Nachrichten vom Höllenhund


Kracht
4. Mai 2021, 18:59
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Christian Kracht: Eurotrash

Am Ohr des kantigen Mannes mit dem herrischen Blick hängen zwei Kirschen. Geht’s noch lächerlicher? Darf man dem Ernsten durch zwei hingemalte rote Kirschen seine Würde nehmen? Ja, die Seriosität bloßstellen durch schnöden Tand? Die belgische Malerin Karien Deroo findet in vielen ihrer Porträts diesen prätentiös verletzlichen Ernst. Zu Christian Krachts „Eurotrash“ fügt sich das Titelbild kongenial.

TRASH. Die ganze Familie. Der Vater der Mutter war SS-Mann, tief verbunden mit der „Naziwelt“, der Vater, „Repositorium der Geheimnisse war er gewesen, die erst nach seinem Tod an die Oberfläche kamen“. Ein „kleiner drahtiger schmaler Mann“, der die Störungen mit seinem Vermögen kompensiert, mit verstreuten Chalets in Cap Ferrat, Gstaad, Sylt, mit Bekanntschaften zu Axel Springer, Augstein, Mick und Muck Flick, Franz Joseph Strauß, mit Bildern als „Dekoration“, die er aufgerollt unter dem Bett versteckt (neben anderen Requisiten).

„Alle hatten immer geschwiegen (…) in meiner Familie, wie alle lieber alles heruntergeschluckt und verborgen und geheimgehalten hatten, ein ganzes totes, blindes, grausames Jahrhundert lang. (…) Eine zutiefst gestörte Familie.“ Ein Vorwurf, ein Einwurf, Scheinkritik, auch um des Effekts willen. Eurotrash.

„Der Zerfall dieser Familie, ja, die Atomisierung dieser Familie, als deren Tiefpunkt man den achtzigsten Geburtstag meiner Mutter im Gemeinschaftszimmer der Nervenklinik Winterthur bezeichnen muß.“

Die Mutter ist dement, wann immer sie es will. Vielleicht ist ihr Gedächtnis aber auch von Zolpidem, Phenobarbital, Schlemmerfilet Bordelaise und „Gib mir mal die Wodkaflasche“ kontrolliert. Der Erzähler-Sohn holt sie aus der Anstalt und begleitet sie samt Rollator und Stoma auf eine Reise entlang der sprunghaften Erinnerungen. Mit dem Taxi lassen sie sich durch die Orte der Vergangenheit und der Fantasie bringen. Genügend Franken haben sie vom Konto abgehoben und tragen es in einer Plastiktüte an sich. Sohn Christian hatte „erkannt oder erkennen müssen, daß der einzige Weg, mit Geld vernünftig umzugehen, war,es zu verschenken“. „Ich nahm also etwas Geld aus der Plastiktüte mit der Wodkaflasche und den Tabletten, eine ordentliche Handvoll nahm ich heraus“ und schon stand ich „vor den drei indischen Damen (…) und sagte, nein, nein, ich wolle ihnen dieses Geld hier schenken. Es waren vielleicht sechzig- oder achtzigtausend Franken . (…) Und plötzlich, wie es manchmal so ist, gab es aus dem Nichts einen Windstoß.“ Es war an der Bergstation der Seilbahn in einer „Pappmaché-Schweiz“ (Jan Wiele, FAZ).

Die Road-Novel bietet viele absurde Situationen, Gespräche, Anekdoten, aber auch viele Sentmentalismen, die Monster-Mutter immer als Kristallisations-Mensch. „Das Getue einer alten Frau“: Sehen wir uns wieder, nun, so lächeln wir.“ (Shakespeare, Julius Caesar) Ein schönes Ende.

Ein hübsches Element der Geschichte: Dass der Erzähler wie der Autor heißt. Das könnte bedeuten, dass der eine der andere ist, vielleicht haben beide etwas voneinander – Autofiktion! – , vielleicht wird auch nur geschummelt, – selbstverliebt – gespielt. „Aber“, sagt mir Elke Heidenreich, „es ist egal. (…) Es ist ein Roman mit einer ganz und gar verzauberten Grundstimmung aus Trauer, Liebesversuch, in einem …, trotz eines so wahnsinnig sinnlos, durchs Geld sinnlos gewordenen Lebens.“ Vielleicht ist Elke Heidenreich aber der eitlen Performance des Autors aufgesessen. Ein Roman mit Kirsche! Eurotrash – Ironie von von vorne bis zum Schluss!?

Die Mutter kritisiert den Sohn und sein Schreiben als „belanglosen Unsinn, wie Du ihn schreibst, den ohnehin keiner lesen will. (…) Ein horrender Stuß, wie Du ihn schreibst. Lies doch mal Flaubert. Da würdest Du sehen, wie es geht. Von den Meistern lernen. Aber Monsieur denkt ja gar nicht dran. Monsieur ist ja selbstgefällig und behäbig und dann fährt Monsieur mit seiner Mutter irgendwo auf einen Gletscher.“

2021 – 210 Seiten  (plus ein paar leere)

„Bücherliebe“ findet den Roman „gekonnt inszeniert“. (Reflektierte Besprechung auf youtube – 10 Minuten)

Denis Scheck ist „menschlich angerührt – hin und weg“. Den SWR2 Literaturkritiker Carsten Otte ermüdet der „sprachliche Müll“ über „zwei Abfalltüten“

2-4


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