Nachrichten vom Höllenhund


Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine
11. Juni 2017, 16:13
Filed under: Theater

Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine
Nach dem Roman von Alfred Döblin
Inszenierung: Hannes Weiler

Wie ein Wirbel federt Parick O. Beck die Außentreppe hoch. Rommel sitzt da in seinem Loch, Gunnar Blume, beglatzt wie der militante Opa von Klimbim, Rommel, Wadzeks Turbinenkonkurrent, immer schon da, wo Wadzek erst hinläuft. Wadzek will was von Rommel, weiß aber nicht, was und wie, federt wieder nach unten. Unten ist es sicherer, vielleicht, da ist sein Kumpel Schneemann, der „bärige“ Frerk Brockmeyer, bärtig, wie man sich den Schneemann vorstellt, Zotteln in Orange. Die Weiber, schrill wie die Weiber in Klimbim, blond- und rotperückt, Gaby & Pauline, Susanne Berckhemer und Silke Heise, laut, keifend, nicht zu fasssen. Klimbim, „umgangssprachlicher Ausdruck für unnützes Beiwerk“, (wikipedia) war eine klamaukige TV-Serie der 70er. Regisseur wadzek4Hannes Weiler (*1981) kann sie eigentlich nicht kennen, mir, furchtsamer Klient über 50, spukt sie im Kopf rum. Gut, dass Wadzek nur in die Luft pengpengpengt, er hat kein Ziel, ist deshalb dauernd in Bewegung, Pollesch in der Provinz. (Subversiv ist bei Weiler aber nichts.) „Wer ab und zu nach München, Berlin oder Dortmund ins Theater fährt, wird sich hier ohne Zweifel leichter tun.“ (Tina von SamtundSelters, schade dass sie aufhören.) Der Kampf ist schon kraft- und geistzehrend genug (ja, man darf da schon an Franz Woyzeck, den gehetzten, denken), weshalb soll man ihn auch noch verstehen wollen. Kullernde Kartoffeln, halbgar, tanzende Gartenstühle in Rosa, Slapstick, Stummfilm, Franziska Sörensen (Herta, Trude, Litgau) trägt den präparierten Pfau um die Bühne. Susanne Berckhemer im Heuhaufen-wadzek3Überzieher (von Bettina Werner), Einfälle, die wie Spontanesken wirken, Intrigen, Anschläge, Wadzek verkämpft sich unten und oben, drinnen und draußen, verknäult sich. Zeit für eine Berliner Weiße mit Himbeer für ihn und Schneemann. Man könnte sie holen, wenn man nicht seine Füße zählte und sich damit überforderte. Das Leben ist ein Schlängeln. Zeit für eine

Pause.

Alfred Döblins Roman kam 1914 raus. Es darf angenommen werden, dass sich die (Stadt)Menschen damals trotz geringeren Tempos ebenso beschleunigt fühlten wie wir wadzek2uns heute. Dass der technische und wirtschaftliche Fortschritt so unübersichtlich schien, dass man unter die Räder der Dampf-Turbine geriet. Dass einem das Leben entglitt, weil man sich an nichts und niemand festhalten konnte, weil alles gleichzeitig passierte. Die Menschen „befinden sich in unablässiger Bewegung – miteinander, gegeneinander, durcheinander; es ist eine ungeheuerliche Massendynamik, ein Strömen und Fluten, Wirbeln und Strudeln von Menschen, in dem sich unaufhörlich alles verschiebt“ (Willy Hellpach, 1902). Die technische Scheinrationalität dreht in den Irrsinn. Hannes Weiler lässt die Zeiten und Räume ineinanderfließen. Simultaneität. Liquid Geography. Wenn man nicht versteht, was der andere kreischt, ist das egal, weil man sich sowieso nicht versteht. Man spricht in Schleifen, bis die Sprechblase clownesk ploppt. Text nur, damit man etwas sagt. Das wundersame Bühnenhaus von Baumeister Florian Dietrich ist voller obskurer Nischen, Hirn-Stübchen, von allen Seiten abweisend zugänglich, die Fratzen des Innen werden auf die Außenhaut projiziert. Vorne Fabrik, hinten Tarnnetz,unten Schachteln, oben Reklame. Rustbelt. Transparent und undurchschaubar. Wer verhockt sich da drinnen? Die Bündnisse sind fragil, Wadzeks Tochter verrät den Vater, der Polizist ist eine Frau mit verrutschtem Klebebart, Wadzek flieht nach Amerika. Rommels Geliebte Gaby flieht mit.

Aus.

Ein anstrengendes Stück. „Ha!“ (Nochmals Tina) Man will verstehen und ist mit Hören und Sehen voll ausgelastet. Die Drehbühne überdreht sich, vor und zurück und wadzek1rundherum. Die drei Mädels vom Projektionsteam spüren die Insassen in ihren Kabäuschen auf und bemühen sich, ihre Kabel nicht von der Drehbühne auftrommeln zu lassen. Seltsam wenig Musik, nur ein paar erratisch eingespielte Fetzen. Die mit großem Getöse gestartete Aufführung beruhigt sich nach der Pause etwas, gedämpfte Turbine, das Absurde geht in sich. Dem Wahn-Sinn voll gewachsen: die Schauspieler. Alle lassen die Worte herausstürmen als wären sie verständig, alle haben Freude an der Maskerade, jeder legt Kilometer zurück, allen voran der Fabrikant Patrick O. Beck in Zylinder und kariertem Anzug. „Wer das Erlebnis hinterher in Worte fassen kann, hat irgendwas falsch gemacht.“ (TV-Bericht zu einem anderen Stück) Das Publikum fasste das Erlebte in teils jubelnden Applaus – auch und besonders für die Spieler.

Theater Regensburg – Aufführung am 8. Juni 2017

Fotos: Martin Kaufhold


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: