Nachrichten vom Höllenhund


Wut
8. Juli 2016, 12:05
Filed under: Theater

Elfriede Jelinek: Wut
Inszenierung: Nicolas Stemann

Elfriede Jelinek gibt dem Theater: Nichts. Ihr Horizont ist zu selbstbezogen, zu flatterhaft, zu manisch, zu niedrig. Sie hat zu allem etwas zu sagen. Besser: Sie sagt zu allem etwas. Und viel: Ihre Text produziert sie als Textflächen. Macht was draus!

Das darf sie, das unterscheidet sie nicht von anderen Meinungsäußerern. Die Medien verlangen’s, das Theater stützt (stürzt) sich auf den Namen, durch den Nobelpreis geadelt. Aber Jelineks Texte sind nicht tief, sie sind flächig. So sieht das aus . Sie setzt ihr eigenes Niveau.

wut1Jelinek liefert. Seitenweise. Selten weise. Die Gedanken zirkulieren im Bannkreis ihrer Obsessionen. Männer/Götter. Gewalt/Deprivation. Alles paletti, aber hinderlich. Gut gemeint, das schlimmste Kompliment.

Das Theater bräuchte Konflikte, auch heute noch. Jelinek verstreut sie. Niclas Stemann scheint ein netter Mensch zu sein. Mit zu wenig Selbstvertrauen, denn er vertraut Texten, die er nur nach Seiten misst. Für das, was er inszeniert, bedarf es keiner Autorin, nicht Elfriede Jelinek. Aber Niclas Stemann ist noch nicht der Name, hat noch nicht den Preis-Tag.

Elfriede Jelineks Texte sind (nur) Texte, keine Dramen. Man kann die Texte in Szene setzen. Man kann sie auf der Bühne aufsagen lassen. Wie viele Schauspieler das tun ist egal, wer was sagt, auch. Wenn man die Texte verständlich aufsagen lässt (wie bei „Das schweigende Mädchen“ – über den NSU-Prozess), versteht man Jelineks Methode. Das Ergebnis ist unerträglich. Jelineks Sprach-Sinn ist pubertär, mechanistisch, redundant. Daran ändert auch Annette Paulmanns fulminante und famos in Szene gesetzte Wut-Rede wenig.

wut2Niclas Stemann macht bei „Wut“ etwas sehr Konsequentes mit Jelineks Textfläche: Er lässt sie in der Fläche, übermalt sie, lässt sie übersprechen. Alle zugleich, bis man nichts mehr versteht, Schleif-Loops wie im Kanon. Das verstört zunächst, bis man merkt, dass einem textlich nichts entgeht. Das ist schade, ärgerlich, denn das Thema verlangt einen Anspruch, den das Theater nach Jelinek grandios unterläuft. Was politisch sein soll, auch sein will, verströmt sich. Gut, das ist der virale Geist der Zeit, heute sprechen alle durcheinander, ein CHOR kann sich nicht finden. Kann Stemann das nicht ohne Jelinek, vielleicht sogar besser?

Die dritte Annäherung, Jelineks Texte zu eskamotieren: Man bebildert sie. Ein bisschen Pomp, ein bisschen Klamauk, ein bisschen Tandaradei. Nix gegen Klamauk. Aber auch für ein burleskes Kindergeburtstagsspektakel wie die die Götter-Party hat’s keine Jelinek gebraucht. Das Amüsement entsteht durch die Ausstattung: Pappnasen, grüne Lamettaprophetenbärte, Dickbuddhas, Spaghettimonster und ein paar reichlich lachhafte Witzchen.

Auch das omnipräsente Video macht nur selten mehr Sinn. Dass Video-Selfies die „sozialen“ Medien fluten, ist bekannt. Im Theater verdoppeln sie nur diese Erkenntnis, sie stehen für sich selbst, was gestreamt wird, ist belanglos. Wie Jelineks Text. Pointierte Sätze, auch solche politischer Art, kann im übrigen das Kabarett besser und treffender. Und, wesentlich, knapper.

„Winterreise“ – „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“ – Das schweigende Mädchen“ – jetzt „Wut“. Im Theater macht Elfriede Jelinek keinen Sinn (mehr). Das nächste Jelinek-Projekt ist wie das vergangene. Ein Selbstläufer, ein Irrläufer. Macht euer Theater wieder selbst. Mir langt’s.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 1. Juli 2014

 Rezension von Hubert Spiegel in der FAZ Rezension von Sabine Leucht bei nachtkritik.de  Rezension von Bernd Noack im SPIEGEL

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