Nachrichten vom Höllenhund


Black Rider
17. Februar 2018, 16:51
Filed under: Theater

Tom Waits, William S. Burroughs u.a.:
The Black Rider
Inszenierung: Jan Langenheim

br0Käthchen, das Mädchen, hat sich Caspar David Friedrich an die Wand gepostert. Aber auch der Teufel kennt die Romantik, hat er doch dazumal gern in Bühnenwerken mitgewirkt, obwohl er eigentlich ein Relikt aus dem Mittelalter ist. Heute ist der Teufel eine Schießbudenfigur, seine Heimat ist die Geisterbahn. So einer ist auch Stelzfuß Sebastian M. Winkler, doch nach kurzem Schreck möchte man ihn knuddeln. Und er singt auch schön.

Die Bühne bebildert das Vaudeville, die Music-Hall, den Jahrmarkt mit den Etablissements in der Beletage. Hier im Oberstübchen residiert auch die Tochter des Waldclowns, sorry: Erbförsters Oliver Jaksch, das brave Käthchen mit ihrem dackligen Hund Rudi und hier wartet sie auf ihren Galan Wilhelm, auf dass er zum Fensterln komme. Käthchen br1Verena Maria Bauer singt sehr schön, schöner noch als der Teufel, Wilhelm Matthias Zera singt auch, aber er ist ein Loser. Er kann nicht schießen. Auf dem Dach treibt der Löwenzahn als Restwald, alles ist Reminiszenz. Travestie statt Tragödie, Ramsch-Romantik.

Die Handlung ist aus Johann August Apels Volkssage „Der Freischütz“ von 1810 extrahiert und wird auf wikipedia ungefähr so nacherzählt:

Der Amtsschreiber Wilhelm verliebt sich in die hübsche Försterstochter Käthchen, die seine Gefühle erwidert. Der Erbförster Bertram und seine Frau Anne (Ruth Müller) – beide singen auch sehr gut – jedoch wollen einen „echten Mann“, einen kernigen Kerl für ihre Tochter. Voller Ehrgeiz möchte sich Wilhelm nun als Waidmann erweisen und trainiert das Schießen. Leider ist er dafür völlig untalentiert und landet nur gefährliche br2Fehlschüsse. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die angebotene Hilfe von Stelzfuß anzunehmen.
Mit den Freikugeln des Stelzfuß kann man alles treffen, was der Schütze treffen will. Nun ist auch der unbegabte Wilhelm ein treffsicherer Jäger und fühlt sich euphorisch ob seines Erfolges. Stelzfuß zeigt aber sein wahres teuflisches Gesicht und gesteht Wilhelm nur sechs Treffer zu. Den siebten Schuss will Stelzfuß selber ins Ziel lenken. Und so trifft am Ende im alles entscheidenden Wettstreit zwischen den Freiern des Käthchens die siebte von Wilhelm abgefeuerte Kugel das Herz Käthchens. (1821 machte Carl Maria von Weber daraus seine „Romantische Oper“. Käthchen, die damals Agathe hieß, muss überleben und im Schlusschor wird die Milde Gottes gegenüber denen gepriesen, die reinen Herzens sind.)

Aber die Handlung ist dem „Black Rider“ egal, banal und ein Gebräu aus Volksmythen br4und –märchen, ein bisschen Faust, ein bisschen Jennerwein, nur Aufhänger für das Singspiel. Ohne Musik wäre dies Stoff für virtual games auf Kindergeburtstagen. Doch die Musik stammt von Tom Waits, der in Deutschland als Kultsingersongwriter gilt, aber nur wenig bekannt ist. Wenn Tom Waits seine Songs selbst interpretiert, zerdehnt er die Melodie und vernuschelt er die Texte, er trägt seine „Geschichten grummelnd und knurrend mit seiner charakteristischen, rauen Stimme vor“ (wikipedia). Die Coverversionen entdecken oft die süffige Melodik, die Regensburger Theatercombo „Bernd Meyers Scrooge-Band“ holt den Schmiss aus den Kompositionen und macht den „Black Rider“ zum mitreißenden Erlebnis. Sie sitzen im Hintergrund, erst zum Schluss sieht man ihre schönen Kostüme. (Wo find ich ein Bild?)

Für die Mithilfe zum Mord muss Stelzfuß nicht belangt werden, denn das getroffene Käthchen erscheint zu Applaus und Zugabe wieder auf der Bühne, unbeschädigt in ihrem ordentlichen Glitzerdress. (Librettist William S. Burroughs, Ikone der Beat-Generation, konnte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, da er 1951 versehentlich seine Ehefrau erschossen hatte – beim Wilhelm-Tell-Spielen.) Apropos Schießen: Der br5ergreifendste musikalische Moment ist, wenn Käthchen Verena Maria Bauer das lyrische „I’ll shoot the moon… for you baby“ singt.

Umrandet wird das Spektakel von den Irrwischen Gunnar Blume und Andine Pfrepper, die als Erbförster Kuno bzw. Burroughs über die Bühne hinaus ins Publikum wirbeln. (Falls sie nicht gerade eine andere Rolle spielen, so z.B. Blume das blechgerüstete Orakel.)

Bei der Uraufführung 1990 geschieht „nach knapp drei Stunden entfesseltem Gespensterzauber und trommelfellzerrüttendem Gruselsound etwas, was selbst im schwärzesten Märchen nicht passieren darf. Ein Höllensohn fährt zum Himmel. Das Theatermärchen ist aus, das Böse triumphiert. Doch der wahre Höllenlärm brach erst hinterher los, im Parkett und in den sonst eher ruhigen Spalten der Feuilletons. Halbstundenlang bejubelte das Premierenpublikum im Hamburger Thalia Theater das Musical“. (SPIEGEL) 2000 hat den Andreas Kriegenburg am Münchner Residenztheater die romantische Waldgeschichte (…) kaum interessiert, dafür umso mehr der Seelenverkauf und das Drogendelirium.

Wir schreiben 2018 und sind in Regensburg. Der Black Rider kommt ohne Sex & Drugs aus, eine Inszenierung für die ganze Familie, ein Jahrmarktpanoptikum. Ich hab wenig Erfahrung mit Musicals, aber mir hat’s gefallen. Bunte Kostüme (Jessica Karge), eine super Band, eine wandelbare Bühne als Augenschmaus(Anja Jungheinrich), überwiegend gute Darsteller mit Gesangstalent, einige Längen, viel Applaus. Für den Rosenmontag eine vergnügliche Abendunterhaltung. Vielleicht blieben aber gerade wegen des Faschings viele Plätze leer. Michael Scheiner (MZ) hofft, dass sich ein „jüngeres Publikum angesprochen“ fühlt, aber die Regensburger Jugend geht wohl nur ins Theater, wenn sie sie ein Lehrer hineintreibt. Scha(n)de.

Theater Regensburg       –       Aufführung am 12. Februar 2018

Fotos: Jochen Quast

 


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