Nachrichten vom Höllenhund


Ein Volksfeind
17. Mai 2013, 17:25
Filed under: Theater

Henrik Ibsen: Ein Volksfeind
Inszenierung: Charlotte Koppenhöfer

Eine Parabel auf die Demokratie und ihre Mitmacher: die Politiker, die Medien, den Mittelstand, die Familie. Dem Volk entkommt keiner. Wer sich nicht fügt, darf nicht mehr mitspielen. FIAT DEMOCRATIA ET PEREAT MUNDUS. „Gutmenschen“ gehen uns am Arsch vorbei. Der eigene Bauch, die eigene Börse sind uns allemal näher als der Mantel der Gerechtigkeit.

Keine Parabel, die Wirklichkeit. Dahinter steckt nichts, gibt es nichts zu entschlüsseln, kein Brecht, keine Verfremdung, nirgends. So war es auch zu Ibsens Zeit, 1882, so ist es heute, unübersichtlich aufgeblasen. 130 Jahre später sollte die Verkündung von politischen Basiswahrheiten eigentlich überflüssig sein, überholt. Wir sind aber dumm geblieben, unmündig wie je. Also spielt das Theater Regensburg den „Volksfeind“.

Inhalt des Dramas ist der Konflikt zwischen einem Badearzt und den Honoratioren sowie der Bürgerschaft eines norwegischen Kurortes. Die stark von dem Kurbad abhängige Stadt diffamiert den Badearzt Stockmann als einen Volksfeind, als dieser seine Entdeckung proklamiert, dass das Badewasser vergiftet sei, auch von einigen Honoratioren vergiftet werde. „Das ganze Bad ist ein übertünchtes, vergiftetes Grab, sag‘ ich. Gesundheitsgefährlich im allerhöchsten Grade! Der ganze Unrat da oben im Mühltal, – alles, was da so eklig riecht, – es infiziert das Wasser in den Zuflußröhren des Brunnenhauses, und dieser selbe verdammte, vergiftete Dreck sickert auch hinunter zum Strande –

Vergiftet sei auch die gesamte Gesellschaft: „Der gefährlichste Feind der Wahrheit und Freiheit bei uns – das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verfluchte, kompakte, liberale Majorität, – die ist es! Nun wißt Ihr’s! (…) Die Mehrheit hat nie das Recht auf ihrer Seite. Nie, sag‘ ich! Das ist auch so eine von den gesellschaftlichen Lügen, gegen die ein freier, denkender Mann sich empören muß. Woraus besteht denn in einem Lande die Mehrheit der Bewohner? Aus den klugen Leuten oder aus den dummen? Wir sind, denke ich, uns wohl darin einig, daß die Dummen in geradezu überwältigender Majorität rings auf der weiten Erde vorhanden sind. Aber zum Teufel noch mal, es kann doch nie und nimmer in Ordnung sein, daß die Dummen über die Klugen herrschen!

volksfeindEifernd und darin naiv hält Stockmann sein Plädoyer, als ihn die Honoratioren der Stadt in einem Tribunal zum „Volksfeind“ erklären. Er weigert sich von Anfang an, seine Illusionen zu verlieren. In Regensburg wendet sich Gerhard Hermann ans Theaterpublikum, noch bevor das Stück beginnt. Das Publikum wird hier schon einbezogen, später darf es zum Akteur werden. Gerhard Hermann redet sich warm, nach und nach gruppieren sich die „Stützen“ der Stadt in Stockmanns Wohnung oder im „Redaktionsbureau des ‚Volksboten’“. Ibsen stellt, ganz naturalistisch, ausführliche Szenenbeschreibungen voran, in Regensburg bleibt die Bühne meist leer. Man hat überlegt nicht nur Text und Personen gestrichen, sondern auch die meisten Requisiten. Aber man hat eine Drehbühne. Und diese darf all ihre Künste zeigen. Sie ist ein Mahlwerk, sie hebt und neigt sich, symbolisiert wird der Rebell unter ihr begraben. Man kommt sich vor wie auf der Dult, nur dass man als Publikum nicht mitkreisen und –schaukeln darf. Doch auch die Zuschauer werden vorgeführt, als Stimm-Volk vergaukelt, wenn sie aufgefordert werden, mit der „blauen Karte ihrer Wahl“ Stockmann als „Volksfeind“ zu deklarieren. Ergebnis: eine Gegenstimme, diktiert, besoffen. Einzelne verschämte Buhs, die Demokratie darf weitermachen, man bleibt amused.

Die schönsten Bilder entstehen, wenn bei der Bürgerversammlung die Rückwand ausgeleuchtet ist und die Darsteller im Gegenlicht agieren. Es flockt Schnee von der Decke. Regensburg hat ein junges Ensemble, die Akteure können ihre Rollen dennoch ausfüllen, auch wenn sie sich Ibsen wohl älter vorgestellt hat. Gerhard Hermann spielt im Vordergrund den verzweifelt rechtschaffenen Badearzt Tomas Stockmann, Ulrike Requadt seine Frau.
Frerk Brockmeyer führt als Bürgermeister Peter Stockmann das Rudel der scheinheiligen Machtbewahrer an, Gunnar Blume schafft den Übergang zum Schmock locker, Michael Heuberger als sein Mitarbeiter bevölkert die Bühne ebenso wie Jacob Keller als Verleger Aslaksen. Britta Schönhütl meint in der Süddeutschen Zeitung zu den Darstellern: „Was sie sagen ist genial, wie sie es sagen, nicht.“

Ein altes, zeitlos aktuelles, deshalb aber auch zeitlos veraltetes Stück. Zu durchsichtig, zu bieder, zu harmlos. Auch in Regensburg.

Bühne und Kostüme Sonja Füsti
Theater Regensburg – Aufführung am 12. Mai 2013


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