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Das Erbe
Eine Assoziation zum NSU von Olga Bach, Ersan Mondtag und Florian Seufert
Inszenierung: Ersan Mondtag
Wenn einem unsere Erde zu unübersichtlich erscheint, schrumpft man sie und weicht hinaus ins Universum. In die unbegrenzte Weite oder auf kleinere Planeten, auf denen man nochmals von vorn beginnen könnte. Wenn die Macht der Phantasie nicht ausreicht, das Böse hienieden auszurotten, projiziert man seine Erwartungen ins All. Dort herrscht die Unendlichkeit und schrumpft unsere Probleme. Aus Allem wird: Nichts. Bei Kulturprodukten, die unsere Aufmerksamkeit ins All lenken, sollte man stutzig werden!
Wenn sich das Böse auch nicht in Gedanken wegzaubern lässt, sucht man in der Vergangenheit nach den Ursachen der Denkblockaden, irgendwer oder –was muss doch Schuld haben an unserer Unfähigkeit, gut zu sein, im und mit Guten zu leben. Man könnte an die Evolution des Lebens denken, den unvollkommenen Gen-Code, aber an dieser Idee klebt der Ruch des Biologistischen.Also vermeidet sie die „Assoziation“ von Olga Bach. „Das Erbe“, das uns hemmt, das uns am Gängelband hindert, selbstbestimmt laufen, denken, leben zu dürfen. Was uns die Schuld auflädt, ist die Kultur, das, was der Mensch aus seiner Biologie gemacht hat. Oder was Bach & Co. für Kultur halten. Didier Eribon nennt unsere Aporien etwas allgemeiner die „Gesellschaft als Urteil“. Keiner kann entkommen.
In durchgehender Projektion zerfliegt das Weltall und wir düsen mit. Ein Assoziationsrahmen ist gesetzt und wenn im Verlauf der Abends Blick und Gedanken sich oft vom All abwenden, finden sie an den Wänden nachgezeichnete Gemälde zum Umherstreifen. Auf der Bühne tritt auf das „kleine Böse“ in Form der schwangeren Frau, Beate Zschäpe, die Inkarnation. Welch origineller Einfall, welch absurde Idee. Das Nichts als das Ende des Menschseins. Der Gipfel der Banalität. (Beate Zschäpe gehört nicht auf die Bühne! Die Bühne erhöht sie zur Ikone! – Darstellerin TinaKeserovic wird missbraucht, weil man ausgerechnet bei BZ eine gewisse Ähnlichkeit sucht.).
Die Pseudo-Nackte liegt im dezent erleuchteten Bühnenhinterraum, wie aufgebahrt in hoher Gravidität. Ein Anblick. Ein Ärgernis. Es treten auf: die sechs apokalyptischen Kasperl. Blond perückt, schwarze Hängerchen, spockige Weltraumohren, rot bepinselte Gesichter; geschlechtsneutral, bis sie sich zuletzt wegen mythischer Wehen entblößen müssen. (Thomas Hauser, Jelena Kuljić, Jonas Grundner-Culemann, Lena Lauzemis, Damian Rebgetz, Wiebke Puls – aber das ist ohne Belang. Rollen spielen keine Rolle.) Hohe Zeit für Assoziationen: Griechische Mythologie (Ödipus, was sonst?), Grimmsche Lügenmärchen, kafkaeske Bürokratie, abendländische Lese- und Blickrichtungen (von links nach rechts – als ob die arabische Tradition keine Ungeheuer hervorbrächte), Untersuchungsprotokolle, Mini-Playback-Show (kennt die noch wer?), Lucas Cranach; professionelle Assoziateure haben noch mehr erkannt. Da hat sich Olga Bach was gedacht – denn die Assoziationen laufen ja durchs Gehirn! Andere Denker hätten anderes assoziiert. Der Zuschauer hechelt grübelnd hinterher. Und ist damit schon in die Falle getappt.
Jeder Gedankensplitter zum Bösen, zu Beate Z., hat seine Berechtigung. Ersan Mondtag belässt es beim Splitten. Das Theater muss nicht belehren, aber es sollte sich einem gravierenden Objekt mit nötigem Ernst widmen. Zielfreies Assoziieren ist banal, verharmlosend, man sollte es den Opfern der Beate Z. & Co. nicht zumuten. Natürlich ist die Dr. Oetkersche Hausfrau auch ein Opfer der (Populär-)Kultur und steht in der Reihe des Erbens, doch der Weg zum Terror der NSU ist hier zu weit, zu gedankenlos. (Abgesehen davon, dass BZ in ihrem Milieu gerade als „keine dumme Hausfrau“ gerühmt wurde.) „Und ist es eine erhellende Assoziation, wenn uns aus dem Off die Herstellung eines Dönerspießes erklärt wird?“ (Michel Skasa, ZEIT)
Aber da eine logische Auseinandersetzung mit dem Thema nicht intendiert ist, wäre es müßig, sich als Zuschauer damit zu beschäftigen. Glotzen reicht. Pipifax. Kommen wir zum Tiefpunkt.
Die BZ, die das Stück über in verschiedenen Ecken kauerte, sich manchmal den ballettös trippelnden, mal im Chor singenden 6 Kasperln anschloss und ansonsten durch penetrantes Baby-Geblöke auffiel, BZ kommt nieder. Die Kasperln machen sich als Geburtsbegleiter nackig, BZ entäußert sich zu (gefühlt endlosem) Gestöhne, die Beschallung schwillt bocksmäßig an: – und – BZ gebiert – ein Gehirn.
Ich hätt’ es nicht als solches erkannt, hätt’ ich es nicht gelesen. Ein Gehirn, in die Welt gebracht ausgerechnet durch die Dummnuss BZ!? (Michael Skasa hat einen „orange leuchtenden Kürbis“ gesehen: „Rosemarys Baby“.) Und dazu noch die notgedrungene Assoziation: „Der Schoß ist fruchtbar noch …“ (Alle Rezensenten fallen darauf herein.) Hätte gerade noch gefehlt, dass die Videoprojektion ein schwülstiges Sunrise/Sundown-Orangelila … Florian Seufert ließ es sich nicht entgehen. Nein: Herr Mondtag!!! Zum Gehen.
Kommentar einer jungen Frau mit hübschem Kräuseldutt aus der Reihe hinter mir: War ja ganz schön anzusehen. Aber sonst? – Vom Publikum gehöriger Beifall. Von mir keine Hand für dieses schnöde Blendwerk. – „Das Geschwurbel des Zitatverhaus … macht sich wichtig und ist doch nichtig.“ (Michael Skasa) So lässt sich Theater machen, aber ich hätt’ mir auch die Miniplaybackshow (historisch) oder das Dschungelcamp (hochaktuell) anschauen und dabei meine Gedanken schweifen lassen können. Die Assoziationen zum national-sozialen Untergrunds-Kulturerbe hätten sich spornstreichs eingestellt.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 2. Februar 2018
P.S.
P.S. Wenn das Theater die Person (Beate Z.) in das Zentrum des Blicks stellt, doppelt es nur die Malaise(n) des NSU-Prozesses. Es geht wesentlich um Details der Schuld der Angeklagten, deren Täterschaft weitgehend außer Frage steht. Was den Prozess interessant und (auch im politisch-gesellschaftlichen Sinn) wichtig gemacht hätte, wird ausgeblendet: das Umfeld für die Entstehung völkischer (Terror-)Strukturen, staatliche Beteiligungen und Versäumnisse, Behinderungen der Aufklärung. Die Anwälte der Nebenkläger haben es thematisiert, fanden bei der Justiz aber kein Gehör. Auch das ein gravierendes Manko.
Das Theater tut sich naturgemäß schwer, solche Strukturen auf die Bühne zu bringen und setzt daher – wie die Medien auch – lieber auf Personalisierung und, wie hier, auf schwurbelassoziative Annäherungen. Das gilt auch für Jelinek.
Man sollte nicht ganz vergessen, dass der Prozess für seine eingeschränkten Ermittlungen viel –staatliches – Geld verschlingt: Rund 150 000 Euro kostet ein Prozesstag. Die Gesamtkosten liegen damit bislang bei knapp 56 Millionen Euro. (SZ, Juli 2017) Man soll auch bedenken, dass der Rechtsstaat der Angeklagten mehrere Anwälte zustellt, die u.a. bisher 26 –33 Befangenheitsanträge gestellt haben. Detaillierte Informationen findet man u.a. bei nsu-watch (wikipedia – Prozess in Zahlen).
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