Sascha Arango:
Die Wahrheit und andere Lügen
Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab‘ es da gelassen. Es verrät mich ! Das Messer, das Messer ! Hab‘ ich’s? So ! – Er läuft zum Wasser.So, da hinunter ! – Er wirft das Messer hinein. – Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. – Nein, es liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. – Er geht in den Teich und wirft weit. – So, jetzt – aber im Sommer, wenn sie tauchen nach Muscheln? – Bah, es wird rostig, wer kann’s erkennen. – Hätt‘ ich es zerbrochen! – – Bin ich noch blutig?
Der Mörder hat’s nicht leicht. Er hinterlässt Spuren, Indizien. Bei Woyzeck war’s nur ein Messer, heute wird „die Summe der Ereignisse unübersichtlich”: das Auto, das Handy, der Mann hinter der Gardine, der Ober, die Reifenspuren, der Fischhändler, der Autoverleiher, Badeanzüge. “Ein Mörder muss wachsam sein. Sein Feind ist das Detail. Das unbedachte Wort, die Kleinigkeit, die er vergaß, der unscheinbare Fehler, der alles zunichtemacht. Er muss die Erinnerung an seine Tat wach halten und jeden Tag in sich erneuern und gleichwohl schweigen. Schweigen aber ist gegen die Natur des Menschen. Ein Geheimnis zu bewahren ist nicht leicht. Ein Leben lang zu schweigen ist eine Qual. So gesehen tritt der Mörder mit dem Tag seiner Tat seine Strafe an.“
Sascha Arango interessiert nicht, was das ist, „was in uns lügt, mordet, stiehlt“ (Büchner), er will herausfinden, ob der Täter der mörderischen Unübersichtlichkeit Herr werden kann, ob er die Übersicht behält, wo er Fehler macht. Arangos Geschichte ist einfach und nicht neu: Ein verheirateter Mann hat ein Jüngere, und die erwartet von ihm ein Kind. Eine muss weg. Die Flut erfrischt schon auf dem Cover. Die Tat gelingt, allerdings etwas anders, als der Täter denkt und der Täter wird zum Verfolgten, darf sich aber nichts anmerken lassen. „Jeder Mörder sollte wissen, dass die moderne Kriminologie als Lehre vom Verbrechen eine sehr umfassende ist. Verschwindet eine Person, wird dem nachgegangen und dabei in alle Richtungen ermittelt, bis alle Umstände dieses Verschwindens geklärt sind. Das ist insofern von Bedeutung für den Mörder, als er sich auf eine Untersuchung gefasst machen muss, die lange dauern kann und keinen logischen Widerspruch toleriert.“ Was die Sache kompliziert und Arangos Roman den doppelten Boden öffnet: Henry hat viele Bestseller verkauft, aber keinen davon geschrieben. Sie stammen von seiner Frau, die nur das Schreiben interessiert, nicht der Vertrieb. Also springt Henry ein, ein Tunichtgut von Kindheit an, eigentlich ein cooler Kotzbrocken, aber das ist jetzt egal, Moral gibt es im guten Krimi keine. Henry und Martha leben in einer Win-Win-Symbiose. Bis Lektorin Betty das Kind erwartet.
Arango schreibt sachlich präzise – „Im folgenden Frühjahr tötete Henry seinen Schwiegervater” -, er konstruiert die Komplikationen so souverän, dass Henry zu gewinnen scheint. Das kann aber auch daran liegen, dass die Polizei bei den Ermittlungen nicht so souverän ist wie Henry, der Autor hat es ja in der Hand, Fehler an die Personen zu vergeben. Der Leser weiß alles, darf mitleiden oder -triumphieren, Henry darf auch seine überraschend positiven Züge haben. Manche Volte muss man mitvollziehen; eingreifen kann man ja nicht, aber Arango gibt genug von seinem Autorenwissen preis. Er spielt, auch mit den auktorialen Eingriffen, der zwinkernden Vertrautheit mit dem Leser. Auch der wird ins Kalkül gezogen. „Die Lügner unter uns werden wissen, dass jede Lüge ein Quantum Wahrheit enthalten muss, um überzeugend zu sein. Ein Spritzer Wahrheit ist oft genug, aber er muss sein, wie die Olive im Martini.”
Arango „belebt Patricia Highsmith’s grandios „talentierten Mr. Ripley“ neu und lässt ihn als sympathischen Müßiggänger Henry Hayden derart nachvollziehbar (und auch mitfiebernd) Böses tun, dass es ein pures (Lese-)Vergnügen ist“ (Lars Schafft, Crimi-Couch). „Das Buch eignet sich ideal für die Ratgeberecke, denn es enthält viele feine Lügen zum Selberbauen. Falsche Wahrheiten gibt es schließlich schon genug.“ (Werner Bartens, SZ) Die Sekretärin heißt Honor Eisendraht, der Hund Poncho. Der Marder hat keinen Namen.
Poncho schlief neben seinem Bett. Henry trank Kaffee, duschte ausgiebig und holte die Wanderstiefel aus dem Schrank. Sobald Poncho die Stiefel sah, begann er sich zu drehen und schwanzwedelnd vor der Haustür auf und ab zu tänzeln. Er lief vor Henry zum Wagen und sprang auf den Beifahrersitz. Die Stunde der täglichen Wanderungen war gekommen.
Um bei seinen Exkursionen mit Hund nicht von Bewohnern der Umgebung erkannt zu werden, wählte Henry stets entfernte Orte im Hundert-Kilometer-Radius aus, ein Romanautor ist schließlich kein Wandersmann. Dank einer militärisch genauen Karte, auf der die kleinsten Waldwege verzeichnet waren, hatte er sich in den letzten zwei Jahren große Wiesen und Waldgebiete erschlossen, war durch malerische Moore und abgelegene Küstenregionen gestreift, hatte aller hand seltene Vögel und Wildtiere gesehen und dabei sogar an Gewicht verloren. Die Gefahr, sich zu verlaufen, bestand kaum, denn zweihundertzwanzig Millionen Riechzellen in Ponchos Nase fanden den Weg zum Wagen zurück.
Henry wählte diesmal ein Waldgebiet, vierzig Kilometer westlich des Ortes, das er schon einige Male mit dem Hund durchstreift hatte. Er stieg an einem herrlich schattigen Rastplatz aus. Nicht weit entfernt plätscherte eine Kaskade zwischen Farnen, der Duft von frischem Harz schwebte in der Luft, Sonnenlicht fiel durch die Wipfel und goss Glanz auf Millionen Blätter.
Aus seiner Jackentasche zog er sein rotes Telefon, um den Akku einzulegen. Er rief Betty nie zweimal vom selben Ort an, das gehörte zu seinen präventiven Gewohnheiten, die er sich in den Jahren seines kompletten Verschwindens in einer überbevölkerten Welt angeeignet hatte. Er tippte den Code ein und wartete. Für dieses niedliche Ding kamen übrigens niemals Rechnungen, weil es ein Prepaid war. Guthaben dafür konnte man an jeder Tankstelle kaufen, praktisch, billig und anonym. Henry liebte das Inkognito.
Betty antwortete beim ersten Klingelton. Ihre Stimme war belegt, sie hatte geraucht. »Hast du’s ihr gesagt?«
»Ich erzähl dir heute Abend alles. Bist du im Verlag?«
»Ich bleibe heute zu Hause. Wie hat sie reagiert?«
Henry machte eine Wirkungspause. Diese hatte sich bei Telefonaten bestens bewährt, während en face das mysteriöse Lächeln unschlagbar dekorativ war. Man konnte einfach nichts falsch machen damit. »Martha ist wahnsinnig tapfer.«
Er hörte das metallische Schnappen von Bettys Feuerzeug. Sie inhalierte Mentholrauch. »Moreany wird mich feuern, wenn er von uns erfährt.«
2014 300 Seiten
Sascha Arango schreibt Drehbücher für die Borowski-Tatorte.
Infos und Leseproben beim Bertelsmann-Verlag
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