Nachrichten vom Höllenhund


Vuillard
8. Mai 2023, 17:50
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Eric Vuillard:
Ballade vom Abendland

Der Originaltitelist „La Bataille d’occident“. Das ist die Schlacht, nicht das Dichten. Occident ist passend übersetzt, doch hat der deutsche Begriff mehr mythische Konnotationen. Vuillard bedient beides: das Dichten und die Schlachtbeschreibung. Die Beschreibung setzt die faktischen Grundlagen, die Ballade erlaubt die Spekulationen, die dem Leser das Thema nahebringen, ihn in die Ideologien und das Geschehen hineinversetzen. Mittendrin statt nur dabei. Die Methode Vuillards ist erprobt, Thema ist hier der Erste Weltkrieg. Der Kampf der verfeindeten Länder um die Wiederfindung der romantisierten Vergangenheit. Die Selbstauslöschung des Abendlands.

Vuillard seziert die verkrusteten Gedanken der Kriegsbetreiber, der Fetischisten, der Vorbereiter: Moltke, Schlieffen, Wilhelm zwo. Die von Schlachtstrategien kläfften und denen die Opfer scheißegal waren.

Der große von Moltke liebte den Krieg. Ja, er liebte ihn leidenschaftlich, ausschließlich. Und er, Schlieffen, liebt er ihn genug? Liebt er ihn genug um zu siegen?  Genug, um ihm seinen Hahnenkamm zu entreißen? Um sich die größte aller Schlachten auszumalen, eine ungeheuer   ausgedehnte Schlacht, die aus einer einzigen ausladenden Bewegung besteht, wie eine riesige Ohrfeige gegen Frankreich? Ja, er glaubt, dass er ihn hasst und liebt, und dass er ihn, weil er ihn hasst so gut es geht – starr vor Entsetzen -, rettungslos liebt. Und so fügt er sich in eine Tradition der Begehren Damals sind die Länder durch ein dichtes Netzwerk aus   Bündnissen miteinander verknüpft, eine wahnwitzige Kombination aus verschleierten Interessen. Alles beruht auf einer Unzahl von Berechnungen, von Einschätzungen, die ebenso hohl sind wie diejenigen, die man vor einer Lotterieauslosung anstellt. Und doch haben alle mitgemacht. Es war der vorsätzliche Mord eines ganzen Kontinents

Vuillard wühlt sich ein in den Schlamm der Schützengräben, zu den Soldaten.

In der Schule erzählt man ihnen  von  einem Feind, einem Gewitter; und wenn es sein muss, werden sie rennen, nicht mehr an den Fluss oder zur Gartenlaube, sondern in den Tod. Sie träumen von dem, was ihnen gesagt wurde, und stellen sich vor, wie sie die Welt für einen nicht mal Sekunden währenden   Krieg zu Pferde durchqueren, Blut, Schreie, der Triumphbogen; ein Ritt und dann – die Geburt.

   Doch es  ist der Tod, der dort hinter der Ecke lauert, gierig und verlogen geduldig.

Unermüdlich  hat  man neue Laufgänge angelegt,  neue Linien in der Erde, ein ganzes Labyrinth aus  Gängen und  Unterständen. Zu Anfang hat sich jeder ein Loch gegraben, gerade  mal groß genug um sich in die Erde zu kauern, selbst zum Bestatten reicht es nicht. Ein für Gott zu kleines Fleckchen. Dann gingen die Tage dahin, und das  Loch wurde  tiefer, zwischen den Nachbarlöchern entstanden Verbindungen.  Das Wasser stieg und überschwemmte  alles,  man watete durch einen kalten Regen.  Manche stockten die Brüstungen mit flüssigem Schlamm   auf, wie Zement. Dieser  ganze Gürtel  aus umgegrabener  Erde ähnelte einer langen  und  dicken Schlange, die kaum ihre Gestalt veränderte,  während sie durch die feuchten Wälder der Argonnen, die steinigen Plateaus der Champagne   und die  Zuckerrübenfelder an der Yser kroch.

   Bald waren alle da. Ein ganzes junges und fröhliches Volk steckte in diesen Löchern. Es gab Tiroler, Araber, Bayern, Neger, Bretonen, Preußen, Basken, Australier, Sikhs; denn sie mussten nun mal gefüllt werden, diese Löcher!

Vuillard zerrt die Profiteure in seinen Kriegsgesang.

J.P. Morgan … war der Bankier der Entente; und er wurde, als Herrscher des Stahltrusts, zum großen Kriegslieferanten. Er lieh Frankreich und England das Geld, mit dem sie ihm Waffen abkauften. Und später, lange nach dem Krieg, sollte er Deutschland Geld leihen, und Deutschland zahlte seine Reparationen an Frankreich, und Morgan verlangte, dass Frankreich seine Rechnungen begleiche; und selbst wenn es nicht ganz so einfach ist wie dieser kleine Kreidekreis, selbst wenn die Worte im Einzelnen ständig widerlegt werden, flossen Geld und Blut doch in etwa in dieser Reihenfolge durch den mächtigen Körper der Nachkommen der Fabel. So wechseln und fließen seit je Geld und Blut — Grenze, Frist, Tod—, gebieten über Zahl und Zeit.

Vuillard schreibt keinen Historiker-Text. Wenn man seine „Ballade vom Abendland“ liest, sollte man schon ein bisschen was über den Weltkrieg I wissen. (Solch ein Basiswissen grundiert alle Bücher Vuillards.) Vuillard umschreibt die Geschichte, er hat viel mehr Möglichkeiten der sprachlichen Entfaltung, er nutzt seine Recherche als Basis für begründete Spekulation. Geschichte wird nicht nur lebendiger, sondern rückt auch näher: an die handelnden Personen wie auch an den Leser. Auch erlaubt die Methode Vuillard Aussagen, die wissenschaftlich womöglich nicht vollständig abgesichert sind oder die in anderer Weise durch Interessen blockiert oder verbogen sind. Auch Ironie oder Lakonie verschaffen Distanz und Einblick. Die Stringenz kann durch den Leser oft nicht überprüft werden, aber es hilft weiter, zu den Geschichtsbüchern auch Vuillard zu lesen. „Was mir an einem Buch gefällt, ist die Mischung unterschiedlicher Kräfte, wenn Bilder, Gedanken und Erzählfluss eng miteinander verknüpft sind.“ (Eric Vuillard)

2012 – 165 Seiten

Leseprobe und Interview mit Eric Vuillard bei Matthes & Seitz


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