Nachrichten vom Höllenhund


Three Kingdoms
22. April 2012, 13:24
Filed under: Theater

Simon Stephens: Three Kingdoms
Inszenierung: Sebastian Nübling

Die Handlung, soweit ich sie verstanden habe (aber darauf kommt es nicht an): Zwei Londoner Polizisten (v.a. Nick Tennant) ermitteln im Fall einer Prostituierten, Vera Petrova, die misshandelt, enthauptet und deren Kopf in die Themse geworfen wurde. Da sie mit der Aufklärung nicht weiterkommen und lediglich die Namen einiger Verdächtiger erfahren, begeben sie sich nach Deutschland, um dort mithilfe eines deutschen Polizisten weiterzuermitteln. Da sie mit der Aufklärung auch hier nicht weiterkommen und lediglich die Namen einiger Verdächtiger erfahren, deren Spuren nach Estland weisen, machen sie sich zusammen auf nach Talinn. Die Spuren führen nach Osten, wohin sonst? In Estland treffen sie auf korrupt-lächerliche Mafiastrukturen, die auch die Polizei nicht ausschließen. Am Schluss verlaufen die „Ermittlungen“ im Schleime.

Die drei Schauplätze verdanken sich der Lokalität der drei beteiligten Theater. Man kann sehen und hören, dass sich zwar die Sprachen unterscheiden, aber nicht die Strukturen. Ost und West vereint im mafiotischen Frauenhändlersumpf. Die Polizei hechelt hilflos hinterher. Das die Message, vielleicht. Aber es braucht eigentlich keine, auch wenn der estnische Polizeichef predigt, die Westler sollen sich bloß nicht einbilden, sie seien oder bei ihnen sei es besser. „Ist das noch Europa oder schon Babylon?“ (Programmtext) „Wie hier moralische Überzeugungen und nationale Überlegenheiten den Bach runter gehen, ist sehr schön mitanzusehen.“ (Christine Dössel, SZ)

Simon Stephens: „Ich liebe Krimis. Ich wollte ein Stück schreiben, das davon ausgeht, dass der Teufel möglicherweise in uns allen steckt. Dass wir Jahre damit verbringen können, den Bösen zu suchen, um dann festzustellen, dass wir es die ganze Zeit selber waren. Gut und Böse haben exakt das gleiche Gesicht. Das Hinterfragen und Untergraben moralischer Gewissheiten ist das Herz des Stückes.“

Die Idee ist originell: Drei Theater suchen ein Stück und spielen es in (heimlichen) Hauptstädten der drei Länder. (Das Londoner Lyric Hammersmith Theatre warnt: Contains strong language, nudity and scenes that are not considered suitable for under 16s.) Da in jeweiliger Landessprache aufgeführt wird, ergeben sich daraus etliche, zum Teil lustige, Verständigungs- und Übermittlungsprobleme. Damit die Zuschauer nicht allein gelassen werden, projiziert man die deutsche Übersetzung. Man liest mit, das Englisch hört sich sehr schnell an, das Estnische hat man wohl noch nie gehört, man ertappt sich dabei, auch die deutschen Passagen mitlesen zu wollen. (Interessant: Nischenidentität scheint im Estnischen genauso zu heißen, zu Pizza sagen sie Pizza.)

Das Bühnenbild bleibt in allen drei Städten das gleiche, halb Hotel, halb Bordell, halb Polizeistube. 327. Die Darsteller überlagern sich, fallen übereinander her, ordern Pizza. Die nationalen Identitäten sind klar gezeichnet. Die Engländer: Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Die Esten: boxboxboxboxboxbox. In Deutschland die in Zeitlupe gewischten Spuren des Gehamperes. Die Mädels mit gruselig verschnittenen Blondperücken oder germanisch bezopft, die Kittel knapp und kurz. Auch nackende Gestalten. Wolfsmasken als Sinnbild. (Aber weshalb die Känguruhköpfe?)

Die Bühne gestattet Blicke auf die Backrooms, dort verschwinden die Akteure, tauchen wieder auf, führen Nebenhandlungen auf. Auch Fenster und Mauernischen bieten die Möglichkeit, mit leichtem Schwung oder schwerem Poltern auf- oder abzutreten. Die Schauspieler haben das alle gut einstudiert und sind wunderbar flexibel. Sie kriegen denn auch viel Beifall für ihre multinationalen Inszenierungen.

Auf die Bühne gebrachte Gewalt- und Sexexzesse erscheinen immer ein bisschen wie Kindergeburtstag, auch verschmierte Fäkalien können keine Wirkung entfalten. Ach, die lieben Kleinen, aber treibt’s nicht zu toll, gell. Auch die angedeuteten Bemühungen rektoraler Techniken in den drei Königreichen sind allenfalls amüsant.

Frauen spielen natürlich nur als Verfügungsmasse ihre Rolle. Die Polizei ist derb, auch ein wenig larmoyant, brutal, wenn’s sein darf, korrupt sowieso und unfähig. Die Ganoven, wie man sie sich vorstellt, tumb, geil, sich ihrer Macht auf lächerliche Weise bewusst. Geprotze. Übers Klischee kommt und will das Stück nicht hinaus.

Das Stück von Simon Stephens hat lustige Momente, insgesamt aber zu wenig Schwung, zu wenig Pep. Autor und Regisseur sind detailverliebt wie Kinder, die Theater spielen. Schön, wie Risto Kübar in den drei Sprachen „La Paloma“ singt („White Bird“, estnisch: rahutuvi), der deutsche Polizeimann Dresner (Steven Scharf) vergreift sich am „Rocky Racoon“ der Beatles.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 20. April 2012


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