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Tennessee Williams: Orpheus steigt herab
Inszenierung: Sebastian Nübling
Fremdenhass ist überall, wo man selbst nichts hat, weder Geld noch Geist. Der Fremde ist nicht von hier – und wenn man ihm das nicht ansieht, wird es ihm eingebläut. Lady Torrance wirft man vor, dass sie blond und hellhäutig ist und nicht, wie es sich für eine eingewanderte „Itakerin“ zu gehören hat, schwarzhaarig und mit olivfarbener Haut (mediterraner Typ IV). Das Fremde merzt man aus, weil man dadurch selbst gewinnt, man dichtet sich dazu Gemeinsamkeiten an; wenn der Fremde beseitigt ist, ist alles wie vorher. Der nächste Fremde wird gesucht, gegebenenfalls erfunden.
Das ist die Logik der Armseligen, aber sie funktioniert brachial. Auch heute. Sonst könnten die „christlichen“ Parteien im Deutschland des Jahres 2014 nicht von „Einwanderung ins soziale Netz“ schwadronieren und die „Fremden“ mit deren Fingerabdrücken abstempeln. Aber das Stück braucht keine Aktualisierung. Wo es spielt, ist die Hölle.
Tennessee Williams siedelt den fremdenfeindlichen Selbsthass im Bigotry Belt der USA in den 40er/50er Jahren an. Die „Miasanmias“ in dem Flecken Two River County sind allesamt „White Trash“, Bodensatz. Die Frauen haben nichts zu sagen und gackern und geifern deshalb unentwegt. Notgeil wissen sie, dass sich daran nichts ändern lässt und wird. Sie groupieren sich. Die Männer treten nur im Rudel auf, nur der Dobermann ist in den Kammerspielen Einzeltäter.
Es gibt die Außenseiterin. Carol Cutrere, geduldet, weil sie für verrückt erklärt wurde. Man wird sie leben lassen, weil sie hysterisch geworden ist, ihre Beine zeigt und das Hemdchen lupft. Sylvana Krappatsch ist laut und launisch. Auch die Frau des Sheriffs (Çigdem Teke) sucht das Glück, sie malt ihre Visionen – auch auf den Körper des eigentlich unnahbaren Fremden.
Lady Torrance, die zentrale Person, hat sich domestizieren lassen. Erst nach Jahren erfährt sie von ihrem Mann Jabe, dass auch er beteiligt war, als der Männer-Mob die Wirtschaft ihres Vaters, des „Itakers“, abgefackelt und ihn selbst dabei umgebracht haben. Weil er einen Schwarzen bediente. Sie hat die letzte Gelegenheit für Rache, denn Jabe Torrance hat Krebs und lebt nicht mehr lange. Lady will sich selbstständig machen. Neben ihrem Laden errichtet sie ein Kettenkarussell. Es soll ein beschwingtes Glück nicht nur in ihr Leben bringen, wenn die Lichter blinken, sieht man das Elend nicht so. Dieses Kettenkarussell hängt als überwältigendes Symbol kopfüber auf die Bühne, nimmt fast den ganzen Raum ein. Die Fahrt soll bald beginnen, ihr Mann wird nicht mehr lange stören. Der Zuschauer weiß es besser, Fluchten sind hier nicht vorgesehen.
In diese Südstaatenunterwelt steigt Orpheus herab. Die Höllenhunde warten schon auf ihn. Gleich zu Beginn wird ein Dobermann auf die Bühne geführt, am Ende hört man, wie die Bluthunde den Fremden zerfleischen. Orpheus ist natürlich Sänger und er betört mit seinen Liedern alle, die Frauen sind von seinem Lied von den Vögeln ohne Beine, die auf dem Wind schlafen, berührt, weil sie sich darin erkennen. „Er verführt mit Worten, er poetisiert ihre triste Welt.“ (Petra Hallmayer, nachtkritik.de) „Ein schmaler, androgyner, sich somnambul selbstverliebt streichelnder und windender Junge, eine schillernde nicht einzufangende Echse, eine Zwitterwesen aus Stricher und Pop-Idol für junge Mädchen. Dabei entwickelt der zwischen Deutsch, Englisch und Estnisch switchende Kübar eine eigentümliche flirrende Faszination.“ In der Verfilmung hieß er „Der Mann in der Schlangenhaut“. Der Este Risto Kübar als Val Xavier ist müde, er drängt sich nicht auf, kann sich der Versuchungen auch in diesem Kaff nicht erwehren. Lady Torrance heuert ihn an, er kann ihr beim Aufbau des Karussells zur Seite stehen, die Leiter bringt sie sehr nahe, im Dach des Karussells wird man nicht gesehen. Wibke Puls ist die robuste, einsame, abweisende, kontrollierte Person, die ein solches Leben aus einem macht und die es braucht, es auszuhalten. Es ist natürlich alles Fassade, sie hat es verlernt, ihre Gefühle zuzulassen. Als sie „Orpheus“ anfasst, zuckt sie zurück, man spürt ihr Verlangen. Wibke Puls spielt diese zitternde Qual subtil, ihre inneren Kämpfe gehören zu den beeindruckendsten Momenten der Aufführung.
Sie trägt ihre Rolle auch am Leib: Ungeschminkt und in Arbeitshose werkelt sie dahin, nur am Schluss, als sie ihren Mann am Sterben wähnt, macht sie sich noch einmal schön. Das ist ihr Verderben. Jabe kriecht aus seinem Lager und erschießt sie – auf dem drehenden Karussell, das gerade fertig geworden ist. Erst im Tod dreht sich Lady Torrances Schicksal, gespenstisch kreist sie weiter.
Alles ist voraussehbar in diesem Stück, alles ist oft vorgeführtes Klischee. Regisseur Sebastian Nübling findet schöne Bilder für die Gefühle, die Motive, die Symbole, angefangen bei den Tratschweibern, die prollig ihre Luftballons aufblasen, Substitut für echte Schwänze, über die lauten und stinkenden Mottarradtouren ums Karussell (Lasse Myhr mit der blondbeinigen Annette Paulmann als Sozia – köstlich) bis zu Vals Begleiter, einem buntnäsigen Clown als Todesengel. Niebling lässt die schönen Szenen ausspielen, verzögert mit Liedern und Gitarrentönen und vor allem mit dem Aufhängen der Karussellgondeln. Ich hätte mir gewünscht, dass sich zum Schluss die Atmosphäre noch gewaltkündender verdichtet und beschleunigt. So wurde dieser tolle Theaterabend zuweilen doch etwas langatmig.
Kammerspiele München – Aufführung am 3. Januar 2014
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