Nachrichten vom Höllenhund


Sex oder Ex
11. Dezember 2019, 14:04
Filed under: Theater

Anthony Neilson: Sex oder Ex
Inszenierung: Klaus Kusenberg

Jess und Jimmy sind seit 9 Jahren zusammen, doch jetzt wird sie ihn verlassen, wenn es nicht zum Sex kommt, nach 14 Jahren und 4 Tagen. Hier, jetzt, vor dem Publikum. Ende Gelände. Jimmy ist definitiv knocked out. Das Setting, die Situation lässt keine Klimax zu, jeder Gedanke an gmeinsame Höhepunkte ist verkackt.

Gespielt wird die traurige Geschichte des mittelalten Mannes in Zeiten von #MeToo. Jeder Versuch zu kommen, ja, schon der Gedanke an Lockerungen ist kontaminiert von der Selbst-Zuschreibung: Ich auch. Der Mann in der Opferrolle, in der er sich durchaus gefallen kann. Es ist nicht so, dass man sich nicht bemüht. Das Nest ist bereitet, das sexex3Wasser in der pinken Herz-Wanne wohltemperiert. Bühnenbildner Michael Lindner hat allen Kitsch aus sich herausgepresst, um auch den besten Liebesvorsatz ins Lächerliche zu ziehen und damit jeden ernsten Ansatz des Stücks gleich mit. Immerhin: Der Pool gibt Gelegenheit, sich ein wenig auszuziehen, Badehose und Bikini, verschämt verhüllt, Blümchensex.

Es kommt zum Vorspiel. Schenkelbetastungen, Zungenküsse. ER und SIE stehen dabei drei Meter voneinander, sprechen von Erotik, stochern mit der Zunge aus dem Mund. Wieso lachen wir im Publikum? Das Versprechen des deutschen Titels bleibt Kopftheater. (Im Original heißt das Stück: The Prudes – die Prüden. Hätte man das gewusst, wäre man gar nicht hingegegangen?)

Was verhandelt wird und was sich wiederholt und dann endgültig zum Abbruch des Sexperiments führt, ist nicht uninteressant. Sollte – oder muss – man seiner Partnerin sexex1sagen, dass man Flipflops an ihr nicht attraktiv findet? Sollte oder darf man seinem Partner verschweigen, dass man in der Jugend von einem Cousin bedrängt wurde, dass man sich als Kind zum Vater ins Bettgelegt hat? Sich offenbaren oder manches für sich behalten? Heißt Schweigen, dem Partner nicht zu vertrauen oder ihn nicht verunsichern zu wollen? Solche Themen sind ja auch bei #MeToo nicht ausdiskutiert.

Das Publikum ist im Zweifel – und auch das führt oft zu einem Lachen, das Befreiung sucht. Man kann sich als Publikum aber schon auch verdammt progressiv vorkommen, weil man angesichts der durchaus expliziten Sprache nicht aus dem Theater flieht (was einem Jimmy zu Beginn anbietet). Das „Spiel“ mit den Zuschauern ist ein Merkmal des In-yer-face theatres: Man ist als Voyeur gekommen und geht als verständnisvoller Sympathisant.

Die Akteure machen ihre Sache gut. Guido Wachter und Katharina Solzbacher haben das richtige Alter, ziehen sich an und stoßen sich ab. Jess ist lakonischer, repliziert schnell, auch mal schnippisch, „”Jetzt mach es halt nicht so kompli­ziert“. Leicht gesagt. Jimmy hat den dramaturgisch besseren Part, er darf changieren, netter Kumpel, kleiner Junge, verletzter Mann. Mal bittend, mal aufbrausend, nervös. Ein Mann in der Krise, ein entmannter Mann. Einer wie wir. Plump wird’s, als Jimmy sich mit seinen Phantasien sexex2anregen will und Jess vorschlägt, sich zu kostümieren. Ein Nurse-Kostüm aus dem Erotik-Ramschladen schwebt von der Decke, Jess willigt schließlich ein, Wonderwoman zu werden. Wow. Das Publikum speichelt, der ultimative Sex-Ruin.

Nach der Vorstellung gegoogelt: Dogging, Goldlöckchen(Goldilock) – “One of the best parts of the play is when Jess talks about her seven-year-old niece’s need to keep hearing the story of Goldilocks and understands that all women have learned how to live with the bears marauding in the woods and play bear-tamer.” (Lyn Gardner, the Guardian)

Ein vergnügliches Kammer-Boulevard-Stück mit durchlässiger vierter Wand. “A well-meaning yet toothless two-hander. (…) The #MeToo movement is not just about what happens in the bedroom, but The Prudes never gets beyond it.” (Lyn Gardner)

Theater Regensburg – Aufführung am 4. Dezember 2019


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