Nachrichten vom Höllenhund


Ott
5. April 2016, 16:56
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Karl-Heinz Ott: Die Auferstehung

ottauferstehungDer Vater ist gestorben und die Kinder zanken sich – ums Erbe und überhaupt. In Zeiten der allein gelassenen Alten und der mit sich selbst beschäftigten Söhne und Töchter wird das Thema häufig verarbeitet, in Filmen und in der EDEKA-Werbung. Alters-Verglühen.

Will man das noch einmal erzählen, muss man inhaltliche Variationen und/oder besonders originelle Erzählweisen finden. Beides versucht Ott – und scheitert. Weil er eigentlich etwas ganz anderes will. Der Vater ist nach dem Tod der Mutter nochmals erglüht, er hat die Kunstwerke im Haus durch pornografische Plakate ersetzt und sich dazu passend eine neue Frau zugelegt, eine Haushälterin. Die Kinder nennen sie nur die „Balkanhure“ – sie kommt angeblich aus Ungarn. Degoutant.

Jetzt ist der Vater tot, liegt im Wohnraum, die Kinder versammeln sich nach langer Zeit wieder, sitzen um die Leiche, beschließen, sie liegen zu lassen, bis der für diesen Fall erwartete Rechtsanwalt eingetroffen ist.

Immer stärker aber habe ich den Eindruck, dass Ott das Setting nur benutzt, um soziale Milieus der BRD der vergangenen Jahrzehnte als klamottige Karikaturen vorzuführen. Für den Vater war Joschi “nichts anderes als ein Konformist, der sich wie alle, die damals antikapitalistische Phrasen droschen, groteskerweise wahnsinnig nonkonformistisch vorkam. Woher, fragte sich Va­ter, diese Utopieseligkeit? Und das, nachdem man die Hitler­scheiße erst gerade hinter sich hatte und wie selten zuvor zu­frieden sein konnte? Woher diese kindischen Sehnsüchte nach dem Schlaraffenland, obwohl alles da war, was man brauchte? Woher dieser Zorn, der sich als Moral ausgab, dabei aber nur von einer mäkelsüchtigen Unzufriedenheit kündete, die sich aus keiner ersichtlichen Not speisen konnte? Warum musste man alles, was nach dem radikalen Zusammenbruch wieder aufgebaut und erreicht worden war, mit moralisch verklei­detem Geifer miesmachen und damit Verachtung für diejenigen bekunden, die den Kindern diesen Wohlstand beschert hatten?” Mit dem selben Zorn des bürgerlich schwäbischen Gutmenschen verachtet der Vater auch Jakob, der “in die brotlose Welt der Bücher trieb” und den “Hippie” Uli, “der mit Hermann Hesse in buddhistische Traumwelten abdrif­tete (und) bis Ende zwanzig noch nichts konnte außer kiffen”. Nur Linda war “an ihrem Fortkommen interessiert …. Zwar durfte Kunstgeschichte bloß als Orchideenfach gelten, das man nicht wirklich ernst nehmen konnte, aber immerhin, sie studierte wenigstens richtig. Mit ihrem Ehrgeiz hätte sie ebenso Ärztin, Richterin oder Bankenchefin werden können, doch mit ihrem Drang zur Kunst schlug sie eben Mutter nach, was in Vaters Augen so wenig schadete wie es nützte.“

Ja, es gibt sie, diese Klischees, aber Ott verfängt sich so überbordend in ihre Präsentation, dass man den Autor selbst stöhnen hört in seinem Furor der überheblichen Entlarvung, der die Geschichte immer stärker überlagert und in den Hintergrund drängt. Ott treibt alle gottverlorenen Sauen durchs Dorf. Apropos Dorf:

 „Die Dörfer, durch die sie kamen, (waren) keineswegs schöner geworden. So gut wie alle Läden hatten längst dichtgemacht, wie auch in Geigingen daheim, wo es bei damals knapp zweitausend Ein­wohnern sieben Wirtshäuser, vier Lebensmittelgeschäfte, zwei Brauereien, zwei Bäcker, zwei Metzger, ein Flaschner-, ein Satt­ler- und ein Schuhgeschäft, eine Schneiderei und sogar eine Uhrmacherwerkstatt gab, in deren Fenster von morgens bis abends der Herr Sättele mit seiner ins rechte Auge geklemm­ten Lupe saß und vollkommen versunken mit seinen klitze­kleinen Schräubchen und Rädchen beschäftigt war. Als Kin­der stapften sie jeden Abend mit der zerdellten Milchkanne zur Molkerei und tranken auf dem Rückweg gleich die Hälfe der kuhwarmen Milch. Heute erinnern nicht einmal mehr Schilder an diese Läden, sieht man einmal ab von der Metz­gerei Dosch, die zwar geschlossen ist, deren Name aber in alt­deutschen Buchstaben noch über den ehemaligen Schaufens­tern prangt.”

 Und jetzt die Häuser: “Das loungegroße, von oben bis unten sandsteinfarbene und mit passenden Sesseln, Stühlen und Tischen ausstaffierte Wohngeschoss erweckt den Eindruck, als schreite man durch eine wüstenhafte Säulen­halle mit antiken Ruinen. Es wurde von einer Konzeptkünst­lerin nach Fotovorlagen aus dem Negev entworfen.

Oder die Nahrungsaufnahme der “Cappuccino- und Pinot-Grigio-Generation” oder die Kultur, speziell die Musik, wo bei “einem Bericht über die Salzburger Festspiele (…) zwischen ein paar Tak­ten Strauss und Verdi jedes Mal Hardrockgebumse eingespielt wurde, wenn der vor Eitelkeit platzende, ständig übertheatra­lische, zeitgeistig überkorrekte Moderator mit seiner affigen Ahnungslosigkeit ...” “Mein Gott, was waren das für Zeiten.”

Mein Gott, es hilft nichts, wenn Karl-Heinz die Suaden den Kindern in den Mund legt, sie aus ihren krachernen Comic-Existenzen aufeinanderhetzt, er vergeigt damit den Roman, macht sich zum Dialogschwaller und Apologeten einer verloren geglaubten Zeit mit ihren Ritualen, ihrem Festhalten an der Form: Wann wird es endlich wieder so wie es nie war” (Joachim Meyerhoff) “Das einzige Kru­zifix im Haus hängt im oberen Flur zwischen Elternschlafzim­mer und Bad, wo der dornengekrönte Jesus inmitten dieser Nacktheiten seine Arme ausgebreitet hat.” Gott soll gerettet werden – und die Vernunft, die nicht mehr zu leugnen ist. Hier hilft Pascal! Das bewegende Zentrum von Otts Angst.

Pascals “größte Angst bestand darin, dass es keinen Gott geben könnte und das Einzige, was uns ausmacht, die Furie des Verschwindens wäre. …Der Horror Vacui hat ihn nie losgelassen … Jedenfalls will Pascal, sollte es einen Gott geben, auf der Gewinnerseite stehen.”

Hier könnte sich der Kreis zum toten Vater schließen, doch zuvor muss es noch die totale Auflösung der Form geben, die Sünde im Totenhaus.

 Sie hätte sich wehren können. Sich wehren müssen. Wie oft hatte Boshorch (der Pfarrer, W.S.) ihnen erklärt, dass nicht der Verführer schuld ist, wenn man sich verführen lässt. Doch wer war der Verführer und wer der Verführte? Oder wollten sie es beide gleichzeitig? Gleichzeitig und gleich heftig? Ohne jedes Zuerst und Da­nach, jedes Mehr und Weniger? War der Gedanke bei ihnen im selben Augenblick aufgeblitzt, so wie es eigentlich am schönsten ist? Mit einem Schlag, als sei plötzlich alles klar und als gehe es nur noch darum, wer den ersten Schritt wagt? (…)
Nie hätte er das zu träumen gewagt. Nie. Es war ausgeschlos­sen, zumindest für ihn. Auf immer und ewig. … Warum nur musste er das tun? Warum!?

 Und darauf eine Re­sur­rek­ti­on! Die könnte in ihrer Metaphorik schon wieder witzig sein, doch hat der Roman sein Thema ertränkt unter dem Wust von gelehrten Gedanken zur Welt und zu Gott. Armer Ott.

 

2015               350 Seiten

4-5


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