Nachrichten vom Höllenhund


Wir lieben und wissen nichts
3. März 2014, 19:11
Filed under: Theater

Moritz Rinke: Wir lieben und wissen nichts
Inszenierung Günther Beelitz

rinke3Vier Menschen setzt Moritz Rinke in den Raum, zwei Paare, eher noch vier monadische Existenzen. Daraus ergibt sich ein Wortgefecht zwischen Smalltalk und Grundsatzdebatte. Das kennt man aus alten und recht vielen neuen Stücken. Der Streit dreht sich nicht um Außenstehendes, Politik oder Erziehung, sondern um Lebensentwürfe der Protagonisten. Jeder ist befangen in seinen Monologen, das Verständnis füreinander fehlt, man sieht nur sein Thema, redet aneinander vorbei. Nur in wenigen Momenten meint man eine Seelenverwandtschaft gefunden zu haben, gruppieren sich die Personen um. Es bleibt aber bei Versuchen der vereinzelten Wesen, zu differenziert erscheinen die Individuen, Idioten.  So ist sie, die Moderne. Der Zuschauer findet sich wieder, in Sympathie oder ungläubigem Staunen. 

Der Anlass der Zusammenkunft ist schnell gefunden: Sarah soll einen Kurs in Zürich geben, sie hat dazu übers Internet eine Tauschwohnung in der Schweiz organisiert. Jetzt stehen die Tauschpartner vor der Tür, die Wohnungsübergabe soll schnell über die Bühne gehen. Zu schnell für Sebastian. Sebastian sitzt auf seinem Stuhl und will von dort auch nicht fort. Er kennt nur seine Bücher, braucht sie aber eigentlich nicht, denn zum Schriftsteller hat es für den Schluffi nicht gereicht; er ist nicht über ein paar Vorworte hinausgekommen, lebt demzufolge von den Einnahmen seiner Partnerin Sarah, die als Atemtrainerin für gestresste Banker hin und wieder zu etwas Geld kommt. Sebastian ist dieser Job ein Gräuel, er mosert unabstellbar über die Oberflächlichkeit der Neuzeit, hat aber darüber hinaus keinerlei Perspektive. So einen wie Sebastian kennt man am besten – von sich selbst – und so kann man über seine Sprüche auch herzlich lachen oder schmunzeln. Seine Interessen sind Sexualpraktiken der Adamiten und anderes Abseitige, bei Sarah findet er damit wenig Aufmerksamkeit, sie ist die Powerfrau. Weshalb Sarah gerade auf Sebastian gekommen ist, man weiß es nicht, sie spricht ihn in ihrer Rage auch immer wieder mit „Christian“ an, ihrem eigentlichen Lover (der in der Schweiz wartet). Götz von Ooyen absolut überzeugend in Strickpullover und Cordhose – ein Klischeebild, wie es im Buche steht. Katrin Hauptmann ist die nette, ungeduldig geduldige Pragmatikerin, ein Gast aus Österreich, ein Gewinn für die Rolle.

rinke1Roman und Magdalena sind das andere Paar. Sie tauchen auf, nachdem man Bastian und Hannah schon recht gut kennt, die Zuschauer werden nicht überfordert. Roman hat ein Bauteil für einen Kommunikativen Satelliten entworfen und kommt nach Deutschland, um den Start der Rakete verfolgen zu können. Das ist seine Welt – und sonst gar nichts. Angst hat er nur davor, dass das WLAN nicht funktioniert, Sebastian ist ihm da gar keine Hilfe, weder technisch, noch ideologisch. Auch aus diesem Kontrast entwickelt Rinke lustige Wortwechsel. Thomas Birnstiel hatte eine Glanzrolle in King’s Speech, hier ist er zu verhuscht, zu sehr mit seiner Technik beschäftigt, bleibt spielerisch eher in der zweiten Reihe. Er hat’s aber auch schwer, denn seine „Satellitin“ Magdalena ist Janina Schauer. Sie lebt eine naive, liebe, extrovertierte, unbefriedigte Magdalena, erscheint auf Highheels mit dem „Fluchtkoffer“ ihrer Großmutter und trinkt sich mit reichlich Prosecco immer mehr in Schwung. Die Rolle liegt ihr, entzückt lauscht sie Sebastians Märchen von Bonobos und Ulrich, mit ihrem Roman verbinden sie nur noch Reminiszenzen. Klamaukig trägt sie einen Dewar herein, den sie für die  Kryotherapie benutzt, um ihre Beine so jung und elastisch zu halten, wie Roman es wünscht. Technik & Trutscherl. (Sebastian hängt an seinem Uralt-Entsafter. Nachhaltigkeit & Zenfinanz)

Das Stück hat, wie der etwas zweideutige Titel andeutet, seine ernsten, abgründigen Momente. Sebastian traut sich Sarah nicht zu sagen, dass er zeugungsunfähig ist, Magdalena verschweigt Roman den Brief, in dem Romans Firma mitteilt, dass er entlassen ist. Das wäre jeweils ein zentraler Grund für das Ende der Beziehung, bei Rinke heißt der Satz aber: „Kann man zusammenbleiben, wenn man sich die Wahrheit sagt?“ Die Spieler halten inne, damit der Zuschauer über solche Fragen nachdenken kann. Man darf den Titel aber ruhig auch auf „Wir lieben nichts“ verkürzen, denn die vier Personen im fast kahlen Zimmer wollen rinke2eigentlich nichts vom anderen wissen, Liebe steht heutzutage nicht mehr auf dem Spielplan.

Eine Boulevard-Komödie mit amüsanten Sprüchen und Szenen, zeitgemäßem Aneinander vorbeireden, ein bisschen Melancholie und Mitgefühl, den aktuellsten Bezügen, nicht zu viel „Tiefgang“. Es gibt keine Lösung, kann keine geben, es könnte weitergehen, nicht so, aber auch nicht anders. Nett und klug. Nicht schlechter als Yasmina Reza. Kein Anlass, sich großartig damit auseinanderzusetzen. Am Ende fällt ein Schuss. Magdalena macht sich mit ihrem Fluchtkoffer auf zum Meer.

Theater Regensburg – Aufführung am 28. Februar 2014

Fotos: Ludwig Olah


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