Nachrichten vom Höllenhund


Leky
6. September 2010, 19:09
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Mariana Leky: Die Herrenausstatterin

Abwegig ist das Leben, einschließlich der Hornhautraspeln.

Mariana Lekys Erzählerin Katja Wiesberg stattet ihr Leben mit Männern, Herren?, aus. Der erste ist Jakob, Zahnarzt, der sie aber bald verlässt, und zwar indem er sich mit Alina verbindet und dann auch noch stirbt. Der dritte ist Armin, Feuerwehrmann, der sich in Katjas Wohnung und Leben schleicht, indem er dort einen Brandherd sucht, sogar mit der Taschenlampe. Auch Armin ginge fast verloren, was, na ja, nicht unbedingt schade wäre, er wird aber doch noch gebraucht. Dazwischen fungiert als Lebensretter und weiser Begleiter Blank – er war Altphilologe -, der immer durchsichtiger wird, was nichts Gutes verhieße, wäre er nicht schon tot. Da er schon tot ist, stört er nicht weiter, kann auch nur von Katja gesehen und gehört werden, was für einige schöne Szenen, aber auch einige Ungereimtheiten sorgt. Das macht aber nichts.

Katja ist berufstätig, nicht sehr selbstbewusst, kann sich schwer für oder gegen etwas entscheiden; sie steht ihrem Lebenslauf distanziert gegenüber, sie sucht die Männer nicht, sie sind dann halt da, man braucht sie ja.

Als sich im verregneten Frühling eine Pfütze auf dem Rü­cken des Flamingos bildete, in der ab und zu eine Amsel bade­te, flog Jakob für drei Monate nach Amerika. Wir schrieben uns täglich. Ich zählte die Tage. Wenn ich auf dem Wochenmarkt war, dachte ich: »Noch sechs Mal Wochenmarkt, dann kommt Jakob zurück.« Wenn ich im Supermarkt war und Verfallsdaten kontrollierte, dachte ich: »Wenn dieser Käse abläuft, ist Jakob wieder da«, und irgendwann war es nur noch zweimal Wochen­markt, irgendwann reichte das Ablaufdatum von Butter, dann das von Joghurt, dann das von frischer Milch, und als die Sonne dafür sorgte, dass der Flamingo ausbleichte und stellenweise nicht mehr pinkfarben war, sondern ins Altrosa spielte, kam Ja­kob zurück. Er brachte Geschenke und Geschichten mit, Jakob hatte viel erlebt, er hatte ganz und gar unvorbereitet Vorträge über Zahnprothesen gehalten, er war auch in amerikanischen Nationalparks mehrfach in Gefahr geraten, und ich erschrak, weil mir erst jetzt auffiel, wie wenig ich erlebt hatte, ich hatte, weil ich hauptsächlich mit dem Warten auf Jakobs Rückkehr beschäftigt gewesen war, nur das Nötigste erlebt.

Dennoch erlebt dann auch Katja einiges, beruflich – sie ist Übersetzerin – und auch privat mit ihren Männern. Sie wird dann auch schwanger, aber sie hat ja – zur Not – ihre zwei Männer. Von ihrem Leben erzählt Katja, weil sie neugierig und manchmal begriffsstutzig ist, in langen Sätzen; es müssen ja die verflochtenen Gedanken nachgeschrieben werden, um damit „das Tragische“ zu überlisten. Sie „bricht ihren Schmerz aufs Konkrete herunter“. (Wiebke Porombka, taz) Die Geschichte „kommt in einer Sprache daher, die weder originell sein will noch in Geschwätz ausartet, die nicht um Pointen ringt, sondern sie scheinbar absichtslos findet, die schlichte Sätze baut und sie wie Bretterstege über lebensphilosophische Abgründe legt.“ (Kristina Maidt-Zinke, SZ)

Evelyn brachte mir ein Buch mit, das ihr Psychiater geschrie­ben hatte, darin stand, dass man sich vor den Spiegel stellen und positive Sätze aufsagen sollte, die der Psychiater sich aus­gedacht hatte. In der Nacht stellte ich mich mit dem Buch vor den Spiegel. Es waren Hauptsätze, in denen man sich für et­was Positives entschied, für Freude, für Fülle und für Liebe. Ich trug mir die Sätze mit zu wenig Verve vor, alle bis auf den, in dem man sich für Liebe entschied, denn ich war sehr entschieden für Liebe, allerdings für die, die jetzt nicht mehr be­reitstand. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Ich sah nicht aus wie jemand voller Fülle, ich sah aus wie jemand in einem steckengebliebenen Aufzug.

Ich betrachtete die Wasserflecken neben dem Spiegel und beschloss, das Badezimmer zu streichen. Es ist keine gute Idee, ein Badezimmer zu streichen, wenn man nur verschwommen sieht, aber es ist manchmal eine gute Idee, etwas zu unterneh­men, das ausschließlich mit Überkleben und Streichen zu tun hat. Ich überklebte und strich die ganze Nacht lang und ver­suchte währenddessen, auf ein Land mit X zu kommen.
Morgens um halb drei ging ich zum Kiosk. Ich trug eine Sonnenbrille, wegen der Blutergüsse von der Operation trug ich immer eine Sonnenbrille, wenn ich aus dem Haus ging.
Als ich zurück in den Hausflur trat, saß ein Mann auf dem Treppenabsatz.

Das ist natürlich Blank, der sich dann als der “vermummte Herr” aus dem Motto des Romans erweist: “Ich mache Ihnen den Vorschlag, sich mir anzuvertrauen.” (Frank Wedekind, Frühlings Erwachen), der ein Plädoyer für das Leben hält.

Katja ist sich nicht zu naiv für Fragen wie die, ob es das Kind im Bauch auch friert, wenn der Mutter kalt ist. Oder ob sein Herz mitbebt, wenn die Mutter zu sehr lacht. Der Leser liest gern mit, weil Katja zutraulich ist und weil sich aus ihrer Art, das Leben zu sehen und recht lakonisch zu beschreiben, viele komische Situationen ergeben. Da ist die Hochzeit mit Jakob, die Fahrt mit Armin und Blank nach Zandvoort, wo sie auf den abgehalfterten, aber von Armin vergötterten Karatefilmstar McQuincey stoßen, oder die abwegige Liebe zum toten Blank oder auch die vielen Tücken des Alltags. Viele Dinge ziehen sich als running gags durch den Roman, man freut sich, wenn sie wieder auftauchen oder erwähnt werden: der porzellanerne Flamingo, die Astronautennahrung, die Marzipankartoffeln, die Hornhautraspel.

Und schließlich ist der Roman auch noch ein bisschen weise. Blank hinterlässt Katja einen kurzen, in 20 Abschnitte unterteilten Brief, in dem wir lesen:

I7.

Ich habe immer geglaubt, das Leben sei eine Einladung mit Tischkärtchen. Als müsste man sich, schon aus Gründen der Höflichkeit, auf den Stuhl setzen, der einem zugewiesen wird, auch wenn es am anderen Ende des Tisches viel lebhafter zu­geht.

Ich möchte Ihnen sagen: Das ist ein Irrtum. Es ist eine Ein­ladung mit freier Platzwahl.

Wenn das nicht abwegig ist.

2010       210 Seiten 

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