Filed under: - Belletristik
Helmut Krausser:
Die letzten schönen Tage
Helmut Krausser spielt die große Tragödie mit kleinen Figuren. „Randfiguren“. Es geht um nichts weniger als die Behauptung des Mannes gegen die Welt und vor allem gegen sich selbst. „Das scheinbar Banale ist immer das Größte.” Man steht in diesem Kampf ständig gegen alle und hat nur eine Chance, wenn man sich aufbläst. Leider weiß man, wenn man einigermaßen intelligent ist, dass nur Luft einen in Form hält. Serge ist 33, hat einen IQ von 144 und ist “überreflektiert”. Dagegen hat er keine Chance.
Wenn du zu einer Person am Rande des Geschehens wirst, über die die Luftgeister lachen. Und nie wirst du wissen, womit sie dich foppten. Ich stampfte auf, wie um den Mittelpunkt der Welt wieder unter meine Füße zu zwingen, aber da ging etwas anderes, Größeres vor und schob mich ab, an den Rand. Ich stand wie ein Balljunge da.
Kraussers Roman nervt, weil sich die Personen, voran dieser Serge, ständig selbst in Frage stellen und auch gleich analysieren. Dabei steht Serge sich natürlich selbst im Weg, muss zu Finten und Selbstüberlistungen greifen. Darin besteht eigentlich das Thema und die Handlung des Romans. Serge verbeißt sich in seine Zweifel, lässt Kati nicht los, weiß, dass er sie nicht halten kann, Kati kann natürlich nichts richtig machen, auch wenn sie nichts macht, macht das Serge konfus und eifersüchtig.
Um einem beruflichen Zusammenbruch zu entkommen, beschließen Serge und Kati nach Malta zu fliegen, Kati hat dort Bekannte mit Haus, dubiose Zocker, aber gastfreundlich. Ihrem Leiden aneinander können Kati und Serge aber nicht entkommen, er bespitzelt sie, versteckt ihren Laptop, schreibt e-Mails in ihrem Namen. Schließlich begibt er sich in Therapie und alles gleitet in die Katastrophe.
Kati hat sich letzthin so rührend um mich gekümmert, so was ist reinen Engeln vorbehalten. Oder entstammt einem schlechten Gewissen. Sie hat mir zweimal gesagt, daß sie mich liebt – an nur einem Abend. Diese Überbetonung muß einen doch mißtrauisch machen. Es bedeutet vielleicht, sie liebt mich, auch wenn sie einen anderen fickt. Kati ist nicht der Typus eines reinen Engels, die sind auf Erden selten gestreut. Sie ist gutherzig, das schon, also nicht übertrieben böse. Im Übrigen kann ich nachvollziehen, wenn sie die Lust an wem verliert, der nicht einmal ein Highlight der Evolution – Frauenbeine -angemessen besingen und bewerben kann. Sie schläft meist nur mit mir, wenn ich drauf dränge oder darum bitte. Dann aber tut sie es immer. So was macht man doch nur, wenn man was zu vertuschen hat. Als wir neulich zusammen waren, merkte ich, daß es ihr wehtat, und ich fragte: Tut es dir weh? Und sie: Ach wo. Sie stritt es einfach ab, und so salopp. Fast frech. Wenn ich Kati fragen würde, warum sie nie aus eigenem Antrieb mit mir schläft, würde sie wahrscheinlich sagen, daß sie das zu aufdringlich fände, ich könnte mich genötigt fühlen und unter Druck gesetzt. Sie würde so tun, als würde sie meine Frage nur als Frage verstehen, gar nicht als Vorwurf. Ich muß das Positive sehen: Kati liebt mich. Oder bildet es sich wenigstens ein. Aber wie kann man jemanden wie mich lieben, wenn man nicht nebenbei gut gefickt wird? (…)
Es ist wichtig, diesem einen Menschen die Wahrheit zu sagen, ohne Beschönigungen, sonst hat das keinen Sinn. Leider weiß ich nicht in jedem Moment ganz genau, was die Wahrheit ist, beziehungsweise ändert sie sich mit jedem Moment, scheint viele Seiten und Ecken und Kanten zu haben, wechselt die Farbe mit jeder neuen Perspektive. Ich weiß jetzt schon, was Huytens antworten wird. Daß wir auf dem Weg zur Wahrheit sind und ich ihm nichts nachträglich Zurechtgezimmertes auf den Tisch packen soll, was ich mit der Wahrheit vielleicht nur verwechsle. Offenheit sei gefragt. Was immer in meinem Kopf vorgehe, solle ich ihm zugänglich machen, ob ich es für wichtig halte oder nicht. Er ist so unerbittlich und dominant, kaschiert das nicht einmal. Ehrlichkeit, die so unverschlagen daherkommt, beeindruckt mich.
Krausser lässt in schnellem Wechsel Kati und Serge erzählen, die Einschätzungen spiegeln sich, die beiden können nicht miteinander leben. Der Roman ist originell konstruiert, es geht nur nichts voran, man weiß und bedauert das, bis man merkt, dass gerade darin das Motiv liegt. Die Meinung über den Roman hat sich beim Lesen des öfteren geändert. Es gibt einige weitere Episoden, die zunächst isoliert stehen und sich erst nach und nach zu dem Roman fügen: die Floridareise von Davids Mutter, das skurrile Ende der Katze Johnson, die beruflichen Querelen in Serges Werbeagentur, die Verwahrlosung von Becky. Die Zusammenschau ist plausibel, zunächst überraschend, psychologisch aber doch arg trivial. Es rächt sich, dass die “Randfiguren” zu viel Psychotragödie stemmen müssen. “Krausser zeigt ziemlich raffiniert, dass trotz übersteigerter Individualisierung und Vereinzelung, trotz der Suche nach dem letzten Kick des Ichs letztlich nichts übrigbleibt.“ (Helmut Böttiger, SZ) Das kennt und erwartet man von Krausser, dem Schreiber, der vielleicht den Strukturen der Jetztzeit am nächsten kommt.
Das scheinbar Banale ist immer das Größte.
Menschen gehen verloren, vertraute Wesen sind nicht mehr da, von einem auf den anderen Tag, und andere Wesen werden kommen und einem vertraut werden mit der Zeit – es geht so weiter, bis es nicht mehr weitergeht. Einfach ist das und grausam und gut. Leben ist immer ein Problem, und jeder Tod eine Lösung.
2011 220 Seiten
Kristina Jessen stellt den Roman kurz vor – auf Lettratv (mit Leseprobe)
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar