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Csaba Mikó: Die Vaterlosen
Inszenierung: Michael Lippold
Das Paradies ist ausgebrochen, 1989 in Ungarn. Die stalinistischen Überväter Rákosi und Kádár sind weg, der „Eiserne Vorhang“ ist zerschnitten. Der Befreiuung von Enge und Unterdrückung folgt endlich die Freiheit, sein eigenes Leben leben zu können. Und diese Freiheit wird grenzenlos sein. Jeder darf reich, erfolgreich und glücklich werden, jede darf ungehemmt ihre Wünsche realisieren. Und das tun auch alle.
Doda wird Künstlerin. Im Prinzip. Sie ist aber doch nicht so gut wie glücklichere andere und heiratet schließlich – aus Not ihren Ex, den sie schon verstoßen hatte. Ihr Bruder Laci wird reich. Im Prinzip, denn niemand wirft ihm das nötige Startkapital in den Schoß, die erste Million. Er betrügt seine geliebte Doda und landet im Knast. Simon rettet die Welt, wird Präsident. Es hat es aber doch nur zum rebellierenden Neid auf die Geschwister gereicht und ihn in den Nihilismus geführt. Die einzige, die wirklich aktiv wird und die errreicht, was sie will, ist Schwester Fester: Sie engagiert sich für Wale und betreut Obdachlose, sie erscheint als sympathisches, oft auch nervendes Naivchen. Der älteste Bruder Tomi fühlt sich als Ersatzvater, er hat den bürgerlichen Weg eingeschlagen, hat Kinder und einen Job und bringt Geld nach Hause. Natürlich hat auch das keinen Bestand. So ist es, wenn das Theater die Realität nachspielt. Ungarn könnte auch in Deutschland sein.
Die Töchter und Söhne sind Typen und nur innerhalb dieser Rollen individualisiert. Der Weg geht über Phantasie und Aufbruch zu Anpassung und Resignation. Man sieht’s an Äußerlichkeiten: Dodas bunte Sneaker weichen den Pumps, das Haar ist nicht mehr keck zum Schwänzchen gesteckt, unter Lacis Anzug kommt das Knasthemdchen zum Vorschein, Simons Outfit wird noch dunkler, Festers Beani bleibt naiv.
Angespielt wird das Familienleben in einigen „Höhepunkten“: Festen, an denen man sich trifft, um Familie zu sein: Weihnachten, Geburtstag, Hochzeit und Hochzeitstag, Beerdigung und Schweineschlachten (Ungarn!). Die Bühne von Anna Schurau ist schnell umgebaut, vom Trog zum Sarg geht’s schnell wie bei IKEA. Aus den Gurken- und Paprikagläsern wird der Weihnachtsbaum. Mit der Hoffnung werden auch die Requisiten auf der Bühne weniger. Auch die Mutter wird verräumt und die Kinder nutzen den Raum, um „fröhlich“ imAuto zu fahren. Die Szenen gehen ineinander über, es gibt keine Chronologie. Die „Kinder“ müssen immer wieder nachrechnen, wie alt sie bei bestimmten Ereignissen waren. Die Spieler sprechen ihre Texte nicht nur, sondern doppeln und erklären sie in Kommentaren, die oft auch als Audio eingespielt werden. Der Aufwand, den sie treiben, um sich ihrer Vorstellungen zu versichern, ist beträchtlich – und in der Präsentierung modern.
„Die Vaterlosen“ (Apátlanok) sind ein Stück für das Regensburger Theater am Haidplatz. Nicht nur, weil es einen Bezug herstellt zum europäischen Nachbarland (wo es auch auf dem Festival für zeitgenössische Dramatik Budapest (Kortárs Drámafesztivál) zu sehen war, sondern weil es Rollen für das junge Ensemble bietet, die man den Schauspielern abnimmt. (Was nicht immer so ist.) Im Vordergrund steht meist die exaltierte Pina Kühr, deren Doda Glamour mit ausgestelltem Leiden verbindet. Die Liebe zu Bruder Laci kostet sie fast das Leben und ihre Zukunft. Johanna Wieking ist zu Gast in Regensburg und spielt ihre “Fester” so überzeugend charmant, dass man sich fragt, ob die wirklich so ist. Thomas Birnstiel (Tomi) und Felix Steinhardt (Laci) machen ihre Sache souverän. Simon hat kaum Positives auf seiner Agenda, er ist der existenzialistische Nihilist, der am liebsten der „Terminator“ wäre, doch sehe ich in Jacob Keller keine „aasige „Wucht“ des rechtspopulistschen Orbán-Ungarn, wie sie Egbert Tholl (SZ) entdeckt hat. Vielleicht sieht man das in Ungarn deutlicher.
Franziska Sörensen ist die Mutter, die versucht, ihre Familie Suppe schöpfend zusammenzuhalten. Den „Schutzmantel“, unter dem sie zu Beginn ihre Bagage verbirgt und aus der Präambel zur ungarischen Verfassung von 2011 zitiert (Gott segne die Ungarn!), tauscht sie gegen die Kleiderschürze ein. Sie vergrämt zusehends, sitzt schließlich nur noch apathisch im Hintergrund der Bühne. Ihre Aufgabe war zu groß, die Familie ist am Ende. Beim Begräbnis singt sie die National-Himnusz, aber das hilft auch nicht weiter (auch wenn die aktuellen politischenFführer das predigen).
Der Vater, der ihnen hätte sagen können und gesagt hätte, was sie tun und werden sollen, ist abhanden gekommen. Er lebt noch, hat einen Job als schlechtbezahlter LKW-Fahrer; er versorgt die Familie mit Geld, taucht aber nicht auf. Die Kinder sprechen dauernd über ihn, sie vermissen einen Leitwolf. Hier kann man, wenn man will, einen Bezug zur Entwicklung (auch) Ungarns zur postkommunistischen Gesellschaft sehen. Doch auch im „Westen“ fallen, wenn auch auf zum Teil andere Weise, die traditionellen Familien auseinander.
Etwas anderes lässt den Gedanken an die Parabel stärker aufkommen: Die Mutter hat ein Kind von einem russischen Soldaten. Dieser Joscha ist aber unheilbar krank. Seine Pflege ist teuer und nimmt einen Großteil der Aufmerksamkeit der Mutter in Anspruch. Zunehmend machen die Kinder der Mutter zum Vorwurf, dass sie ihnen so ein russisches Kuckuckskind in die Familie gesetzt hat, einen kommunistischen Klotz am Bein, der die Freiheit am Fliegen hindert. Diese Metapher des Autors Csaba Mikó ist reichlich plump, wird aber von den Kindern, also auch den Ungarn, gern als Rechtfertigung eigener Untätigkeit benutzt. Auch im „Westen“ werden ständig die Werte beschworen, die keine Orientierung mehr liefern. In Ungarn, so will das Stück sagen, ist der Traum am Boden gelandet.
Theater Regensburg – Aufführung am 26. November 2014
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