Nachrichten vom Höllenhund


Frankenstein
17. April 2019, 15:50
Filed under: Theater

Nick Dear: Frankenstein
Nach dem Roman von Mary Shelley
Inszenierung: Sam Brown

„Hier sitze ich, forme Mensche nach meinem Bilde“, so Goethes Prometheus (1772). 1818 erschien Mary Shelleys Roman „Der moderne Prometheus“, der unter dem Namen seines Protagonisten bekannt wurde und die Zeiten bis heute überdauerte: Frankenstein. Das frühe 19. Jahrhundert interessierte sich für Menschen-Automaten, die Techniken zur FrankensteinProduktion von Androiden haben sich weiterentwickelt bis zur Künstlichen Intelligenz, was geblieben ist, ist die Diskussion über der Technik Fluch und Segen.

Nick Dear hat 2011 Shelleys Erzählung konzentriert auf den Konflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen anmaßendem Forscher und namenlos gebliebener Kreatur – dem „Wesen“ -, das als Quadratschädel mit ungelenkem Gang bis heute in unseren Köpfen herumspukt (Ikone Boris Karloff). Nick Dears „Wesen“ sieht zwar immer noch zum Fürchten aus, seine eigentliche Bedrohung liegt aber in seiner Sensibilität, mit der es/er seinem Schöpfer zum Konkurrenten wird.

In Regensburg verpackt ihn das Regieteam Sam Brown und Simon Lima Holdsworth als Mumie, die bald nach ihrer Animation aus dem sauber gefliesten Labor entweicht und in franki3grüner Natur ihre Hominisation beginnt – vom Apfelbaum zur Aufklärung. Die Enkulturation à la Kaspar Hauser (mit der Stimme von Pumuckl) beginnt mit dem Knabbern an den Äpfelchen der Erkenntnis und führt über die Hackhilfe bei der Bauernfamilie zum blinden Humanisten De Lacey, der ihn/es in die Kunst des Debattierens einführt und ihn auch neue Wörter lehrt: Schnee – schön. Das Geschöpf wäre ein fertiger, aufgeklärter Mensch, hätte es denn der Liebe. Der erste Teil endet abrupt, als das Wesen an einem Stab das Feuer in die Welt (hinter dem Vorhang) trägt und dort die Video-Flammen emporzüngeln. Prometheus.

Der zweite Teil folgt Mary Shelley. Frankenstein fährt nach Schottland, um dort Mädchenteile auszugraben, aus denen er die Gefährtin für das Wesen zu schöpfen gedenkt. Als das Wesen auftaucht, verwirft er seinen Plan und entsorgt die unanimierte Frau (hübsch im Mumienlook Denia Nironen) – schade, sie hätten so schön zueinander Frankensteingepasst und sicher de Menschheit gerettet -, folgt den Spuren des Wesens in die frostige Arktis, wo es zu tiefsinnigen Disputen und Gockelkämpfen Schöpfer vs. Kreatur kommt.

Die Verschiebebühne bildet die Schauplätze zügig nach (Die Steckdosen des Labors finden sich an der Bergwand wieder.), Betten und Lagerfeuer lassen sich leicht umziehen. Als Herr Frankenstein doch noch seine Elisabeth (auch Denia Nironen) heiratet, taucht hinter dem orangenen Vorhang unerwartet eine kleine Hochzeitsgesellschaft incl. Gesangseinlage auf (weshalb?).

Nick Dear will vorführen, dass der überhebliche Frankenstein nicht zur Empathie fähig ist, dass er alles – auch seine Familie – seiner technologistischen Hybris unterordnet, dass das „Wesen“ die intellektuelle und moralische Überlegenheit beanspruchen kann. Wer ist der Mensch, wer ist das „Monster“? Sam Brown stellt die Frage in einen Rahmen, der auf Aktualisierungg zielt, aber in seiner Logik fragwürdig erscheint. „Seit 10 Jahren leidet die Menschheit an einer rätselhaften Krankheit. Sowohl Männer als auch Frauen sind unfruchtbar.“ (Ankündigung) Mit seiner Menschenzüchtung bietet Frankenstein einen Ausweg an. Weshalb erschafft er dann einen Mann? Der wiederum eine Frau zur Fortpflanzung bräuchte? Weshalb arbeitet er nicht an der Behebung der Infertilität? Weshalb klont er nicht? Die Produktion eines Monsters passt nicht in die zeitgeschichtlichen Möglichkeiten, die zwei Konzepte vertragen sich nicht. Es ist auch franki4nicht zu begreifen, weshalb das Nobelpreiskomitee das auszeichnen sollte, wie es in Regensburg vorgespielt wird. (Gut, das ist eh nur Frankensteins Traum, was Michael Haake als König Gustav Gelegenheit gibt, ein wenig zu schwedeln.)

Die Darsteller sind voll bei der Sache. Gerhard Hermann gibt einen kultivierten „Monsieur“ Frankenstein und einen humanistisch blinden Professor De Lacey, Robert Herrmanns und Linda Prinz tauchen in verschiedenen Rollen auf, Leon Brando oder Maximilian Käser sind Frankensteins jüngerer Bruder Wilhelm. Um die Rollen der symbiotischen Antagonisten Frankenstein und Wesen lässt man zu Beginn der Vorstellung Philipp Quest und Jonas Hackmann losen. (Am 11. April gewann Hackmann den Frankenstein, in der Londoner Urausfführung unter Danny Boyle wechselten sich Jonny Lee Miller und Benedict Cumberbatch tageweise ab. Für die Korrektheit der Wahl in Regensburg gibt es eine dramaturgische Aufsichtsbeamtin.) Zur Einübung der Protagonisten hat man Bewegungs- und Kampfchoreographen engagiert.

Wenn man die inhaltlichen Überlegungen als Klügeleien beiseite lässt, ein vergnüglicher Theaterabend, ansonsten eine leicht verunglückte Nachschöpfung. Selbstreferentielles Jubeln und Trampeln auf den Rängen.

Theater Regensburg – Aufführung am 11. April 2019

Fotos: Marion Bührle

P.S. Peter Geiger kann sich in seiner insgesamt wenig inspirierten „Kritik“ (MZ) vor Jubel über das Losverfahren gar nicht mehr einkriegen. Schade, dass „Samt & Selters“ nicht mehr da sind, die Regensburger Rezensionen hätten Auffrischung nötig.


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