Mary Gaitskill:
Bad Behavior – Schlechter Umgang
Die Begegnung mit Franklin im East Village verwirrte Constance zum Teil deshalb, weil er zwei Jahre zuvor genau eine Woche lang mit feuriger Energie versucht hatte, sie zu verführen, um sie dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen und eine bis dahin geheim gehaltene Verlobte zu heiraten. (Andere Faktoren) – Susan war seit fünf Jahren nicht in Manhattan gewesen, und sie hatte sich auf diesen Besuch gefreut, hatte ihn sich vorgestellt als eine Mischung aus genussvollem Schwelgen in sentimentalen Gefühlen und dem sanften Schmerz des Déjà-vu. Die ersten drei Tage waren genau das gewesen. (Verbindung) – As er ihr am Morgen auf dem Weg zur Arbeit begegnete, tat er so, als würde er sie nicht bemerken, obwohl er sie seit vier Jahren nicht gesehen hatte. Sie hatten sich an der Universität von Michigan kennengelernt. Es war eine derart kurze, chaotische Affäre gewesen, dass er sie nicht einmal als frühere Freundin betrachtete, wenn er an sie dachte. (Eine Affäre, Director’s Cut) – Sie wollte einen Mann treffen, in den sie sich kurz zuvor Hals über Kopf verliebt hatte. Sie befand sich in einem Zustand entsetzlicher Angst. Zum einen war er mit einer Koreanerin verheiratet, die er als Inbegriff von Weiblichkeit und Eleganz beschrieb. Aber damit nicht genug, eine Wahrsagerin hatte ihr prophezeit, dass eine Beziehung mit ihm sie für den Rest ihres Lebens emotional zum Krüppel machen könnte. Und schließlich quälte sie die Vorstellung, sie würde einen unvollkommenen Eindruck machen. (Ein romantisches Wochenende) – Stephanie war eigentlich keine »Professionelle«; etwa einmal im Jahr, wenn sie die Büroarbeit allzu sehr anwiderte oder wenn sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte, rutschte sie mehr oder weniger zufällig hinein ins Gewerbe. Einige ihrer Kunden mochte sie sogar, aber sie war nie auf die Idee gekommen, sich mit einem von ihnen privat zu verabreden; sie hielt ihre geheimen Vorstöße in das Reich der Prostitution sorgfältig verborgen und getrennt von ihrem sonstigen Leben. Insofern war sie ein wenig erschrocken, sich dabei zu ertappen, wie sie in Stöckelschuhen und Unterwäsche vor dem verschmierten Spiegel im »Shadow Room« stand und Bernard, dem Rechtsanwalt, ihre Telefonnummer gab. Sie spürte, dass sie tiefer in etwas hineingezogen wurde, was eigentlich nicht ihre Sache war, aber sie hatte keinen Freund, und sie mochte den Rechtsanwalt. Da er verheiratet war, würde er wahrscheinlich nur flüchtige Spuren in ihrem Leben hinterlassen. (Versuchen zu sein)
Erste Sätze. Constance, Stephanie, Susan, Daisy, Virginia – die Namen sind austauschbar wie die Schicksale, die man zu den eigenen machen möchte, in die man schlüpfen und in die man sich verbergen möchte. Die junge Frau wartet darauf, dass ihr Leben identifizierbar iwrd, dass sie sich in einem Leben wiederfindet, dass sie das Leben trägt. Doch das Schicksal ist nicht so, es nimmt keine Rücksicht auf Hoffnungen, lässt die kleine Erwartung zur Illusion verrinnen. “Versuchen zu sein” heißt eine Erzählung.
Sie stellte sich vor, wie sie in ferner Zukunft als erfolgreiche Autorin problemlos darüber sprechen könnte, dass sie einmal Nutte war, ohne dass jemand Anstoß daran nehmen würde. »Ich hab in jener Zeit nicht viel geschrieben«, würde sie im Kreis von erfolgreichen Freunden sagen, die sich lächelnd mit einem Drink in der Hand um sie scharten. »Am meisten Zeit hat es mich gekostet, meine Persönlichkeit wiederherzustellen.« Und alle würden lachen angesichts dieses bewundernswerten Eingeständnisses ihrer weiblichen Verwundbarkeit.
Die Geschichten von Mary Gaitskill variieren Vorstufen des Lebens, der Traum ist zu Ende, aber noch nicht ausgeträumt. Künstlerin – es fehlen noch Beziehungen, Sekretärin – man muss Geld verdienen, “Professionelle” – nur vorübergehend, die Richtung lässt sich aber nicht umkehren, Hauptsache, in “Verbindung” zu leben. Gaitskills Stories haben entlarvend ernüchterte Titel: “Andere Faktoren”, “Was Nettes”, sogar “Ein romantisches Wochenende” beginnt mit einem “Zustand entsetzlicher Angst”. Und anstelle des Wohlfühlens stellen sich ein: Männer. Surrogate. Imaginierte Ausstiegs- oder sogar Aufstiegshilfen.
Männer haben Macht, doch das macht sie nicht sicher. Männer überbrücken ihre Ängste, indem sie ihre Position zur Geltung bringen. Und dazu brauchen sie: Frauen. Sie laden ein, sie erwecken vage Hoffnungen, sie finanzieren, und – wenn sie auch dazu zu schwach sind -, schlagen oder demütigen oder quälen sie. Gaitskill wertet nicht, sie lädt ein zur Kenntnisnahme.
Er setzte sich aufs Bett. »Stephanie, das ist sehr einfach. Ich habe viel Geld. Du hast nicht viel. Du brauchst Geld. Ich kann dir was geben. Bitte, nimm es.«
»Du hast mir auch kein Geld gegeben, als wir essen gegangen sind.«
Er suchte nach einer Erklärung und musste passen. »Gut, wenn wir das nächste Mal essen gehen, werde ich dir Geld geben.«
»Ich werde es nicht nehmen.«
»Wenn nicht, dann werde ich es dir eben schicken.«
Schließlich war der Punkt erreicht, an dem es einfacher war, das Geld anzunehmen, als zu streiten. Als er gegangen war, saß sie auf ihrem Toilettentisch, starrte das Geld an und dachte: Jetzt ist es also mein wirkliches Leben. Dann stand sie auf und steckte die Scheine in ihre Brieftasche.
Bei ihrem nächsten Treffen fand sie die Sache mit dem Geld nicht mehr so schlimm.
Das Zittern hörte auf. Sie schluchzte noch einmal, drehte sich auf den Rücken und sah ihn aus verwirrten Augen an. Sie blinzelte. Plötzlich überkam ihn die Müdigkeit. Ich sollte so was nicht tun, dachte er. Im Grunde ist sie ein netter Mensch. Einen Moment lang verspürte er den Impuls, sie zu umarmen. Ein stärkerer Impuls trieb ihn, sie zu schlagen. (…)
Dann würde er zu seiner Frau nach Hause gehen, und sie würde ihm Abendessen machen. Es würde alles so perfekt ausgewogen sein, dass ihm schon die bloße Vorstellung Vergnügen bereitete.
Am nächsten Tag würde er ihr Blumen schicken.
Er nahm eine Hand vom Steuer und tätschelte ihr den Kopf. Außer sich, verkrallte sie sich in sein Hemd.
Ihre Beziehungen zu Männern waren in jener Zeit aufreibend; sie führte endlose Gespräche mit Leisha und quälte sich mit der Frage, warum sie immer wieder bei solchen schrecklichen Kerlen landete. In ihrer Erinnerung verschwammen sie alle zu einem peinlichen Klecks: der hübsche, zarte Drogensüchtige, der masochistische chinesische Junge, der angeberische italienische Journalist, der verheiratete Professor, der wichtigtuerische Jurastudent, der halbirre Clubbesitzer, der sie eines Nachts beinahe mit seinem Gürtel erwürgt hätte.
“Sie standen da, verbunden durch eine zarte Membran erinnerter Intimität. (…) Noch einmal spannte sich zwischen ihnen das dünne Netz einer Verbindung.” Die “Verbindungen” sind durchwegs volatil, müssen so sein, da ja keine fundierte psychische Basis besteht. Die Frequenzen der Oszillation sind oft extrem dicht, die ambivalenten Gefühle fallen in Eins: Freude und Schrecken, Euphorie und Abscheu.
Auf dem Höhepunkt ihrer Angst entdeckte sie ihn hinter der Glaswand der Pizzabude. Sofort bemerkte sie den boshaften Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie erkannte, weiche kalte Geringschätzung darin lag, dass er sie beobachtete und abwartete, anstatt sie zu begrüßen. Sie litt, aber nur einen kurzen Augenblick; dann wurde sie von der Liebe fortgetragen. Sie lächelte und überquerte die Straße mit einem unsinnigen Vertrauen in die Macht ihres Lächelns.
Sex und Drogen gelten als “Mittel” der Überbrückung. Wo Liebe versucht wird, endet sie im Krampf. “Den größten Teil ihrer emotionalen Energie hatte sie auf Männer verschwendet.”
Mary Gaitskill lässt ihren Frauen die Rationalität, auch wenn die Situation anderes verlangt. Sie lässt sie genau hinschauen, weil die Oberfläche, die Kleidung vor allem, eine Äußerung von Zugehörigkeiten darstellt, aber auch Wünsche symbolisieren kann, Vor- und Selbsttäuschungen. Der Schnitt, die Farben, die Musterungen, High Heels und glitzernde Ringe, alles ist Zeichen. Auch die Sprache: Sensibles Wachen über angesagten Slang, bloß keine Fehler machen, cool wirken, sich selbst ausstellen und verkaufen. All diese Codes können natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass all anderen diese Rituale ebenfalls anwenden. (Nur die Männer scheinen auch hier beschränkt, haben das Spiel auch nicht nötig.)
Kristen Roupenian schrieb ein Nachwort. Ihre virale Erzählung“Cat Person” wurde mit Mary Gaitskill verglichen, beides #MeToo zugeordnet. Roupenian aber ist mädchenhafter, märchenhafter, auch sprachlich weniger tief. Schon das Coverbild von “Bad Behavior” ist deutlicher, dreckiger, ehrlicher als die Stories von Roupenian. Der deutsche Titel führt in die Irre.
1988 270 Seiten 2020 “Endlich wieder auf Deutsch” (Cover)
Leseprobe beim Aufbau-Verlag (Blumenbar)
Mary Gaitskills Story “This is Pleasure” von 2019 –
zum Download bei “The New Yorker” (amerikanisch)
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