Nachrichten vom Höllenhund


Weber
8. März 2013, 18:53
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Anne Weber: Tal der Herrlichkeiten

webertalAuf seinen Gängen am Strand wird er plötzlich geküsst. Er kann nur noch den goldenen schimmernden Haarkranz erkennen. Er findet keine Ruhe mehr, sucht sie, findet sie nicht, findet dann einen Brief mit der Adresse / Telefonnummer in seinem Briefkasten. Sie sind einander verfallen. Er, der arme, schon ältere, kahl gewordene Mann aus der Provinz am Ozean, sie, die reiche, reizvolle Frau aus der großen Stadt. Aber das sind alles nur Attribute, Behauptungen, Zuschreibungen. Anne Weber begnügt sich mit kargen Andeutungen, vielleicht will sie etwas anderes zeigen, erzählen.

Bis auf das Leben und seine zähe Konstitution hatte er so ziemlich alles, was man verlieren kann, verloren: Arbeit, Haus, Frau, Kind, Sparbücher, Haar. Den Schädel hatte er sich kahlrasiert, solange es noch etwas zu rasieren gab, und mit den Hoffnungen und Illusionen hatte er es ähnlich gehalten. (…) Seit einigen Jahren bewohnte er ein Zimmer mit Küche in einem Mietshaus eines Hafenstädtchens am Nordatlantik, dessen einst große Fischereiflotte heute auf ein Dutzend Schiffe ge­schrumpft war. Mit seinen hellgrauen Augen und der Krummsäbelnase ähnelte er einem blinden Sperber. Und bis ihm ein anderer Name besser zu Gesicht steht, soll er Sperber heißen. (…)
Etwas aber war ihr geblieben seit ihrer Verschleppung, eine Ver­änderung, die zwar nicht messbar, aber doch für sie deutlich zu spüren war: Seit der Sekunde, in der ihr Finger mit jenem weichen Klopfton auf den Boden geschlagen war, hatten sich ihr Bewusstsein und ihre Wahrnehmung nie wieder ganz beruhigt. Es war, als trüge sie seither eine Vergrößerungslinse in jedem Auge, und eine ähnliche Vorrichtung zur Bewusst­seinsschärfung im Hirn. Solange sich kein anderer Name aufdrängt, soll sie deshalb Luchs heißen.

Sperber und Luchs fügen sich für zwei Tage ineinander, sind ganz außer sich, dann verschwindet sie wieder. Stirbt. Und ist doch nicht ganz tot, denn es gibt ein Zwischenreich, in dem die Toten noch zu ahnen sind. Sperber geht hinein, Orpheus, denn es liegt am Rande der Stadt, die Toten bewegen sich noch ganz langsam, sie sind aber nicht mehr zu greifen, sie verschwimmen in Visionen, Halluzinationen, Träumen. Sitzen in einem Bus mit der Zielaufschrift „Tal der Herrlichkeiten“. (Das reale „Vallée des merveilles“ liegt in den französischen Seealpen.) Der Bus kommt nicht voran.

Der Abschied manifestiert sich in Wellen, im Ozean, in einer „glorreichen Verheißung“ – die letzten Worte. – Romantisierender Kitsch für Heranwachsende und Frühsenile, Spiel mit Motiven der Halbwelten, der bewegte Ozean des Lebens, die versteinerte Stadt, Flügel an toten Vögeln, Zeitgeist, eine Prise Sex (mit Toten ?). Wahn und Wallungen. Wellenschlag. Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Sperber und Luchs; Heine hat die „Verheißung“ bespottet, Anne Weber liegt näher bei Eichendorff: Es singen und klingen die Wellen Des Frühlings wohl über mir – Ach, Gott, führ‘ uns liebreich zu Dir! Anne Weber hat auch ein Gedicht bereit, ein Erzähler mischt sich plötzlich ein:

Auf seinem Weg durch die lärmende Ödnis folgen wir ihm, aber wir wagen es nicht, das Bollwerk des Schmerzes, das ihn umgibt, zu durchbrechen und ihm eine Hand auf die Schulter zu legen, ihn aus seiner Erstarrung zu lösen, ihn zu umarmen. Unter den vielen Menschen in der großen Stadt ist nie­mand, der ihm Trost spenden würde. Und er hat heute noch nicht einmal einen Gedichtband in der Tasche, an den er sich wenden könnte. So ziehen wir schließlich einen aus der unseren und holen einen Dichter zu Hilfe, dass er den Unglücklichen besänf­tige. Sprich du zu ihm, Dichter, sprich zu ihm aus der Stille deiner Finsternis, Verlaine:
Ein tiefer schwarzer Schlaf
Fällt auf mein Leben:
Alle Hoffnungen, schlaft.
Alle Gelüste, schlaft.

Den Geschlechtsakt, so Ijoma Mangold in der Zeit, beschreibt Weber „in malerisch-anatomischer Nahaufnahme, als liege in dieser Verkeilung eine metaphysische Wahrheit“. Das liest sich so:

Sperbers Mund löste sich und küsste sich abwärts, wanderte durch ein sanftes Tal von einer Brust zur anderen, küsste sich voran über flaumige Prärien bis hin zu dem trockenen Bauchnabelbrunnen, küsste sich schließlich hinunter ins Dickicht und schickte die Zunge voraus zu einer Probebohrung. Und die Erde hob sich und ächzte, als er sich in sie eingrub und sie zerteilte, und da die Zunge nicht tief genug hinabreichen wollte, schickte er zwei Finger vor und stieß sie in die Höhlung hinein, langsam, schneller, lauschte den Erschütterungen aus der Tiefe und ant­wortete darauf, die Lippen an dem zartwinzigen Knauf, von dem aus die Erdstöße sich steuern ließen. (…) Und der Stock, der lebendige, verschwand in dem wei­chen Schacht, wo er von jeher hatte sein wollen und zu Hause war. Um sich schlagen konnte er in dem engen Spalt nicht mehr, aber er wuchs und härtete sich noch, obschon es fast nicht mehr möglich war. Bis an den Höhleneingang zog er sich zurück, verweilte dort fast regungslos, um Fingerkuppenlänge hin und her sich bewegend, und schnellte wieder vor, bohrte sich in den Bauch und auf das Herz sei­ner Geliebten zu. Er wütete und liebkoste, bis er knapp vor dem Überschäumen war, und weil die Lust die ganze Nacht und das ganze Leben hindurch währen sollte, glitt er ins Freie hinaus und rastete eine Weile; ein knorriger, im fahlen Mondlicht nass schimmernder Wurzelstock. 

Das ist nicht nur in den Bezeichnungen der Werkzeuge hölzern, mechanisch neben der magisch überhöhten Attraktion der beiden Protagonisten. Auf die körperliche Vereinigung, aufs „Tal der Herrlichkeiten“ läuft zwar alles zu, sie ist in die Mitte des Romans gestellt, aber das Ungelenke drückt sich hier auch in der Sprache aus. Absicht? Unvermögen? Spekulation? Erfolgsgarant?

Man möchte noch mehr dergleichen Unerträgliches zitieren, was Joseph Hanimann (SZ) für „subtile Stilmittel dieser Schriftstellerin“ hält, für „einen Roman, der das Gros der zeitgenössischen Liebesliteratur weit hinter sich lässt“. Was lesen die Rezensenten eigentlich. Wovon lassen sie sich blenden?

Sperber schaute auf die hohe, in ein schwarzes Kapuzengewand gehüllte Gestalt und dann, als der Mann sich ihm näherte, in sein Gesicht, und ein Dutzend maßvolle Schritte lang blieben ihre Blicke ineinander versunken. Stille kehrte ein in Sperbers Gemüt. Das Gesicht des Priesters war auf furchterre­gende Weise zerschunden. Sperber sah es und sah es doch nicht, denn seine Seele entbrannte und gefror, als wäre ein Großmächtiger, ein Allgegenwärtiger, Alles-in-sich-Vereinender in den Raum getreten. Für die Dauer weniger Menschenschritte umschlos­sen die mächtigen Mauern der Kathedrale die Welt und den winzigen, warmen Punkt darin, den Sperber selbst darstellte und der lebendiger war denn je in jenen Augenblicken und dabei dem Tod so nah wie ein Meteor vor dem Moment seines Verglühens.

 Ächz!

2012        250 Seiten

 Infos und Leseprobe beim Fischerverlag

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