Nachrichten vom Höllenhund


Kurbjuweit
7. Juli 2011, 19:10
Filed under: - Belletristik

Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut

Die Liebe in den Zeiten der Verteidigung der Sicherheit Deutschlands am Hindukusch.

Esther Dieffenbach sucht die Liebe in Deutschland und Afghanistan. Sie kann sich in Deutschland weder beruflich noch familiär einrichten, im Leerlauf des Werdegangs entscheidet sie sich eher zufällig, Soldatin zu werden und wird als solche nach Afghanistan geschickt. Sie hat nicht das Anliegen, die westliche Welt und ihre „Werte“ zu verteidigen, aber sie sorgt mit dafür, dass in Afghanistan Kinder/Mädchen zur Schule gehen können. Meint sie.

Dirk Kurbjuweit hat mit dieser Esther eine fitte Protagonistin, sie hat studiert und ist deshalb reflektierend, lässt sich auf das Abenteuer Afghanistan ein wie auf das in Deutschland, transportiert die aktuellen Problematiken, ist letztlich interessiert aber nur an der „Liebe“ und damit an sich selbst. Eine Frau ihrer Zeit. Die nicht zusammenkommen kann: weder in Deutschland mit dem verheirateten Thilo noch in Afghanistan mit dem Lehrer Mehsud. Esther versteht das alles, kann es aber nicht lassen.

Die „Kriegsbraut“ Esther führt den Leser durch die Banalitäten und die Extremsituationen dieses Krieges. Wir erfahren viel vom Leben und Träumen und den Ängsten im Lager, weggezäunt von den Einheimischen, mit den gleichen Alltagsproblemen wie daheim; Esther darf über Land fahren zur Schule, nur im Konvoi, ständig in Gefahr eines Anschlags, extrem angespannt. Sie macht sich Gedanken über die Perspektiven dieses Kriegseinsatzes, über die nicht kompatiblen Lebenswelten, über unvermeidliche (?) zivile Opfer, über ihre Situation als Frau da wie dort, über ihre Kameradinnen. Es geht nicht um Weltpolitik, sondern um den Ausschnitt daraus, den man als Person wahrnehmen kann. Der Verteidigungsminister wird nicht erwähnt.

Kurbjuweit komponiert sehr geschickt, weicht keinem Thema aus, bietet viele Ansätze zum Weiter- und Überdenken. Er schreibt in einem unprätentiösen Stil, sachlich und persönlich zugleich, das passt zu seiner Hauptfigur. Heroismus hat nichts zu suchen. Esther ist eine Figur aus der Realität, aber doch in ihrer Romanrolle zu stark belastet. Sie, die wenig über sich weiß, wird in die Welt gestellt und allein gelassen, damit sich ihr Autor den Problemen widmen kann, die er ihr macht.

Man sollte nicht zu sehr kritisieren, wenn man gleichzeitig wichtig findet, dass sich die Literatur auch der aktuellen politischen Themen annimmt. Es gibt wenig Schriftsteller, die das machen und auch noch so gut wie Kurbjuweit.

Männer hockten in ihren Äckern, ein Junge übte scharfe Wendungen auf einem Esel. Esther winkte. Das hatte man ihr eingeschärft bei der Vorbereitung, immer freundlich sein, immer winken. Niemand winkte zu­rück. Auf einem kleinen Feld strafften sich Fähnchen in vielen Farben an langen Stecken im Wind.
«Was ist das? », rief Esther.
«Gräber. »­
Nach anderthalb Stunden fuhren sie durch ein Dorf, das in der Hitze brütete. In den Holzverschlägen ent­lang der Straße saßen Männer, die Brot, Schmiedearbei­ten, Tücher, Gewürze feilboten und auf Kunden warteten. Zwei Frauen in Ganzkörperburkas kauften ein, die eine blau, die andere schwarz. Esther drehte sich um, starrte ihnen nach, wie bewegliche Säulen schritten sie daher. Am Ausgang des Dorfes stand ein aufgebockter Lastwa­gen, zwei Männer drückten einen Schlauch zwischen ei­nen Reifen und eine Felge, ein dritter hielt eine Pumpe bereit. Esther griff nach der Flasche und trank warmes Wasser, das so schmeckte wie die Luft, erdig, aschig.
Gelbe Landschaft, sonst nichts, dann fuhren sie durch ein Dorf, das so eng gebaut war, dass sie an einer Stelle rangieren mussten, um die Kurve zu schaffen. Alle Häu­ser standen hinter hohen Mauern, niemand war zu sehen, aber das Dorf sah nicht unbewohnt aus.
«Wo sind die alle?», fragte sie.
«Die Männer sind auf den Feldern-, sagte Tauber, «die Frauen bleiben hinter den Mauern, wenn sie uns kom­men sehen, und wegen der Staubfahne haben sie uns schon vor einer ganzen Weile entdeckt.»
Zehn Minuten hinter dem Dorf stoppte Tauber, schal­tete den Motor aus und sagte: «Pinkelpause.»
Die Männer stellten sich an den Straßenrand und pin­kelten. Einer der Infanteristen trat dabei einen Schritt zurück, und sie hörte ihn sagen, er müsse aufpassen, sein Strahl sei so hart, dass er eine Antipersonenmine auslö­sen könne. Der andere Infanterist lachte hell. Esther be­trachtete ihr Gesicht im Rückspiegel, der Staub hatte sich mit dem Schweiß zu einer braunen Paste gemischt. Ihr Rücken war nass. Als die Männer fertig waren, stell­ten sie sich hinter den zweiten Wolf und rauchten. Sie stieg aus und hockte sich vor den vorderen Wolf. Staub stieg auf unter ihr.
Sie durchquerten einen kleinen Fluss, dessen Ufer einst durch eine Brücke verbunden waren. Die beiden Pfeiler standen noch, die Fahrbahn war in der Mitte ein­geknickt. Es sah aus, als stünden sich zwei trinkende Ele­fanten gegenüber. Ein Gehöft auf einem Hügel, eine hohe Mauer und ein verschlossenes Tor, dahinter das Dach ei­nes Hauses. Im Fluss wusch eine Frau Wäsche, sie trug eine blaue Burka, zwei kleine Kinder waren bei ihr. Hin­ter dem Fluss wartete eine Schlucht, eng, steile Wände. Esther hatte sich bis dahin keine Sorgen gemacht, dachte nicht an Sprengfallen oder Hinterhalte, bislang war nie etwas passiert auf diesen Fahrten, hatte ihr Tauber er­zählt. Nun wurde ihr mulmig, dies war der perfekte Ort für einen Hinterhalt, sie hatte das in vielen Filmen gese­hen, jeder hatte das gesehen. Manchmal ärgerte es sie fast, dass die Flut der Kriegsfilme jeden zum Experten machte und sie als Soldatin dem keine eigenen Erfahrungen ent­gegenhalten konnte, nur Theorie, die bei einem gemütli­chen Abendessen in Deutschland weniger zählte als eine Episode aus einem Kriegsfilm. Aber das waren jetzt nicht ihre Gedanken, jetzt wollte sie gut durch diese Schlucht kommen. Die Felsen links und rechts der Zufahrt stan­den eng beieinander, kippten fast aufeinander zu, als wä­ren sie bereit, wirklich zu kippen und dieses Tor zu ver­schließen, um bewahren und verdauen zu können, was sie sich einverleibt hatten. Sie fuhren hinein, der Klang der Diesel wurde dumpfer, der Fels war zum Greifen nahe, Esther war beklommen zumute wie in einem en­gen Tunnel, obwohl sich die Schlucht bald etwas öffnete und breiter wurde. Nichts wuchs hier, Esther sah nur grauen Fels. Sie schaute sich um, gutgelaunte Gleichgül­tigkeit im Gesicht, aber das war gespielt. Ein paar Sträu­cher, und dann, endlich, der Ausgang.

2011     365 Seiten

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