Monique Schwitter:
Wenn’s schneit beim Krokodil
(Geschichten)
Oft ist es ja in den Kurzgeschichten so, dass die Kommunikation nicht gelingt. In Monique Schwitters Erzählungen kommt es dazu gar nicht. Die Personen, meist Frauen, stellen sich zwar noch Situationen vor, setzen sich auch in Bewegung, werden aber von den gedachten Möglichkeiten überfordert, analytisch gelähmt. Eine Stufe weiter auf dem Weg zum Vereinzeln. Schwitter hält oft in der Handlung inne und schaltet in den Kopf der jungen Frau.
Ich kann mir nicht vorstellen, ihn zur Begrüßung zu küssen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, von ihm zur Begrüßung geküßt zu werden. Ich kann mir auch keine andere Begrüßung vorstellen. Ein Händedruck wäre schön. Aber undenkbar. Wahrscheinlich wird es dann doch so was wie ein Kuß werden, so ein Kuß, den ich mir jetzt gar nicht vorstellen kann. Aber wir werden uns küssen, weil wir denken, das sei passend. Passender als ein Händedruck. Wir werden uns küssen, um so zu tun, als kennten wir uns. Um keine Unklarheit aufkommen zu lassen über den Grund unserer Verabredung, über den Zweck unserer Verabredung. Wir werden uns küssen, um die Kluft zwischen uns zu vertuschen. Ein Händedruck schließt einen Blick ein, beim Küssen braucht man sich nicht anzuschauen. Ein Händedruck wäre uns wahrscheinlich peinlich. Hier bin ich, da bist du, das ist ein Händedruck. Hier bin ich, um nicht lang zu fackeln, nimm dies, das ist ein Kuß. (Ein Anflug)
Sie wartet in der Ankunftshalle, nervös und sehnsüchtig, sie ist zu früh dran, natürlich, sie setzt sich zu einem Fremden an den Tisch, all ihre Lebenskraft wird aufgesogen von dieser Situation. Als der Erwartete schließlich kommt, verschwindet sie. Ähnlich in der Geschichte “Wenn’s schneit beim Krokodil”:
Ich mag Tierparks nicht. Ich mag keine zoologischen Gärten.
Da ist ein Brief für dich gekommen, sagte meine Mutter am Telefon.
Mach ihn auf, sagte ich. Meine Mutter zögerte. Ich weiß ja nicht, was drinsteht, und von wem.
Eben, antwortete ich gereizt, deshalb sollst du ihn ja öffnen.
Also ich weiß nicht, sagte meine Mutter, und ich hörte es rascheln. Schweigen.
Und, fragte ich barsch. Schweigen.
Hallo, rief ich, hörst du mich? H ö r s t d u m i c h?
Ich bin sicher dort. Zoo, 1. Januar, neun Uhr. Wenn’s schneit beim Krokodil, sonst beim Kamel.
Und weiter, fragte ich.
Nichts weiter, sagte meine Mutter. Kommst du an Weihnachten?
Seit elf Tagen mache ich Weihnachtsurlaub in meiner Heimatstadt.
Vor elf Tagen, zu Winterbeginn, am 21. Dezember, dem dunkelsten Tag des Jahres, stand ich neben dem Eingang zum Zoo und erkundigte mich an der Kasse nach dem Eintrittspreis.
Erwachsene, Tageskarte, 22 Franken, sagte die Kassenfrau.
Gibt es ein Krokodil, fragte ich. Sie schob mir ein Faltblatt entgegen. Hier, sagte sie.
Und ein Kamel, gibt es das auch, fragte ich, während ich nach dem Faltblatt griff.
Wollen Sie rein oder nicht, fragte die Kassenfrau.
Ich glaube nicht, sagte ich.
Den großen Stein neben dem Eingang gibt es nicht mehr. Ich setzte mich auf die Stufen vor der Kasse und schlug das Faltblatt auf. Die Stufen waren kalt.
Jeden Tag geht sie zum Zoo, hypernervös, und dann, kurz vor Schluss: “Es war mir plötzlich egal, wer mir den Brief geschickt hatte. Ich hatte keine Lust mehr, mühsam eine Fährte aufzuspüren, um eine Spur zu verfolgen, die in meine Vergangenheit führt. Mir reichte mein Erinnerungspaket vollständig.” Auch die Mutter hat aufgegeben: „Ich mag nicht mehr, sagte meine Mutter. Ich weiß nicht, ob sie den Sekt meinte, oder alles andere. Bald darauf hat sie sich schlafen gelegt.
Ich weiß nicht, ob das Typisch für die Zeit ist, ob Monique Schwitter geneigte Leserinnen findet. Man könnte denken, dass auch das nicht mehr wichtig ist. Das Leben ist Suche, vor dem Finden hat man Angst. Man schreckt davor zurück, verkleidet sich, um nicht womöglich dorch erkannt zu werden. “Vom Scheitern des Nichtstuns“ überschreibt der STERN ein Interview mit Monique Schwitter.
Alles nie so wie gedacht, alles immer anders und irgendwie und verunsichert und mal schauen, was das wird. Und doch nie neu. Doch nie jetzt geht’s los, doch immer abwarten, kommen lassen, reagieren. Versuchen, richtig zu reagieren. Versuchen, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn das Angebot sich längst schon wieder verändert hat und der Favorit nicht mehr zur Wahl steht. Sich wieder eine Entscheidung abringen müssen, weil die beherzte Entscheidung nicht mehr möglich ist. Eingeschränkte Wahl, Vorteile, Nachteile, immer auch Nachteile, vor allem Nachteile. Abwägen. Also nicht die Frage: Was will ich. Immer nur die Frage: Was ist am wenigsten schlimm. Immer nur die Frage: Womit kann ich leben. Kann ich damit leben. Und das ist genau die Frage, die mal einer beantworten soll. Kann ich damit leben. Womit kann ich leben. Das soll mal einer beantworten. Mehr als ein irgendwie kommt da nicht raus. Irgendwie damit leben. Und das soll dann eine Entscheidung sein. Ha.
Spieltheorie. Lakonisches Hyperventilieren. Die Hauptperson der schönsten Geschichte ist ein Mann: „Wendel wartet“. Das sagt alles.
2005 177 Seiten
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