Nachrichten vom Höllenhund


Erklär mir, Leben
1. Juni 2014, 16:44
Filed under: Theater

Dea Loher: Erklär mir, Leben
Inszenierung: Thomas Schmauser

Ist man, bin ich wirklich so abgestumpft, dass das Geschehen auf der Bühne, das Reden über Gefängnis, Folter, Abgründe des Menschseins kalt lässt? Liegt es daran, dass über das Grauen „nur“ (wenn auch viel) gesprochen wird? Schiebt sich das Artifizielle der Inszenierung über den Angriff auf die Emotionen? Oder ist das Stück zu sehr „Studie“, Psychogramm und lotet zu analytisch die Mechanismen aus, die Menschen brechen? Opfer und Täter sind bei Loher/Schmauser existentiell aufeinander bezogen, beide werden zerstört. Dringt das Stück oder dringt die Inszenierung nicht mehr durch oder hat man darüber schon zu oft, zu viel gelesen, gehört, gesehen?

loher1Thomas Schmauser, selbst Schauspieler an den Kammerspielen, hat Dea Lohers Stück „Olgas Raum“ adaptiert. Aus „Respekt“ vor dem Stück gab er seiner Inszenierung einen anderen Namen, „Erklär mir, Leben“, angelehnt an Ingeborg Bachmanns Gedicht „Erklär mir, Liebe“. Doppeldeutig durch das Komma. Der Originaltitel ist neutral, denn erzählt wird die kurze, aber drastische Lebensgeschichte von Olga Benario. Egberth Tholl fasst in der SZ knapp zusammen: „Zwanziger Jahre, Schwabing, kommunistischer Jugendverband, KPD Berlin, mit Waffengewalt einen Genossen aus dem Gefängnis befreit, Moskau, Auftrag: Luiz Carlos Prestes, der Hoffnung Brasiliens, beistehen. Quer durch Europa, dann nach Brasilien, Aufstand scheitert, auch weil Gestapo und amerikanischer Geheimdienst auf Seite der Diktatur mitmischen, Verhaftung, Auslieferung, mit dem Nazischiff nach Deutschland, sechs Jahre Gefängnis und KZ, dann starb sie in der Gaskammer.” Olga Benario liefert aber für Loher wie für Schmauser nur den Aufhänger für weit allgemeinere Gedanken über die Grausamkeit.

Olga sitzt in ihrer Zelle, ihrem “Raum”, in ihrem Kopf kreist das Unmenschlichste, was Menschen einander antun können. Mit ihr sind zwei junge Frauen eingesperrt, denen Olga ihre Geschichte(n) erzählt, damit sie einschlafen, sich daran abarbeiten können. Filinto Müller war selbst Revolutionär, jetzt ist er zum Folterknecht geworden, genießt das und leidet darunter. Sein ganzes Leben ist durchdrungen von diesem Schmerz. Ursula Werner ist Olga, ruhig, gefestigt scheint’s, öffnet sie sich den jungen Frauen, erträgt die ständige Präsenz ihres Peinigers, wartet auf den Abtransport ins Nazi-Deutschland. Sie spricht, bewegt sich kaum. Was doch irritiert: Ursula Werner ist über 70, Olga Benario wurde nur halb so alt. Die beiden jungen Frauen, Barbara Dussler und Morgane Ferru, haben die aktiven loher2Rollen, sie hüllen sich in Tücher, ziehen diese aus, gehen umher, legen sich unter die Bank, heben den Arm zum deutschen Gruß, nicht immer sehe ich einen Sinn darin. „Zwei irisierend schöne Geschöpfe, verletzt, todtraurig, purer Schmerz” sieht Egbert Tholl. Vielleicht sind sie die junge Olga, die zeitlosen Olgas, mehr als bloße Irrlichter. Die überzeugendste Figur ist Peter Brombacher, grausam menschliche Maske des Bösen, Abgrund und Rettungsversprechen  zugleich, ambivalent in seiner brachialen Jovialität. Ein Meister.

Ivica Vukelic spielt auf der Gitarre, das bedrückt die Stimmung, am Ende paradiert er im Hoppelschritt und in Guerilla-Uniform. Weshalb, bleibt so unklar wie die Tanzeinlagen von Joachim Wörmsdorf. Die Bühne ist geteilt in Olgas Zelle, mit „Deutschland“ beschriftet, und in einen „Raum“ „Ausland“, dort wird gespielt. Schleifstein und Amboss symbolisieren die Gewalt der Folter. Ein farbenfrohes Hakenkreuz rotiert als Laserprojektion an der Rückwand. Ein unpassender Gag. Ebenso billig wie die Gießkanne, aus der Nebelgas strömt. Überflüssig, weil unwirksam auch die dem Stück vorangestellte Beschreibung einer Vierteilung aus dem 18. Jahrhundert, ärgerlich die vagabundierenden Gedanken über die deutsche „Unfähigkeit zu trauern“, zu lange vorgelesen und dem Stück angehängt.

Dea Loher war 28, als sie dieses Stück schrieb, ihr erstes. Mir hat „Olgas Raum“ in dieser zwar stark gespielten, aber zu unkonziser Form nichts mehr zu sagen. Auch der „harte“ Text verfehlt seine Wirkung. Andere Besucher reagierten ähnlich.

Werkraum der Kammerspiele München – Aufführung am 30. Mai 2014


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