Rachel Kushner: Telex aus Kuba
Zwischen Florida und Kuba liegt der Wendekreis des Krebses – und jenseits des Wendekreises liegen die Tropen. Üppig wuchernde Natur, fremde und reizvolle Natürlichkeit, braunhäutige Menschen, wie zum Ausbeuten vorgefunden oder importiert. Kuba ist das Land des Zuckerrohrs, amerikanischer Hinterhof. Imperialismus, in seiner Form als Kolonialismus Stoff für Filme aus Hollywood, die Unterdrückten sind gut genug als Angstprojektionen auf die Rebellion.
Rachel Kushners Roman „Telex aus Kuba“ ist Kolonialepos zwischen den selbstgefälligen, charakterschwachen Plastic-People aus der Weltmacht und den Wirren des Aufstands, zwischen den eingegrenzten und klimatisierten Villen der United-Fruit-Mitarbeiter mit ihren einheimischen Domestiken und den Rebellen, die die Plantagen in den Bergen des Oriente, abbrennen und ihre Revolution vorbereiten. Fidel und Rául Castro sin auch für die pubertierenden Kinder der Zuckerbarone faszinierende Ikonen. Die Mütter verstehen die Welt nicht mehr, haben sie nie verstanden, das war auch nicht ihre Funktion. Ihnen hatte die billige Simulation des Glamours zu genügen, die Bekanntschaft mit dem Botschafter, das Cocktailkleid.
Einmal, auf dem Weg nach Cumberland Falls, waren wir seine Gäste im Sanders Motor Court. Seine fatale Schwäche für sie war ihm deutlich anzumerken. Als er uns begrüßte, zitterten ihm die Hände, und er wurde rot. Ich glaube, Papa fand das amüsant. Er gab gern mit ihr an. Mutter war eine schöne Frau und immer sehr gepflegt. Sie wusch sich das Gesicht nie mit Seife, nur mit Creme, und achtete auf ihre Gesundheit. Sie ließ die Bediensteten Joghurt herstellen, als es noch sehr ungewöhnlich war, welchen zu essen. Jeden Abend vor dem Schlafengehen saß sie an ihrem Tisch und bürstete sich hundertmal die Haare. Als Junge bemerkt man solche Sachen. Zwei- oder dreimal im Jahr fuhr Papa mit uns nach Miami, um neue Kleidung für Mutter zu kaufen. Er reservierte dann im Burdines einen Raum nur für uns allein. Er, Del und ich saßen zusammen mit Mutter da, während die Mannequins uns verschiedene Sachen vorführten. Gefiel uns etwas, probierte Mutter es an, kam aus der Kabine und drehte sich einmal um sich selbst.
Und zur Beruhigung ein wenig Alkohol und caritative Gespinste:
Mutter fand es einfach furchtbar, wie auf den kubanischen Plantagen gearbeitet wurde. Der Gedanke, dass eine Rasse ihre eigenen Leute ausbeutete, brach ihr das Herz. Die Zuckerrohrschneider waren zwar alle Jamaikaner – es war kein einziger Kubaner dabei -, aber ich wusste, was sie meinte: Einheimische nutzten andere Einheimische aus, braun gegen schwarz, so ungefähr. Sie war stolz auf Papa, stolz darauf, dass die United Fruit Company einen gewissen Standard hielt, aus Fairnessgründen bessere Löhne zahlte als nötig. Sie hoffe, sagte sie immer, das werde die Kubaner dazu bewegen, ihre Leute ein bisschen besser zu behandeln.
Fidel hält auf dem zentralen Platz eine Rede:
Sie seien im Herzen des imperialismo zusammengekommen, verkündete Castro den versammelten Rebellen. Er wies auf eine Reihe von Büros, dreistöckigen, senfgelb gestrichenen Gebäuden. «La United», sagte er und zeigte vorwurfsvoll mit dem Finger darauf, als wäre schon der Name eine Anklage.
Diese Stadt, sagte Castro, sei der Ort seiner Kindheitsträume, genau diese Stätte, wo sie sich versammelt hätten. Hier, auf für ihn verbotenem amerikanischem Terrain, habe seine Phantasie sich entzündet und herumgetrieben. Frei, sagte er, aber nur in der Freiheit seiner Träume. Die Stadt Preston gaukele einem mit ihrer Entfernung von seinem Leben in Birän, ihrer Leuchtkraft, ihrer Unmöglichkeit etwas vor, das sei alles nur Schein. Echt aber sei, dass sie über alles und jeden herrsche, alles und jeden besitze.
Fulgencio Batista ist das einfältige Faktotum der USA. (1957 verlieh ihm die BRD die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland!) Christian La Mazière gibt den zwielichtigen Waffenbeschaffer und Krisengewinnler, der seinen Schwanz in alles steckt, vielleicht ist er Franzose, geschult hat er sich in der SS. Rachel K. tanzt den Zazou in der Tokio-Bar, malt sich die Netzstrümpfe auf die Schenkel und will sich stets auf die richtige Seite schlagen. Richtige Liebe gibts nicht mal bei den Rebellen. Der Hausdiener Willy tanzt den Pachango mit einem Besen so sinnlich, dass sich Everly wünscht, sie wäre der Besen. Auch Ernesto Hemingway hat seinen versoffenen Auftritt in seiner Lieblingsbar.
Rachel Kushner erzählt ihre Tableaus aus unterschiedlichen Perspektiven. Am interessantesten ist der Blick der Kinder. K. C. Stites, der jüngere Sohn des US-Bosses, und die widerborstige Everly Lederer sind ideologisch noch nicht völlig festgezurrt, haben noch nicht das vorgeschriebene rigide Klassen- und “Rassen”-Bewusstsein, sind empfänglich für ein bisschen Menschlichkeit. Das wird sich geben.
Mutter und Papa sahen es noch nicht mal gern, wenn ich Annie zu fest umarmte. Mutter war zwar eine Liberale, aber so liberal nun auch wieder nicht. Sie sagte, Annies Geruch gehe auf mich über – zur Kontrolle schnupperte sie an mir. Annie hatte tatsächlich einen Eigengeruch, so einen moschusartigen. Den mochte ich sehr. Ich habe ihn heute noch in der Nase. Als ich klein war, ließ ich mich oft von ihr in den Arm nehmen, wenn niemand in der Nähe war. Sie drückte mich fest an sich. Es war ein herrliches Gefühl von Geborgenheit, wenn ich mein Gesicht in ihrer Schürze verbarg, sodass ich kaum atmen konnte. Sie nannte mich munequito, ihr Püppchen. Ich weiß nicht mehr, ob sie selbst Kinder hatte. Schon möglich, aber ich glaube, sie lebten in Mayari. Annie lebte bei uns. Hier in Tampa bin ich einmal in einem Taxi gefahren, dessen Fahrer ein schwarzer Karibe war, und in seinem Wagen roch es nach Annie.
Nach zwei Dritteln hängt der Roman ein wenig durch. Zu viel ist schon gesagt, die Rebellion hat sich mit den Zuckerrohr-Bränden ins Spiel gebracht, ihr Sieg ist gewiss, lässt sich aber Zeit. Für Rachel Kushner ist das Politische wichtig, wo es sich in den Personen und ihren Lebensarrangements niederschlägt, also vor allem in den Familien der United-Fruit-Hierarchen. Die Wertung ist in der Art der Beschreibung verborgen. Am Schluss steht die Rück-Flucht in die bornierten Nichtigkeiten der USA, die mit Figuren ihresgleichen gesättigt ist. Die Sprache ist filmisch-lebendig, eingesprenkelt sind neben recherchierten Fakten der Zeitgeschichte auch Bildungsschnipsel. Man muss sich einlesen. Die Handlung kreist, nähert sich der Revolución von verschiedenen Seiten langsam an, endet in einem Blick in die Erzählgegenwart: Was wurde aus wem? Kushner führt uns „in diesem multiperspektivisch aus Expatriate-Sicht erzählten Roman die Verlorenheit einer ganzen Generation von mehr oder weniger liebenswürdigen Vorarbeitern des Kapitalismus vor Augen, eine Heimatlosigkeit zwischen den Welten, die die ebenso naiv wie dekadent wirkenden Beteiligten selbst überrascht“ (Oliver Jungen, FAZ).
2008 460 Seiten
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