Nachrichten vom Höllenhund


Straub
16. Juni 2015, 18:02
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Isabella Straub: Das Fest des Windrads

straubOed ist das Zentrum am Rande der Welt in Isabella Straubs Roman „Das Fest des Windrads“. Damit hat jeder kleiner Ort – nicht nur in Österreichs Osten – seinen Namen. Immerhin hat Oed einen Bahnhof und ein Taxi und deren Insassen lönnen sich somit hier über den Weg laufen und eine Handlung in Gang bringen. Ein Zug bleibt – aus technischen Gründen ? – unerwartet stehen und da sie es eilig hat, zu einem Kongress der Firma MEDICALUX, dem Marktführer für Endoskope, nach San Marino zu gelangen, steigt Greta Kaminsky aus dem Zugfenster. Das Taxi gehört Jurek, dem einstigen Philosophiestudenten, und obwohl sie in einem wenig passenden Moment auftritt, bringt er Greta in den Ort. Oed (TG), am tiefen Graben.

Oed ist die Endstation für Gretas Karriere, Oed saugt sie ein, sie bleibt – zumindest – bis zum Fest des Windrads, wo die Gemeinde ihr einziges „Wahrzeichen“, eine amerikanische Western-Mill aus der Nachkriegsbesatzungszeit, abfackeln will. Oed bricht auf, in welche Zukunft auch immer. Isabella Straub bevölkert ihr Kaff mit dem erwarteten Personal, alle stecken irgendwie in Oed fest, fahren allenfalls einmal nach Mundschuh, den Nachbarort, alle haben ihr Häuschen, von Folterkellern ist nichts bekannt, alle haben ihre Macken, sind aber irgendwie sympathisch in ihren kleinen Nöten. Man bräuchte den anderen, versteht ihn aber nicht recht und zieht sich deshalb lieber zurück ins Nest, aber auch das klappt nicht. Während manche drauflos plappern hält Jurek meistens ein Wort oder einen Satz zurück, um sich nicht festgelegt zu haben. Von Liebe ist da gar nicht zu reden, drandenken tun doch alle ständig. „Die Männer, die ich kennenlerne, werden nie erwachsen. Damit ist mein Kinderwunsch erfüllt und abgehakt.“ Die Frau von Joe, dem dicken Diabetiker, hat ihm zum Abschied nur einen Zettel auf den Tisch gelegt: „“’Das war’s, du Arsch’, und als hätte das noch nicht gelangt, auch noch: ‚Alle Orgasmen waren vorgetäuscht, alle.’ Vierzehn Jahre lang, ein herber Schlag.“ Was zur Hilfe angeboten ist, nennt sich „Burnout-Oase“.

Ob das alles ist, was übrig bleibt. Ein kaltes Zimmer und ein unfertiges Haus. Ein unfertiges Leben, denkt Jurek. Mehr kann er nicht vorweisen. Keinen Putz, keine Farbe. Keine Blumen an den Fenstern. Nur zwei Tiefkühltruhen, randvoll mit antikem Fleisch. Tiefgefrorene Sorgen – das ist es, was übrig bleibt. Er verlässt das Zimmer erst, als es still geworden ist im Haus. Unten wirft er einen Blick auf sein Handy. Eine neue Nachricht. Ein Foto, das Mathilda mit rosafarbenen Turnschuhen zeigt. Lillifee-Schuhe. Stolz hält sie ihre Errungenschaft in die Kamera. Da wird Jurek ganz warm. Seine Hand, die das Handy hält, zittert.

Nicht nur Greta bringt Jureks eingerichtetes Leben aus den Gleisen, sondern auch seine etwas mollig gewordene Tochter Lynn und deren spillerigen Bräutigam , die sich in Jureks Haus niederlassen wollen.

Er wird einen Schwiegersohn bekommen, der Alfred heißt. Vielleicht mausert er sich noch zu einem ansehnlichen Kerl, denkt Jurek. Vielleicht strömt ja das Gewicht, das Lynn in Zukunft noch verlieren wird, direkt in Alfreds Körper, und am Ende sehen beide akzeptabel aus. Vielleicht ist es das Höchste, was man mit Liebe erreichen kann: einen relativen Ausgleich. (…) »Was arbeitest du, Alfred?«, will Jurek wissen. Jetzt und hier im Auto müssen die Fragen beantwortet werden. »Versicherungsmakler«, sagt Lynn. »Welche Art Versicherungen?« Endlich macht Alfred den Mund auf. »Alles«, sagt er. Jurek seufzt. Auch das noch. »Er ist unabhängig«, sagt Lynn. »Unabhängiger Berater. Sucht dir immer die günstigste Versicherung heraus. Für Wohnung, Auto, Betriebsausfall und so.« »Mit Königsprodukt«, sagt Alfred. »Etwas Einzigartiges«, sagt Lynn. »Du wirst Augen machen.«

Isabella Straub holt den Oeder Alltag aus dem Grau und (er)findet viel Kurioses, das sie aufeinander prallen lässt. Ihre Phantasie schlägt Kapriolen, ermattet aber dann doch und wird abgelöst von etwas erzwungenen Konstellationen. Die dem Roman zugeschriebenen Attribute “Gegenwartsanalyse” (ORF), Ort der “Begegnung mit sich selbst” (Klappentext) greifen zu hoch. Amüsant sind die pointierten Beobachtungen aus den Grabenbereichen der sich verlierenden Illusionen.

2015       350 Seiten

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Isabella Straub liest aus dem Roman auf zehnseiten.de

Homepage von Isabella Straub


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