Nachrichten vom Höllenhund


Harold und Maude
10. September 2014, 17:16
Filed under: Theater

Colin Higgins: Harold und Maude Bearbeitung von Tobias Ostermeier

haroldmaude5Früher war die Welt noch überschaubar und naiv, die Gegenwart verhieß eine Zukunft und wenn man einen Baum aus der städtischen Verkehrsinsel ‚befreite’ und in den Wald versetzte, war das eine rebellische und damit gute Tat. Das waren die 70-er Jahre des 19. Jahrhunderts und das ist lange her. Das ist Poesie. Harmlos.

Heute geht niemand mehr in den Wald, Verkehrsinseln werden allenfalls desertifiziert. Harmlos ist keine Kategorie mehr, weil alles harmlos ist, was man sich ausdenken könnte. Poesie ist Poetry. Slam. Ice-Bucket als Challenge.

Maude war 79. Sie ging als Rebellin durch, weil sie sich als Alte noch zu leben traute. Das Motiv wird heute im Film durchvariiert.Cat Stevens ist 66 und heißt jetzt Yusuf. Dem 19-jährigen Harold ließ man seine inszenierten Suizide als Protest gegen den gelackten American Way of Life durchgehen und als er auf einer Beerdigung, wo er „eine besondere Befriedigung“findet, die buddhistisch angehauchte Maude kennenlernt, flossen Gefühle der Befreiung durch den Zuschauer wie sonst nur noch bei Alexis Sorbas. Früher.

Was verleitet den jungen Theatermann Tobias Ostermeier diese in der skurrilen Vorzeit angesiedelte Komödie auszugraben und ins durchgestylte Jahr 2014 zu versetzen? Glaubt er etwa noch an die Poesie? Jedenfalls kamen genügend Zuschauer und bereuten das nicht. haroldmaude1

Den schwierigsten Part spielt Aaron Jungblut. Denn Harold entzieht sich zunächst der ihm zugedachten Figur des american boy. Bleich geschminkt lässt er die Geschwätzigkeit seiner Mutter über sich ergehen, will fast keinen Text, wirkt abwesend in seiner eigenen Welt. Auch seine 58 Selbstmorde inszeniert er mir introvertierter Lakonie. Das kann auch heute noch schmunzeln lassen. Erst Maude zeigt ihm die wesentlichen Dinge des Lebens, die Gerüche und die Pflanzen und den Tanz, lehrt ihn das Leben, indem sie es vorlebt. Harold findet zu sich, traut sich einzutauchen und Aaron Jungblut entwickelt sich mit ihm, schlägt Purzelbäume und singt zur Ukulele. Harold scheint für Jungblut erdacht, man nimmt ihm die Hingabe ans Morbide ab und auch seine schüchternen Versuche mit dem Leben. Nur das Ende kann man im Theater nicht nachspielen, weil keine Steilküste da ist und weil Cat Stevens’ If you want to sing out, sing out And if you want to be free, be free doch beseelter in den Sommerabend führt als Jungbluts deutsche Version. Denn das Stück hat ein „happy“ end.

Schon vor zehn Jahren hat sich Regisseur Tobias Ostermeier „Inge Faes-Wagner als Maude gewünscht. Aber da war sie noch zu jung.“ (Ist das ein Kompliment?) Die Film-Darstellerin Ruth Gordon war 75, aber Maude ist ja so lebensselig, dass auch eine agile jüngere Schauspielerin in die Rolle passt. Inge Faes-Wagner meistert den Spagat zwischen aufmüpfiger Powerfrau und – weniger erwartbar – pusseliger Sentimentalität glänzend, es braucht nur einen grauen Zopf und ein paar Hippieklamotten. Harold and Maude werden liebevoll in Szene gesetzt, sie bewegen sich aufeinander zu, sind aber in ihrem gespielten haroldmaude2

Charakter doch eindimensional. Sie präsentieren ihr Spintisieren mit Charme. Die Kontrastpersonen sind durchwegs Karikaturen, Knallchargen. Andreas Hainzingers Butler ist der beflissene Moderator, seine Figuren Pfarrer, Offizier und Psychiater ähneln sich im Typus, hier gilt es, sie durch Nuancen zu typisieren und zugleich zu differenzieren. Einmal, ein kleines Highlight der Aufführung, gelingt das Rollen-Hopping auf – fast – offener Bühne. Chapeau.

Leichter mit ihrem Figuren-Panoptikum hat es Katrin Seidel. Neben der affektierten Mutter verlieh sie den drei Dating-Hascherln so viele individuelle Schrullen, dass meine Platznachbarin ungläubig fragte, ob es sich wirklich um nur eine Darstellerin handle. Superb, wie sie die Karikatur der blasierten Schauspielerin Sunshine Doré doppelte und noch eine Parodie auf Romeo und Julia einbaute. Ich würde sie gern öfter auf der größeren Bühne sehen. Die vielen „Neben“-Rollen addieren sich zuHaupt-Aktionen.

Im Stück steckt eine Menge Arbeit. Die liebevoll präparierten Requisiten werden von den Schauspielern selbst so an ihren Einsatzort bewegt, dass die Umbaupausen nicht störten. Der „Soundtrack“ strukturiert das Geschehen unaufdringlich (mit Gery Feinds Gitarren-Sirene!). Tobias Ostermeiers Inszenierung kann den Film nicht ersetzen, sie ist aber unbedingt sehenswert. Ein paar Anspielungen aufs Heute (Baywa – George Bush) verlieren sich in gefälligen Lachern, sie sind nicht mehr als Gimmicks, eher billig. Liebe und Tod sprechen für sich, zeitlos gealtert. Vielleicht ließe sich die Bearbeitung durch Reduzieren der Tee-Szenen noch etwas straffen. Sollte Harold und Maude im nächsten Jahr nochmals auf dem Spielplan des Turmtheaters stehen: Hingehn!

Turmtheater Regensburg – Produktion von ‚zwei+’ – Aufführung am 5. September 2014

Fotos: Julia Ostermeier


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