Nachrichten vom Höllenhund


Figaros Hochzeit
19. Oktober 2016, 11:23
Filed under: Theater

Mozart/daPonte: Figaros Hochzeit
Inszenierung: : David Marton

Weshalb schenkt die trippelschrittige Dame dauernd Rieslingsekt aus? Und Weshalb trägt die Dame einen matronenhaften Überwurf in Papageienfarben? Und warum verliest diese Frau in leicht gewandelter Kostümierung Texte über die Rechte der Frau und Bürgerin? Hat sie was zu tun mit dem älteren Herrn, der sich über Franzosen und Briten und ihren Kampf um amerikanische Kolonien auslässt? Wieso setzen sich einige der Darsteller immer wieder in eine figa1Badwanne, die vorne auf der Bühne herumsteht? Weshalb steht die Hausfassade auf Gerüsten und weshalb gehen die Personen immer um die Kulisse herum oder klettern in den ersten Stock? Und wer ist jetzt eigentlich der Figaro? Und wen heiratet er? Und weshalb isst er auf Isländisch (?) einen Apfel? (Aus dem After-Play-Talk)

Es hat auch Vorteile, wenn man sich eine Handlung erschließen muss. Leichter fiele einem das, wenn man die Oper kennte, einem Zitate, Anspielungen, Assoziationen durch den Kopf gingen. Ein dekonstruierter Abend also? Im Gespräch lässt sich manches Wissen doch zum Sinn zusammensetzen und dies und das plausibel werden, ohne dass die Deutungsversuche zu Gewissheit versprechen.

„Weil Sie ein großer Herr sind, halten Sie sich für einen großen Geist. … Was haben Sie denn getan, um so viele Vorzüge zu verdienen? Sie machten sich die Mühe, auf die Welt zu kommen, weiter nichts; im Übrigen sind Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch.“ (Beaumarchais, 1778, Autor von La folle journée ou le Mariage de Figaro). Solche Gedanken gespensterten herum im vorrevolutionären Europa, die Worte könnten auch aus Schillers Kabale und Liebe stammen, figa5auch der Soldatenhandel für den Kolonialkrieg in Amerika ist hier Thema und so ist es berechtigt, dass in David Martons Inszenierung Benjamin Franklin auftritt (Gundars Āboliņš) und Annette Paulmann als leicht angeschickerte Haushälterin Marcellina Texte der Frauenrechtlerin Olympe de Gouges, von 1791 „absondert“ (Sabine Leucht, nachtkrikitk.de)

Trotz thematischen Bezugs wirken die Diskurse abgelöst von der (welcher?) Handlung, in den Raum gesprochen oder als Pseudo-Dialog in die Badewanne versenkt. Debatten über Kunst & Revolution hatte man schon öfter, das muss Marton nicht dem skelettierten Figaro überstülpen. Ein etwas plumper Effekt auch das Ersetzen des Kulissenhauses durch einen herabgelassenen Freiheitsprospekt.

Was ich angesichts der Kritiken so nicht erwartet hatte, ist die tragende Rolle der Musik. Auch hier löst sich Marton von den Rollen, auch die Schauspieler singen, nicht so glamourös wie in der „echten“ Oper, schon allein deshalb, weil viele Arien eher zu Songs werden. Man merkt den Unterschied in Vermögen und Volumen, wenn am Schluss der Bariton Thorbjörn Björnsson als figa4Figaro die Grafenarie singt. Ansonsten ist die Musik und sind die Musiker ins Bühnengeschehen eingebunden, es wird in allen Ecken gespielt und gesungen, oft mehrsprachig „Einen Ausschnitt aus der Schmerzensarie „Porgi, amor qualche ristoro“ der Gräfin, die zu einer der schwierigsten der Opernliteratur gehört, sprechsingen Marie Goyette, Annette Paulmann und Jelena Kuljic in ihren jeweiligen Muttersprachen hintereinander weg: Müde, fast emotionslos, dabei die Handtasche oder das fast leere Glas umklammernd. Da ist längst kein Kampf und keine Hoffnung mehr auf Liebe oder Tod aus Verzweiflung. Warum auch?“ (Sabine Leucht). Manchmal fallen die Töne nur noch stockend und röhrend (Franz Rogowski, rührend). Die ultimative Vergackeierung von Mozart, aber amüsant. Am beeindruckendsten ist Nurit Stark auf ihrer Violine, von der leisen Solo-Elegie über angejazzte figa3Rhythmen bis zur kakophonen Atonalität im revolutionären Aufruhr. Gleichzeitig agiert sie auch als Schauspielerin. Toll.

„Es geht um die liebevolle Demontage einer Kunstgattung, die als Inbegriff des Bürgerlichen gilt.“ (Marco Frei, NZZ) Aber kann das aufgehen? Wer seine „hohe Kultur“ nicht antasten lassen will, wird nicht zu Marton in die Kammerspiele finden. Oder er wird seinen Irrtum bemerken und wieder gehen. Wer den aus den Opernschwurbeleien (Liebe und Kabbeleien und so) befreiten politischen Aspekt des Stücks für wichtig hält, wird sich nicht mit Assoziationen an Mozart aufhalten lassen. Nur wer ein schräger Vogel ist und Spaß am Ulk, an der Parodie, am Dechiffrieren hat, wird seine Freude haben – vor allem, falls er „das Werk bestens kennt“ (Sven Ricklefs). Wer, wie ich, unbefangen sein Abo erfüllt, kann sich dennoch intelligent unterhalten fühlen. Die Spieler haben den erfreuten Applaus hoch verdient.

Das „Opernhaus“ der Kammerspiele soll am Ende der Spielzeit „spektakulär abgefackelt“ werden. Zu oft lässt sich derart Dekonstruktion nicht anwenden. I Der Saal war so wenig gefüllt wie noch nie in meiner Abozeit. „Il resto nol dico, già ognuno lo sa!”

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 14. Oktober 2016


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