Nachrichten vom Höllenhund


Meyer
15. Dezember 2019, 17:17
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Thomas Meyer:

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

meyerwolkenbruchDie jüdische Familie ist eingebettet in eine Hülle von Regeln, von Dos and Don’ts, Festen mit Riten, Vorgaben für Kleidung und Autokauf, Schabbes und koschere Speisen wollen eingehalten werden, von Heiratszwängen gar nicht zu reden. (613 Ge- und Verbote soll es geben.)

Auf dem Tisch standen riesige Schüsseln mit chrojsses, Zwiebel mit Ei und gefiltem fisch, bewacht von zwaj massiven Matzentürmen. Es gab auch ein Depot von seks flaschn israelischem Rotwein, das ich bereits zu einem Zwölftel geplündert hatte.

Das tisch-tech, auf dem sich all diese Dinge befanden, war gänzlich mit Matzenkrümeln übersät, und irgendwo fand sich auch noch der traditionelle sederteler mit Petersilie als Zeichen der Frucht der erd, ein kleines Gefäß mit Salz-waser als Zeichen des Meeres, als Zeichen der Bitterkeit etwas Meerrettich, als Zeichen des Lehms etwas chrojsses, als Zeichen der Gebrechlichkeit ein hartgekochtes Ei und als Zeichen des Pessach-Lammes ein gerösteter Knochen mit eppes Fleisch daran.

Lauter Zeichen und lauter Essen; alles sejer jiddisch.

Bei den Wolkenbruchs ist es mame Judith, geborene Eisengeist, die über alles wacht, besonders über Sohn Mordechai, genannt Motti. Motti ist schon 25 und hat noch immer keine Frau, denn alle, die ihm die mame zuführt, gefallen ihm nicht, denn alle sehen sie so aus wie die mame. Die Frau muss jüdisch sein, alles alle ist egal, eine gojete kommt nicht in Frage.

Ich fuhr mir mit der hant in den bort, denkend: Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du.
Also sagte ich: »Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame
»Kejn funk!«, rief die mame. »Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj

Vieles deutete darauf hin. So brachte mich meine mame einige teg schpejter unter einem Vorwand mit dem ojto nach Basel. Angeblich sollte ich ihr helfen, bei einer alten froj, die ihre Wohnung räumte, ballenweise Stoffe für mames wöchentlichen Nähabend abzuholen. Tatsächlich war aber die froj gar nicht so alt und auch weit davon entfernt, ihre Wohnung aufzugeben; und es gab auch keine Stoffe, dafür eine Tochter, zu der ich kurzerhand in ein stockiges zimer gescheucht wurde. Die tir blieb sittsam offen.

Die junge froj, Hannah ihr Name, war von fesselnder Hässlichkeit und sah nur kurz auf, als wir miteinander bekannt gemacht wurden. Danach schaute sie nur noch auf ihre fis hinab. Zudem sprach sie sejer leise, so dass ich immer wieder nachfragen musste, was sie gesagt hatte.

So muss es früher im Königsschloss mit der ungestalten Prinzessin gewejn sein, dachte ich; man sperrte sie ins Turmzimmer und schleuste Prinz um Prinz hinauf, in der hofenung, einer habe schlechte ojgn.

Das Grundgerüst des Romans ist simpel: Der lebenstechnisch etwas unbedarfte Ich-Erzähler lässt sich immer wieder überrraschen von der Verstocktheit der jüdischen Innnenwelt in der sich abkapselnden Community in Zürich, er stutzt aber ebenso über das, was er nicht weiß von der Außenwelt. Da gibt es bunte Kleidung, alkoholische Getränke, unkoscheres Essen, Led Zeppelin, WGs – und eben Schicksen wie die Kommilitonin Laura mit ihrem tuches.

Ein paar Schritte weiter vorn drehte sich ein mejdl um. Sein hell-brojnes, langes hor tat einen frischen Schwung und brachte große, grüne ojgn hervor, die in einem punem von solcher Anmut, von solchem Liebreiz und solcher Lebendigkeit leuchteten, dass ich mit staunendem Mund stehen blieb. Noch nie hatte ich eine derart schejne froj erblickt, und unwillkürlich sprach ich leise den Segensspruch beim Sehen von Bäumen oder anderen Geschöpfen von außergewöhnlicher Schönheit: »Baruch ata adonai, elohenu melech ha’olam, schekacha lo be’olamo«; gelobt seist du, Ewiger, unser G’t, König der Welt, dies alles ist Bestandteil seiner Welt. (…)

Allein schon der Tatsache, dass sie hojsn trug – wohlgemerkt auffallend sportlich geschnit­tene -, war zu entnehmen, dass es sich bei dieser froj um eine schikse handelte; auch ihr unjüdischer Name verriet, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit regelmäßig Schweine aß und am schabbes hemmungslos elektrische Gerätschaf­ten in Gang setzte. Dennoch empfand ich den Namen Laura als Wohlklang, und ich muss gestehen, dass sich die Achse meiner jiddischkajt an diesem frimorgn leicht ver­schob.

Wenn Innen- und Außenwelt aufeinanderstoßen, springt Lustiges heraus. Je klischeehafter, desto lauter will man lachen, die leisen Skrupel verflüchtigen sich in Meyers komödiantischer Darstellung. Jeder kriegt sein Fett weg, am meisten die mame, aber eben auch Motti, der notgeile Erzähler mit seiner jarmelke.

Alle Juden tragen die erwarteten Namen: Blattgrün, Grünstern, Silberzweig. Man erheitert sich über die vielen jiddischenWörter und Sentenzen und erkundigt sich gerne im Glossar über ihre Bedeutung. Vieles versteht man auch so, denn das Jiddische ist ein mittelalterlicher deutscher Dialekt. (Erfunden hat Meyer den blizbrif.)

Am Schluss landet Motti in Lauras Schoß zum schtup. Der ganze Roman ist eine Lachnummer.

2012          280 Seiten (TaBu)

Jiddisch-Glossar und Wolkebruchs Jiddisch-Kurs als Video auf
Thomas Meyers Homepage

Da sie nicht gestorben sind, wurde der Roman 2018 von Michael Steiner verfilmt, 2019 erschien die Fortsetzung „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“. „Wolkenbruch“ (…) beruht darauf, dass die jüdischen Figuren die Anderen sind und sich der Protagonist vor ihnen in die Mehrheitsgesellschaft retten kann. Meyer inszeniert kulturelle Differenz als Lachnummer. Bis heute sind in der Schweiz die ältesten antisemitischen Stereotype wirksam.“ „Bei Meyer sind „die Männer durchgehend notgeil und haben die Frauen entweder einen „guten“, einen „sehr guten Tuches“ oder einen „Übertuches““. (Caspar Battegay, ZEIT) Laura heißt jetzt Hulda.

Caspar Battegay, ZEIT: Der zweite Wolkenbruch-Roman: Dümmlicher Kitsch

Wolkenbruch – der Film

3


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: