Nachrichten vom Höllenhund


Wallner
7. August 2011, 18:23
Filed under: - Belletristik

Michael Wallner: Kälps Himmelfahrt

Roman-Veterinäre scheinen eine gewisse Affinität zur Anachorese zu besitzen. Kälp, leicht angejahrt, ist der Geselligkeit abhold, hat Angst vor zu viel persönlicher Nähe und hat deshalb, als ihn die Frau ereilt, keine Abwehrmechanismen entwickelt, weiß sich nicht zu helfen, verfällt.

Kälp erwachte mit durchgeschwitztem Schlafanzug, auch das Laken war nass; er hängte es über den Ofen. Sich wieder hinzulegen war unmöglich, ohne im Stall nachgesehen zu haben. Er zog die Stiefel an und dachte, dass er andere Saiten mit sich aufziehen müsse, seine Absonderlichkeit sprenge allmählich die Grenzen der Schrulligkeit. Die Schottendecke über die Schultern geworfen, schlurfte er in den Stall, fand seine Tiere friedlich vor, lächelte über die leere Stelle neben den Rindern, wo niemand und nichts angekettet war, und begriff durch das einfallende Licht, dass sie Vollmond hatten.
Erleichtert verließ Kälp den Stall. Er stand im mondüberglänzten Schnee und erschauerte vor der winter-lichen Schönheit. Kräftig zeichnete der Mond den Schatten des Apfelbaumes ins Weiß. Der Balkon der Ferienwohnung lag im Zwielicht. Kälp erkannte die Silhouette der Frau, auch den glimmenden Punkt, der vor ihr schwebte. Er war sicher, sie sah auch ihn. Sie kann bei Vollmond nicht schlafen, dachte er, geht umher wie ich, wie ich hat sie eine Decke umgeschlungen; die Stunden sind lang. Weil er nicht die geringste’Hoffnung hatte, dieser Frau zu entkommen, trat er vor den Balkon und bot ihr einen Spaziergang an.

Weihnachten feiert er, aus Mangel an ungefährlichen Alternativen, lieber bei seinen Tieren im Stall oder im abgeschiedenen Kloster bei den Mönchen. Aber ins häusliche Refugium bricht das Fremde ein, eine Urlauberin im Nachbargebäude, eine Frau, die Wolfsburgerin. Er verliert die Kontrolle.

Ihm war die Vernunft abhanden gekommen. Er wollte nicht vernünftig, sondern rasend sein, wollte nichts bewahren noch beschützen, sondern zerstören, zu Klump schlagen, so lange auf das Gewohnte eindre­schen, bis es nicht mehr zu reparieren wäre und es für ihn keine Rückkehr ins Gewohnte mehr geben würde. […] Er klammerte sich an sein Unglück.

Im Dorf hat sich der Schreiner das Genick gebrochen und Kälp wird auch in diesen Fall gezogen. Auch zur Ablenkung kümmert er sich um seine Patienten, die Tiere der Umgebung im südlichen Schwarzwald. Michael Wallner beschreibt die Untersuchungen, Diagnosen und Operationen drastisch präzise. Er erzählt sachlich, distanziert, einfühlend. Und es gibt auch etwas “philosophischen” Überbau dazu. Kälps Himmelfahrt ist ein stiller Winterroman. Im letzten Kapitel ist es – dem Kätzchen sei Dank – Frühling.

Für Irene Bazinger (FAZ) klingt Kälps Himmelfahrt „sehr nach Arztroman“. Sebastian Hammelehle sieht in Kälps Himmelfahrt „nicht viel mehr als eine Variation des alt bekannten Themas von der plötzlich auftauchenden, exotischen Frau.“ Nicht immer lässt sich leicht unterscheiden, ob Schmonzes oder nicht oder gar Augenzwinkern. Ich hab’s schnell und gern gelesen.

2011       225 Seiten

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Leseprobe beim Luchterhand Verlag


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