Nachrichten vom Höllenhund


Die Strasse. Die Stadt. Der Überfall.
18. Januar 2013, 18:36
Filed under: Theater | Schlagwörter:

Johan Simons:
Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.

– nach einem Text von Elfriede Jelinek –

Einem geschenkten Text schaut man nicht aufs Wort.  Warum aber muss man sich einen Text von Elfriede Jelinek wünschen, wenn man wissen müsste, was einen erwartet. Vielleicht sind aber nicht die hundertjährigen Kammerspiele verantwortlich, sondern der eine Generation jüngere Johan Simons, der Intendant. Die Kritiker, die besseren, wissen’s wie immer besser. Egbert Tholl (SZ) erkennt in „Jelineks Raunen“ einen „mitunter verworrenen, mythisch aufgeladenen, von Idiosynkrasien seiner Autorin durchzogenen Text“, „die Dichterin bedient diese Abgedroschenheit mit einer satten Ladung Klischees (Konsumrausch, Jung-/Schön-sein-Wollen, unsichere Identität) unterläuft sie zugleich mit Sprachblödsinn aller Art“ (Simone Dattenberger, Münchner Merkur), Matthias Hejni (Münchner Abendzeitung) sieht bei Moshammer-Darsteller Benny Claessens, der „besser sein könnte als das Original“, ein „schweres Handicap: Er muss dabei Texte von Elfriede Jelinek sprechen.“ Und diese böten „kaum mehr als eine Steppe kapitalismuskritischer Plattitüden und gut abgehangener München-Klischees“. „Die immergleichen Klagelieder, endlos wirkende Wortspiele und das penetrante Jammern aller Figuren über das Leben in der glitzernden Scheinwelt des Konsums ermüden rasch.“ (Hanna Pfaffenwimmer, cult:online) Jelinek scheut sich nicht, die Welt zu bedichten und zu gewichten; ihre Texte müssen sich an ihrem Anspruch messen lassen. Der „seltsam omnipräsente apologetische Gestus, mit dem sich die Autorin immer wieder ihrer Kontrolle über die Situation versichern darf“ (Sophie Diesselhorst, nachtkritik.de), ähnelt dem „Armgekreise und Beingekicke“ der „stachelbeerhaxigen“ Modepüppchen. Täuschung.

Die Jelinek’sche Methode: Jedes Wort, das auftaucht, wird sistiert, wird auf seine Bedeutungen abgefragt. „Abtragen“ – aha, meint das Kleidungsstück, die Schuld(en), auch lokalgeografische Assoziationen lassen sich einstellen. Jedes Wort wird vermarktet, ausgeklopft. Man merkt die Methode und sollte verstimmt sein. Manierierter Sprachschwurbel, ewige Wiederverwertung, Aufgekochtes. Leere.

Ich schaue und bin im Leeren, hinter meinem Wort gibt es keinen realen Zug, aus dem sich diese Teile, diese Stücke zusammensetzen, nein, nicht dieses Stück, dieses neue Teil, das ist gar keins, weil es gar kein Ganzes gibt, dessen Teil es sein könnte. Schauen Sie und schauen Sie ins Leere, nein, ins Volle, das Leere vortäuscht, denn Leere ist der neuen Überfluß, der in der Leere und in der Irre und im scheinbar Irren (wer soll sowas tragen???!!!) verborgen ist. Reduziert man die Varianten dieses Kleidungsstücks noch weiter, ist man immer noch nicht nackt, denn es besteht schließlich aus Varianten, und jede einzelne von ihnen ist mehr als nichts, weil alles mehr ist als nichts, bloß ich nicht. Ich bin ein Nichts vor diesem neuen Rock, weil diejenige, die ihn auf diesem Foto trägt, schon alles ist, schon alles für sich beansprucht, alles förmlich eingeatmet hat, deshalb ist seine Form ja so gut, und ich bin ein Nichts daneben. Wie dieses Nichts beschreiben? Also. Punkt. Daneben. Die Grundform ist auszumachen, aber man kann sie ausknipsen wie eine Lampe. Nur die Varianten zählen, doch ich kann sie nicht beschreiben. Ich kann nichts beschreiben. Dann sagt man halt: Es ist unbeschreiblich. (…) Da ist nichts drin, da ist Leere in Leere, und zieht man eine Leere heraus, kommt da schon die nächste, kleinere Leere, eine Leere in der anderen, ich verkneife mir jetzt, daß man daraus eine Lehre ziehen könnte, obwohl ich mir sowas nie verkneife. Allerdings bist du die Belehrerin, nicht ich. Du willst dieser Stadt beibringen, wer sie ist? Also einkaufen kannst du auch so. Aber in anderen Städten, die ein Geheimnis haben, stecken immer andre Städte in andren Städten, immer eine in der anderen, und die sind nicht leer, weil sie jede einzelne in ihrer Vielfältigkeit alle anderen enthalten. Diese Stadt hier enthält nur sich selbst, mehr geht einfach nicht rein. Was soll dir also passieren? Es kann dir nichts passieren!

Natürlich taucht da manch schöner Satz auf, ein Satz, den man sich merkt, obwohl oder weil man ihn schon kennt. „Ich möchte mir nicht gehören, wenn ich der Rock wäre.“ Jeder ein bisschen gute Comedian hat aber eine höhere Trefferquote.

jelinekstrasse
Der Text – nicht das Stück! – ist ein „Geburtstagsgeschenk“ Jelineks an die Kammerspiele. 100 Jahre. An der Maximilianstraße. In München. Die Straße. Die Stadt. Die Straße ist das Shopping-Eldorado der Bussiness-Stadt. (Geschäftsbestückung auf ganz-muenchen.de) Jelinek liefert keine Kritik der Warenästhetik, sie schweift über die Psychopathologie des Käuferwahns. Auch ein interessantes Thema, aber in der Jelinekschen Emanation alles andere als neu oder gar originell oder kritisch. Ein abgetragenes Geschenk.

Die Stadt tritt zwar – wie die Straße – in Person auf, bleibt aber in ihrer Rolle noch vager als die Straße. Wird ihr etwas vorgehalten? Vorgeworfen? Man weiß es nicht. Die Stadt scheint verantwortlich zu sein. Die Stadt München? Die Stadt als solche? Man erfährt es nicht.

Der Überfall. Geraune über das Eindringen in Wohnungen. Man recherchiert. Die Stadt hat 19…. Steuerfahnder in Jelineks Wohnung geschickt. Jelineks Empörung ist aus ihrer Sicht verständlich, als Bürger wünscht man sich, dass öfter bei Steuersündern eingedrungen wird. Was das Ereignis 2012 auf der Theaterbühne sucht? Man weiß es nicht, will es auch gar nicht wissen. Auch nicht hören oder sehen.

Und dann nach der Pause der Moshammer. Die Suche nach einer vergangenen Figur. Hohlkörper, geblähtes Pathos, keine Fallhöhe, höchstens Implosionsgefahr. Im Theater überflüssig wie in der Realität. Carnival a Venise. Benny Claessens gibt immer alles. Alles ist hier zu viel. Gewälze in den Pfützen, herausgesprotzter „Text“, Ineinssetzung von Mosi und Maxi: „Die Straße wird nicht mehr sein ohne mich.“ Moshammer ist nicht persiflierbar, er ist die Parodie – genau wie die Louis-Vuitton-Tasche. Manche Theaterbesucher haben das noch nicht gemerkt. Sie freuen sich, wenn einer der „ihren“ vorgeführt wird. Also doch Provinz?

Auf der Bühne steht ein Bus-Wartehäuschen, in dem ein paar Musiker sitzen und hin und wieder spielen und in das sich auch gerade nicht benötigte Schauspieler zurückziehen. Aber was soll’s? Schön ist der Einfall mit dem Eis-Crush, das den Bühnenboden wie Diamanten funkeln lässt. Vergänglich wie Modeklunker ist das Eis nach der Pause geschmolzen, so dass sich Dick-Benny Claessens drin sudeln kann. Weshalb ein Teil des Publikums auf der Bühne sitzen darf oder muss bleibt rätselhaft, da die Idee mit der Straße nicht aufgeht.

Die Schauspieler haben viel Text, den sie routiniert herauslassen, manche von ihnen scheinen ähnlich überflüssig wie der Text. Sandra Hüller im Zentrum, allenthalben gepriesen, hat’s aber auch leicht. Als einziger Frau neben lauter hochhackigen Transen genügt ihr ein Kiekser, um in den Saal ein wenig erleichternde Heiterkeit zu zaubern.

Fazit: Die Kammerspiele sind immer wohlgefüllt. Beim Ausgang sagte ein Besucher, er werde sich die Vorführung auf alle Fälle noch ein Mal anschauen. Wahrscheinlich liege ich mit meiner missmutigen Einschätzung mal wieder völlig daneben: Grauenhaft.

Die Straße muß mit, sie muß mit mir mitgehen, was macht das schon! Gehen Sie halt in eine andre, dort gibts genau dasselbe wie hier. Diese ist mit mir gestorben, da können Sie nichts dagegen machen, dort können Sie nicht mehr hin. Dort ist gesperrt. Endgültig. O mei. Hin die Birne. Was solls. Ich habe seinen Mund nicht mehr küssen können, oder doch? Fragen Sie ihn! Fragen Sie nicht diese Straße, die ist sowieso eine Vielgeküßte, aber wenn Sie sie jetzt küssen wollen, ist da nur noch ein Loch, nur noch ein Loch. Da gibts nichts mehr zu küssen. O mei, die Birne hin. Was macht es schon! Schrauben Sie halt eine neue ein, und küssen Sie weiter. Aber dort wird nichts sein, wo Sie küssen wollen. Kein Mund mehr. Sie können vielleicht noch kaufen, aber küssen können Sie nicht mehr. Man hat getötet, was Sie küssen wollten, und jetzt ist es ganz aus. O mei, die Birne hin, ja, diesmal meine. Die Straße aber auch hin. Dort wo es geglüht hat, dort ist es jetzt hin. Es muß was Neues eingeschraubt werden, neingeschraubt. Halt! Aufhören! Danke.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 11. Januar 2013


1 Kommentar so far
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manchmal gefällts, manchmal nicht. ich mochte das sehr gerne. habe mich aber auch gefragt, ob man als münchner nicht mehr spaß bei dem abend haben würde.

Kommentar von stalinarkaden




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