Nachrichten vom Höllenhund


Bovenschen
26. März 2010, 17:33
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Silvia Bovenschen: Wer Weiß Was

Wann ist ein Mord ein Mord? Kann man einen Toten töten? Weshalb ist Dr. Norman Krüss ins Altersheim und seine Frau zu Pascal von Seefeld, dem Sohn von Irma von Seefeld, gezogen? Und wohin führt die Odyssee der cognacfarbenen Tasche? –
Es gibt viele Fragen, die aufgeklärt werden wollen, und deshalb kommen auch die Kriminalkommissare in die Universität und versuchen den Merkwürdigkeiten auf eine Spur zu kommen.
Im Untertitel nennt Silvia Bovenschen ihren ersten Roman „Eine deutliche Mordgeschichte“, aber auch das erweist sich als Tarnung. Bovenschen spielt mit Genres: Sie bedient sich des Krimis und unterläuft ihn gleichzeitig, sie platziert die Klischees des Campus-Romans und entlarvt die Stereotypen, die so handeln, wie man es erwartet und damit alle Rollenmuster ins Leere laufen lassen. Am Ende tritt sogar die Hauptkommissarin aus ihrer Rolle und mischt sich in die Gartenidylle der verbliebenen Frauen, die den dschungelartigen Wildwuchs des Lehrstuhls überdauert.

„In „Wer weiß was“ geht es um die Möglichkeit des Entkommens aus der Gefangenschaft von Selbstbildern, aus gesellschaftlichen Mustern, den Gewohnheiten des Ehelebens“, schreibt Friedmar Apel in der FAZ. Es sind ähnliche Themen, zu denen Silvia Bovenschen auch in ihren Sachbüchern und Essays etwas zu sagen weiß. Zuletzt und sehr erfolgreich: „Älter werden“.

Das Interessantere – was aber beim Lesen auch nerven kann – ist im Roman die Offenlegung der Methode der (De-)Konstruktion. „Wer Weiß Was“ ist auch ein Roman über einen Roman, über das Romanschreiben, über das Wissen, dass alles Schreiben fingiert ist: „Es ist die Einsamkeit des allwissenden Erzählers. Du bist wissend und zugleich als Wissender stets in der Gefahr der Unglaubwürdigkeit.“ (In den Klammern wird die Glaubwürdigkeit – wieder ironisch – behauptet.) Diese selbstreferentielle Ebene lässt sich beim Lesen ausblenden, aber damit verliert das Buch das Spielerische. Motto: „Wer Romans list, der list Lügen“

Ausgerechnet in diesem schönen Moment, in dem zur ge­steigerten Friedlichkeit noch die Zuversicht kam, brach der Tumult auf dem Gang aus. (Ein barbarischer Krach.) Em­pörend! Eine Störung, die ihn zunächst nur ärgerte, nicht jedoch beunruhigte. (Der Herr Professor war nicht willens, dem Beachtung zu schenken.)
Aber ein solcher Lärm zu dieser Uhrzeit?
Er zog die ausgestreckten Beine heran, er richtete den Oberkörper auf, er sah auf seine Armbanduhr: 9 Uhr 36. Lange vor Vorlesungsbeginn. Bruno konnte es nicht länger vor sich verbergen: Dieser Tumult war so verschieden von aller Unruhe, die er in fünfzehnjähriger Dienstzeit kennenlernen mußte, daß er nun doch aufstand und schließlich, als das Geräusch – ein Gemisch aus erschreckten Ausrufen und trampelnden Schritten – zunehmend anschwoll, sich genötigt sah, die Lärmquelle ausfindig zu machen.
Als Bruno die Tür öffnete, schlug ihm der Krach mit zu­nehmend schrillen Beimischungen vehement entgegen – er glaubte ihn fast körperlich zu spüren -, und als er auf den Gang trat, lief mit voller Wucht die Institutssekretärin Laura Rudolph (1,72 m, 63 kg) in ihn hinein. Und diesen Aufprall spürte er wirklich körperlich.
Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, brüllte er (ja, erstaunlich, er brüllte) in den lärmenden Aufruhr hin­ein:
»Was zum Teufel ist hier los?«
Erst jetzt nahm er wahr, daß das Gesicht der Sekretärin Laura Rudolph leichenblaß (leichenblaß?) war, und er nahm zudem ihren verschreckten Blick wahr.
Viele redeten jetzt gleichzeitig auf ihn ein. (Viele?) Er schaute sich um und sah: Zwei Studenten, deren Gesichter er zwar kannte, deren Namen er jedoch nicht hätte nennen können (Helge Baumann und Miriam Mahenke), seine Hilfs­kraft Irene Nolte, die Doktorandin Johanna Schwarzenbach, den Bibliothekar Simon Menzel und die Institutssekretärin Laura Rudolph. Sie, die einzige, die nicht auf ihn einredete, hatte sich auf einen (irregulär!) auf dem Gang herumstehen­den Stuhl sinken lassen und verbarg ihr Gesicht in den Hän­den. Aus dem Gebrüll der anderen gipfelten einzelne Worte hervor.
»Tot.« »Klo.« »Leiche.«
Noch lange Zeit, wenn er an diese Szene zurückdachte, bil­dete sich als erstes diese Wortreihe: Tot. Klo. Leiche.

 Ja, und dann gibt es eine weitere auktoriale Instanz, die Außerirdischen Ertzuj, Iopö, Jkln und Kurt, die den Menschen schlicht “anthropologisches Ungenügen“ attestieren:

Und, wo ihre veränderlichen Wissenschaftsbehauptungen jeweils nicht hinreichen, schaf­fen sie sich Bilder, denken sich alles Mögliche aus, um sich zu beruhigen. Sie beruhigen sich immer zu schnell. Sie erfinden zu ihrer Beruhigung einen bevölkerten Himmel und auch ein wenig Hölle, um sich Erklärungen herbeizuschaffen: En­gel und Teufel, Götter und Dämonen. Das wimmelt nur so. Regional sehr unterschiedlich, aber immer diesem Bedürfnis entsprungen. Sie wollen sich sehen als Dirigierte. Sie wollen nicht im Freien stehen. Sie wollen seelisch nicht frieren. Lie­ber haben sie Angst vor den selbst erdachten Dirigenten. Die Angst jedoch treibt sie zurück in ihre Enge, in das, was sie kennen und für die einzig mögliche Wirklichkeit halten. Sie zirkeln: Die Verleugnung ihrer Endlichkeit, ohne die sie nicht sein könnten, versperrt ihnen das Denken über die Endlich­keit hinaus. Der Weg ist verstellt mit dem Gerümpel ihres schnell herbeigeholten Trostmobiliars.

 Mehr als eine Mordgeschichte. Eine fingierte Geschichte mit einem Mord (einem Mord?) 

2009        –        330 Seiten

 Rezension von Friedmar Apel in der FAZ (buecher.de)

Portrait der Autorin von Jürgen Bräunlein

 

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