Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren
Den Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ gibt es nicht. Der „fiktive“ Autor „Wolf Haas“ stellt sich den Fragen der Redakteurin einer „Literaturbeilage“. In diesem Gespräch, das sich über 5 Tage hinzieht, wird der Roman re-konstruiert. Leser und Autor unterhalten sich über Rezeptions- und Produktionsverhältnisse und -vorlieben und lassen dabei ganz „beiläufig“ Personen und Handlung entstehen.
Ein Kandidat bei „Wetten, dass …?“ beeindruckt mit seinem Wissen über die Wetterverhältnisse an jedem einzelnen Tag in einem österreichischen Ferienort. Anni war die Tochter der Zimmervermieter, Vittorio der Sohn der deutschen Urlaubsgäste. Die beiden Kinder verbrachten jeden Sommer gemeinsam – bis sie in ein Jahrhundert-Unwetter gerieten, das sie für immer trennte. (Klappentext) Nach der Sendung besucht er den Ort nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder und erlebt dort die Hochzeit seiner damaligen Freundin mit seinem damaligen Widersacher. Haas’ Idee erlaubt es, vom chronologischen Erzählen abzuweichen und Spotlights auf ausgewählte Höhepunkte zu setzen. Diese werden im Dialog detailliert seziert, begründet, gerechtfertigt, gelobt und angezweifelt, wobei sich der Autor die Deutungshoheit vorbehält: „Dem Leser überlasse ich grundsätzlich nichts.“ Man müsste, wenn man kritisieren wollte, auf die Meta-Ebene steigen oder noch höher. Raffiniert!
Literaturbeilage Es ist ja auch ürgendwie eine Art Donnergrollen, das Sie da schildern.
Wolf Haas Finden Sie?
Literaturbeilage Hinter seinem Rücken wird das Klopfen der Schwingtür immer lauter statt leiser. Und die Schwingtür links von ihm, die von der Hotelhalle in den Speisesaal führt, die klopft ebenfalls. Und der Rhythmus der Türen überlagert sich, sie klopfen immer schneller, je näher die Türen dem Ruhepunkt kommen. Man könnte es auch als Klopfzeichen verstehen. Wenn man den Schluss kennt, kann man sagen, in dem Moment, als er Lukkis Hotel betritt, klopft schon das Unglück an sozusagen.
Wolf Haas Na ja, aber in dem Sinn „klopfen“, wie ein Unglück anklopft, tun Schwingtüren ja nicht. Das ist eher ein klopfendes Flattern. Mir ist es bei den Schwingtüren mehr um dieses Transitmäßige gegangen, diese Schleusensituation in einer Hotelhalle. Im ganzen Roman sind ja dauernd alle unterwegs. Aber nicht heroisch wie in einem Roadmovie mit lautem Autoradio und so, sondern eher in so einem magnetischen Hin und Her gefangen.
Literaturbeilage Wie die kleinsten Bausteine der Würklichkeit.
Wolf Haas Nie ist jemand richtig da, verlässlich an Ort und Stelle sozusagen. Das gilt schon für die Vorfahren. Diese tagtägliche Reise in die Schächte unter Tage. Oder auf Annis Seite die Bergsteiger, die Schmuggler. Alle müssen immer irgendwohin.
Literaturbeilage Nach enten?
Wolf Haas Wohin? Ja genau. (lacht) Nach enten.
Literaturbeilage Sie haben Ihren Roman in einem Interview ja sogar einmal so zusammengefasst: Es sei die Geschichte zweier Regionen, wo die einen immer auf die Berge und die anderen immer in die Berge rennen.
Wolf Haas Diese Äußerung hab ich dann aber schwer bereut, weil es mir total psychoanalytisch ausgelegt worden ist, also die Bergpenetrierer und die Gipfelstürmer oder so irgendwie.
Literaturbeilage Angesichts der orgiastischen Geschichte, auf die alles hinausläuft, ist das ja auch nicht so ganz verwunderlich, oder?
Wolf Haas Man muss als Autor schon aufpassen, dass man nicht seine eigene Geschichte zu Tode interpretiert.
Diese mehrfache Codierung ist reizvoll, weil man mit dem Roman in seine Analyse eingeführt wird, weil man auf mehreren Ebenen zugleich lesen kann, weil die Redakteurin natürlich auch den naiven Leser stellvertritt. Der Meta-Text wimmelt von Zeichen und Symbolen, man weiß nicht mehr, ob sie einem vor die Nase gehalten werden oder ob man selbstfündig geworden und erfreut darüber ist. Auf die Dauer wirkt die Konstruktion etwas manieriert, das lässt sich nicht vermeiden. Der Über-Haas beschleunigt, baut Cliffhanger ein, gibt den beiden Protagonisten ein bisschen Eigensinn, einen Hauch von norddeutscher “Würklichkeit” und österreichischer Wurstigkeit (Lakonie).
„Eine ähnlich impertinent witzige Attacke gegen die akademische Deutungshoheit und ihre ständig drohende Fallhöhe hat man noch nicht gelesen.“ (Rose-Maria Grop, FAZ) Ich natürlich auch nicht, meine aber, dass sich diese Struktur nicht wiederholen lässt.
2006 225 Seiten (Tabu)
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