Andrej Platonow: Die Baugrube
Andrej Platonows „Die Baugrube“ ist bis 1930 entstanden. Stalins „Große Säuberung“ stand noch bevor, doch das Regime war dabei, das System zu gestalten, den „Kommunismus“ durchzusetzen. Ihn in die Köpfe der Menschen zu pflanzen, auch wenn sich die Köpfe stur stellten. Alte Verhaltensweisen – das war schon immer so und hat schlecht funktioniert – sollten geschleift werden, und wer nicht mitmachte, wurde mitentsorgt. Das ZK beschloss und beschloss und schickte die Beschlüsse ins Land, die Bürokratie machte sich selbstständig. Es war ein weiter Weg von Moskau aufs Land und in die kleinen Städte.
Die Bauern waren es, die sich absichtlich nicht „entkulakisieren“ lassen wollten. Viele ließen sich einfallen, ihre Tiere der Kollektivierung zu entziehen und sie zu schlachten, was zu einem (vorübergehenden) Überschuss von Fleisch führte und die Preise purzeln ließ. So geht man dazu über, nicht den einzelnen Bauern zu kollektivieren, sondern alle als Klasse. Wer sich sträubt, wird aufs Floß gesetzt und gen Meer getrieben.
Der trübsinnige Protagonist Woschtschew verdingt sich als Arbeiter in der “Baugrube”, in der das Fundament für das “gemeinproletarische Haus“ errichtet werden sollte, ein Symbol für den „Palast der Sowjets“. Später wird der Baugrund als „Schlucht“ beschrieben.
Woschtschew stand auf und ging, noch ohne vollen Glauben an die allgemeine Notwendigkeit der Welt, zum Essen, befangen und voller Schwermut.
Als sie die Nahrung gegessen hatten, gingen die Arbeitsleute nach draußen mit Spaten in den Händen, und Woschtschew lief ihnen hinterher.
Auf der abgemähten Brache roch es nach totem Gras und der Feuchtigkeit von kahlen Stellen, weshalb die allgemeine Traurigkeit des Lebens und die Schwermut der Vergeblichkeit deutlicher spürbar waren. Woschtschew gab man einen Spaten, und mit der Härte der Verzweiflung seines Lebens drückte er ihn in den Händen, als wolle er sich die Wahrheit aus der Mitte des Erdenstaubs beschaffen; in seinem Elend war Woschtschew bereit, eben keinen Sinn der Existenz zu haben, doch wünschte er ihn wenigstens zu beobachten in der Substanz des Körpers eines anderen, nahen Menschen, – und um in der Nähe dieses Menschen zu sein, konnte er für die Arbeit seinen ganzen schwachen Körper drangeben, der verzehrt war von Nachsinnen und Sinnlosigkeit.
Der Sozialismus kann das nicht dulden.
Doch der Sozialist Safronow fürchtete, die Pflicht der Freude zu vergessen, und antwortete allen und für alle Mal mit der obersten Stimme der Stärke:
»Wer den Ausweis der Partei in den Hosen trägt, muss sich unablässig sorgen, dass im Körper Enthusiasmus ist. Ich rufe Sie auf, Genosse Woschtschew, zu wetteifern um das höchste Glück der Stimmung! « (…)
»Stellen wir die Frage: Woher kommt denn das russische Volk? Und wir antworten: aus der bourgeoisen Kleinigkeit! Es wäre auch noch anderswoher entstanden, aber mehr Platz war nicht da. Und darum müssen wir jeden in die Salzlake des Sozialismus werfen, damit sich die Haut des Kapitalismus von ihm abschält und das Herz seine Aufmerksamkeit auf die Glut des Lebens um den Scheiterhaufen des Klassenkampfes richtet und Enthusiasmus erwächst!..«
Ohne Ausweg für die Kraft seines Verstandes, steckte Safronow sie in die Worte und sprach diese lange. (…)
Bald war das ganze Artel, versöhnt in allgemeiner Ermattung, so eingeschlafen, wie es lebte: in Taghemden und Überhosen, um sich nicht abzumühen mit dem Lösen der Knöpfe, sondern die Kräfte zu schonen für die Produktion.
Allein Safronow blieb ohne Schlaf. Er schaute die liegenden Menschen an und äußerte sich voller Gram:
»Ach du, Masse, Masse! Es ist schwer, aus dir den Grützbrei des Kommunismus zu organisieren! Und was willst du, so einAas? Die ganze Avantgarde hast du Ekel bis aufs Blut geschunden.«
Und der armen Rückständigkeit der Massen deutlich gewahr, schmiegte sich Safronow an irgendeinen Müden und vergaß sich im Dickicht des Schlafs. (…)
»Zwei Kulaken haben sich jetzt von uns entfernt.«
»Geh und bring sie um!«, sagte das Mädchen.
»Das ist nicht erlaubt, Töchterchen: zwei Personen sind noch keine Klasse … «
»Das sind einer und noch einer«, zählte das Mädchen. »Aber komplett waren sie zu wenig«, bedauerte Safronow.
»Wir sind ja, gemäß des Plenums, verpflichtet, sie mindestens als Klasse zu liquidieren, dass bloß das ganze Proletariat und der Tagelöhnerstand von Feinden verwaist! «
»Und wer bleibt euch übrig?«
»Die Aufgaben, die harte Linie der weiteren Maßnahmen – verstehst du?«
»Ja«, antwortete das Mädchen. »Das heißt, die schlechten Leute alle umbringen, gute gibt es nämlich sehr wenig.«
»Du bist voll und ganz die Klassengeneration«, freute sich Safronow, »du erkennst exakt alle Verhältnisse, trotzdem du selbst noch minderjährig bist. Vom Monarchismus wurden ja die Leute wahllos gebraucht für den Krieg, aber uns ist nur eine Klasse teuer, und unsere Klasse werden wir bald auch reinigen vom unbewussten Element ! «
»Vom Gesindel«, erriet das Mädchen mühelos. »Dann gibt es nur die aller-, allerobersten Leute! Meine Mama hat sich selber auch Gesindel genannt, dass sie noch lebte, aber jetzt ist sie tot und eine Gute geworden – stimmt doch?«
»Stimmt«, sagte Tschiklin.
Eine ganze Reihe von Figuren treibt entkulakisierend und kollektivierend durch den Roman, jeder ein individualisierter Mitläufer, auch der Aktivist. Sie treffen auf karge Böden, arme Flechtzäune, Subkulaken, vergesellschaftete Pferde, und das Mädchen, Tochter einer gestorbenen burshujka“ (Kleinbürgerin), das sie auf ihrer Tour mitnehmen, bis sie wieder zur Baugrube zurückkehren. “Am nächsten Morgen, noch nicht aufgestanden von seinem Lager, begrüßte er ein kleines, mit Tschiklin gekommenes Mädchen als Element der Zukunft, und dann schlummerte er wieder ein.” Das Haus wird nicht fertig werden, das Mädchen stirbt, ausgerechnet dort. Die Wahrheit ist ein flüchtiges Gut. Sehr viel wird in der “Baugrube” geschlafen. Auch das ist Arbeit.
“Die Baugrube” ist kein realistischer Roman. Dafür sind die Personen zu klischeehafte Typen,dafür sind die Situationen zu sehr ironisierte Klischees. Alles ist Symbol, weist über die Beschreibung hinaus. (Die Übersetzerin Gabriele Leupold legt 35 Seiten Erläuterungen bei.) Angeprangert wird nicht das harte Los des Menschen, entlarvt wird der Zusammensturz des Plans durch seine Realisierung. Der Mensch ist nur noch Objekt des Plans, der Bürokratie, der Staatsmacht. Platonows Methode ist Verdoppelung und übertreibende Zuspitzung. “Die Sprache ist der eigentliche Akteur im Roman – und eine Herausforderung für die Leser. Alle Figuren, der Erzähler eingeschlossen, sprechen sonderbar und falsch. (…) Dabei wurzelt die Sprache der Baugrube tief in der Realität, wie sie sich zwölf Jahre nach der Revolution präsentierte: das »Neusprech« der Sowjetepoche kollidiert mit der alten bäuerlichen Rede und der Sprache der Bibel, Dialektales mit Folkloristischem und Flüchen, Abkürzungen mit Bandwurmausdrücken, Verstandenes mit Unverstandenem: »Ach du, Masse, Masse! Es ist schwer, aus dir den Grützbrei des Kommunismus zu organisieren!« oder »Zieh hin, … du bist jetzt wie ein Vortrupp-Engel des Arbeiterbestands, in Anbetracht seiner Auffahrt in die Diensteinrichtungen … «. (Gabriele Leupold)
„Ein Schlüsselwerk und Hauptwerk der russischen Literatur“, preist der Suhrkamp-Verlag an.
1929/30 175 Seiten + Erläuterungen + Nachwort
Leseprobe und weiteres Material beim Suhrkamp-Verlag
Im Bayern 2-Büchermagazin stellt Christine Hamel die
Neuübersetzung von Andrej Platonows „Die Baugrube“ vor.
Besprechung auf dem schönen Literaturblog „pinkmitglitzer“
Ilma Rakusa über „Andrej Platonow und das Leiden am Sozialismus“ in der ZEIT (1990)
„lesenswert quartett“ über Bücher des Frühjahrs 2018 (ab Minute 32)
Gabriele Leupold (Übersetzerin) über Platonows »Die Baugrube« (Video)
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