aus dem Sandkasten – oder rolia4von einer Schaumparty. N-ckte Tatsachen statt zarter Romantik – Shakespeares Worte verpuffen bei solch’ banalen Bildern“. (Susanne Wiedamann. MZ). Sie täuscht sich, die „Worte verpuffen“ nicht, aber die Inszenierung macht es sich schwer, den Bogen zur Tragödie zu kriegen.

 

Die Hochzeitsnacht ist der Wendepunkt. Noch hohe Lust und Versinken in sich selbst, doch schon ruft die Lerche den Tag aus. Ein Problem: Es gibt gar keine Nacht. Romeo und Julia ziehen sich nicht in den intimen Raum zurück, um sich zu entkleiden, sie tun’s auf dem Marktplatz der hellen Bühne. Das ist, isoliert gesehen, amüsant, verrät auch nicht die ausgelassenen Kinder, doch Plötner vergibt sich die dramaturgisch notwendige Möglichkeit, es hell werden zu lassen, mit dem Tag umzuschalten auf die Gefahr. Nachtigall oder Lerche, das macht da keinen Unterschied. Die Bühne hat auch keinen Raum für Intimes. Auf dem Balkon kann man sich nur zeigen, die lustige Treibhauskirche Pater Lorenzos bietet kurzzeitiges Versteck. Nur das Grab ganz vorne auf der Bühnenrampe wird aufs Private heruntergedimmt.

 

rolia1Andere Gimmicks stören die Logik des Stücks nicht. Das Gewächshaus passt gut zu Pater Lorenzo, der ja als Mönch der Drogen kundig war, als Kindskopf darf er die LED-Girlanden am Gewächshaus auch zur Trauung blinken lassen und er darf als Brautstrauß auch den Bund Radieserl reichen – den Julia verschmitzt ins Publikum schleudert. Pater Lorenzo ist, und das macht die Inszenierung schön deutlich, nicht der abgeklärte Vater, der die Liebenden beschützt gegen die Intrigen der Machtfamilien, er ist selbstverliebt, benutzt die jungen Leute, um sich seiner Bauernschläue zu vergewissern, ist der Anstifter der Tragik. Wäre er anders, er hätte Romeo und Julia nie trauen dürfen, weiß er doch, wie jung und unbedarft sie sind, kennt er doch die Kapriolen des unsteten, völlig unreifen Romeo. Sein Versuch der Selbstrechtfertigung: ‚Ich wollte doch nur …‘ entlastet ihn bei Shakespeare, heute wird er eher als Entlarvung gesehen. Gerhard Hermann darf den  Lorenzo überzeugend spielen.

 

Der Bruch zur immens beschleunigten Tragik des zweiten Teils gibt Jacob Keller und Janina Schauer endlich Gelegenheit zum Fühlen, und auch das erledigen sie überzeugend. (Hier kann Janina Schauer weg von ihren zu häufigen Trutscherl-Rollen, muss nicht mehr betonen, dass ihre Schuhe neu sind: Zalando und Julia.) Bei Shakespeare ist das Scheitern schmutzig, da darf man sich durchaus mit Blumenerde einsuhlen oder auch Theaterblut ins Gesicht klatschen wie Mercutio Felix Steinhardt und Tybalt Frerk Brockmeyer, die noch im Tod ihr Testosteron nicht in den Griff kriegen.

 

Der Schluss steht so im Text, er soll den Tod der Jungen schönreden, da er den Alten Eintracht brachte in Verona. Das ist bei der nächsten Aufführung aber schon wieder vergessen. An den alten Stücken altert am schnellsten ihre Moral. Zögernd geben sich Vater Montague und Lady Capulet die Hand. Michael Heuberger hat nur eine kleine Rolle, Ulrike Requadt dominiert – und nervt – mit ihren jederzeit abrufbaren Gesten nicht nur ihre Umgebung.

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Es dauert, bis sich das Publikum zum Applaus findet. Ein unterhaltsamer  Abend mit viel Schauvergnügen auf der ausladenden Bühne (Anneliese Neudecker). Nicht alles passt stimmig zusammen, diese Kritik kann die Regisseurin aber an Shakespeare weitergebn. Im Trailer-Video gibt Katrin Plötner nichtssagende, fast platte Statements. Sie ist, sagt sie, vor allem an den Jungen interessiert; sie ist selbst erst 27. Mir Altem hat’s gefallen. Ein Original, wie gesagt, gibt’s nicht. In Regensburg spielt man das Stück in der Übersetzung von Thomas Brasch.

– – –

Dazu schreibt Hannes Stein (WELT):

Was sagt Mercutio Montague zur Amme der Capulets, nachdem sie ihm einen guten Morgen gewünscht, er ihr ironisch mit „Guten Abend“ geantwortet und sie sich erkundigt hat, ob denn wirklich schon Abend sei? Nichts weniger als das, sagt er: „For the bawdy hand of the dial is upon the prick of noon.“ (Romeo and Juliet, II.4) Also ungefähr: „Denn der obszöne (bawdy) Zeiger (hand) des Ziffernblattes ist auf der Einkerbung (prick) des Mittags.“

Hier stolpern wir über das zweisilbigige Wörtchen „bawdy“. Was soll denn an einer Uhr groß obszön sein? Kinder, bitte weghören: „Hand“ heißt natürlich nicht nur „Zeiger“, sondern auch – erraten – „Hand“; und „prick“ ist nicht nur die Einkerbung, sondern auch noch etwas ganz anderes.

Wie aber übersetzt Dorothea Tieck die feuchtheiße Stelle? Hier benötigen wir nun leider eine ganze Zeile mit Gedankenstrichen:

——————————— (Romeo und Julia, Zweiter Aufzug, Vierte Szene).

Dorothea Tieck errötet und schweigt. Sie hält dem spätmittelalterlichen Renaissancemenschen Shakespeare den Mund zu.

In der viktorianischen Ära lebte ein Pfarrer Thomas Bowdler, der eine familientaugliche Ausgabe von Shakespeares Werken herausgab; das Englische kennt ein von seinem Familiennamen abgeleitetes Verb „to bowdlerize“, was wir vorläufig mit „entschweinigeln“ wiedergeben wollen. Die Schlegel-Tieck-Versionen hätte der gute Pastor gar nicht mehr bowdlerize-entschweinigeln müssen. Sogar „Romeo und Julia“ gerät bei diesen Romantikern zu einem jugendfreien Stück, und das ist wirklich ein Skandal.

Wie übersetzt jetzt Thomas Brasch den bewussten Satz? Er schreibt: „Der geile Zeigerstachel steht ganz nach oben und kitzelt stark in der Öffnung zwischen ihrer Eins und ihrer Zwei die aufgespreizte Zwölf.“ Hier setzen wir uns beglückt auf den Hintern und rufen: Bravo! Besser kann man es nämlich nicht machen.

 

Theater Regensburg – Aufführung am 28. Dezember 2013

Fotos (c) Jochen Quast


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